Werben um Toleranz

Ein Buch als »barrierefrei« zu bezeichnen, mag befremdlich anmuten, doch im Fall des soeben im Booy-Verlag erschienenen Romans ist dieser Ausdruck programmatisch. »Sehnsucht nach der verlorenen Liebe« plädiert für Toleranz, erzählt wertungsfrei von Beziehungen jenseits der Norm, von verlorener Heimat.
Tragen wir nicht alle diese Sehnsucht in uns nach den unbeschwerten Tagen unserer Kindheit, nach den Freundschaften, die damals so innig, so bezaubernd waren? Im Fall von Andreas/Anna und Wolf hat diese Sehnsucht viele Facetten. Zum einen trauern die beiden Protagonisten in »Sehnsucht nach der verlorenen Liebe« von Werner Vermeulen um ihre große Liebe, die schon in frühen Kinderjahren begann. Zum anderen mussten sie 1945 aus dem Sudetenland fliehen, wurden dabei jäh von ihren Familien, voneinander getrennt und erlebten Lageraufenthalt und grausame Kriegsqualen. Beide nehmen eine künstlerische Richtung - Wolf als Maler, Andreas/Anna als Sängerin; ihrer beider Lebenswege kreuzen sich erst nach vielen Jahren wieder.
Werner Vermeulens Roman schildert aus der Position des neutralen Betrachters, welche Wege Wolf und Andreas/Anna über die Jahrzehnte genommen haben; als dritte Hauptperson kommt der junge Dima hinzu, der sich, konfrontiert mit Anna, die eine Geschlechtsumwandlung hinter sich hat, allmählich über seine eigene sexuelle Vorliebe klar wird.
Wie Wolf, Andreas/Anna und Dima lernen, sich selbst so zu akzeptieren, wie sie sind, wünscht sich auch der Autor, der selbst mit einem Partner zusammenlebt, von der Leserschaft Toleranz für die unterschiedlichen sexuellen Neigungen der Menschen.
Werner Vermeulen ist, der Nachname legt es nahe, Niederländer, doch hat seine Familie Wurzeln im Sudetenland, sodass er schon früh mit der Geschichte dieses Landstrichs vertraut wurde. Diese in Erinnerung zu halten, ohne auch nur einmal wertend zu werden, ist ein Verdienst des Buches. Vermeulen selbst sagt, er wolle mehr Verständnis wecken für die Sudetendeutschen und Heimatvertriebenen überhaupt: »Leider gibt es noch immer Heimatvertriebene, zum Beispiel Armenier und Rohingyas.«
Verlegerin Beatrix van Ooyen meint: »Die Kernaussage des Buches ist, dass es sehr wichtig für den eigenen Seelenfrieden und für andere ist, sorgfältig miteinander umzugehen, tolerant und großzügig zu sein, verzeihen zu können, gute Freunde und ein Zuhause zu haben.«
Dieses Werk sei in mancherlei Hinsicht »barrierefrei«: »Die sympathischen Hauptpersonen und die Erzählweise, sowie der Großdruck ebnen den Weg zum Verständnis und womöglich zu mehr Empathie des Lesers unter anderem für die Situation der Sudetendeutschen und für die gleichgeschlechtliche Liebe, die Welt von Transvestiten sowie Geschlechtsumwandlungen.«
Autor und Verlegerin haben über ein anderes Buch des Booy Verlages zueinandergefunden: »Capriolen« von Barbara Hauck, das insbesondere die Homosexualität des hessischen Großherzogs Ernst Ludwig zum Thema hat. Vermeulen: »Es war Zufall, ich entdeckte und kaufte Capriolen. Aber ich habe auch gesehen, dass der Booy Verlag für mehr steht: Gerechtigkeit, Toleranz und Lebensfreude.« Deswegen sei er auf Beatrix van Ooyen zugekommen: »Intuitiv habe ich gewusst, dass es der richtige Verlag ist.«
Van Ooyen bezeichnet die Bücher in ihrem Verlagsprogramm als »Soziokulturelle Bücher«. Mit seinem Werben um Toleranz passe »Sehnsucht nach der verlorenen Liebe« hervorragend zum Booy Verlag. Die Hürde, das Werk vom Niederländischen ins Deutsche zu übersetzen, meisterten Autor und Verlegerin gemeinsam. »Werner Vermeulen und ich haben uns gut ergänzt«, erzählt van Ooyen
Großzügig sein, verzeihen können
»Wie er Deutsch, kann ich Niederländisch gut verstehen und lesen. Nach einer Probeübersetzung wussten wir: Es klappt!« Die niederländische Sprache sei zudem nicht allzu weit von der deutschen Sprache entfernt.
Und dann ist da noch eine Dritte im Bunde, die Künstlerin Petra Reissmann. Ein Gemälde von ihr gab den Hintergrund für das Cover des Buches. »Reissmanns Werke zeugen von einer mit dem Roman vergleichbaren Intensität: Schmerz und Liebe liegen nicht weit auseinander«, sagt van Ooyen.
Werner Vermeulen: »Sehnsucht nach der verlorenen Liebe«, Booy Verlag, ISBN 978-3-9817809-5-6

