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»Plötzlich fehlte die Liebe«

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Von: Edelgard Halaczinsky

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Jutta Fleck (r.) und Tochter Beate Gallus sind auf Initiative von Ernst Gruner nach Rodheim gekommen.		Foto: lh
Jutta Fleck (r.) und Tochter Beate Gallus sind auf Initiative von Ernst Gruner nach Rodheim gekommen. Foto: lh © lh

Rosbach-Rodheim (sky). Als die »Frau vom Checkpoint Charlie« wurde Jutta Fleck bundesweit berühmt. Also als jene Mutter zweier Töchter, die in den 1980er Jahren nach ihrem Freikauf durch den Westen für den Nachzug ihrer Kinder aus der DDR kämpfte. Sogar ein Film mit Veronica Ferres in der Hauptrolle wurde dazu gedreht. Am Mittwochabend berichtete Fleck im Rodheimer Bürgerhaus unter dem Thema »Zeitzeugengespräche« zusammen mit ihrer Tochter Beate Gallus über ihr Schicksal in DDR-Gefängnissen und Heimen, die Umstände ihrer Verhaftung sowie den langen Kampf um die ersehnte Familienzusammenführung. Eingeladen hatte die Freie Wählergemeinschaft Rosbach/Rodheim auf Initiative von Ernst Gruner.

Die sehr detaillierten Schilderungen von Mutter und Tochter ließen erahnen, wie stark bei vielen DDR-Bürgern der Wunsch nach Freiheit war und welche großen Risiken sie bereit waren, auf sich zu nehmen, um dem sozialistischen Regime zu entkommen. Ein Rumänien-Urlaub mit den neun und elf Jahre alten Töchtern sollte im August 1982 die Sprungchance zur Flucht nach Westdeutschland sein. Doch der Plan misslang. Rückführung in die DDR, Trennung von Mutter und Kindern mit Heim- und Gefängnisaufenthalten sowie entwürdigende Verhör- und Umerziehungsmethoden mit vielen Einschüchterungen folgten.

Von der Mutter getrennt

Fleck und Gallus scheinen sich an jede Minute ihrer Leidenszeit zu erinnern. Sie sprachen ruhig und sachlich über Ängste und Hoffnungen, über Demütigungen und den nie versiegenden Wunsch nach Freiheit.

»Als man Mama von uns trennte, stand unser Leben sofort auf dem Kopf«, erinnerte sich Beate Gallus. Die Verhörenden wussten bei den Kindern Schuldgefühle zu schüren und Privates zu entlocken. »Ich hatte eine schöne Kindheit in Geborgenheit, aber plötzlich war alles herzlos, und die Liebe fehlte.« Zum Glück sei Schwester Claudia in der Nähe gewesen, aber es dauerte Monate, bis auch der Kontakt zu anderen Familienmitgliedern zögerlich hergestellt worden sei. »Hinter allem stand die Erziehung zu guten, sozialistischen Persönlichkeiten.« Tausend Fragen hätten die Kinder gehabt, doch auf keine habe es eine Antwort gegeben.

Es sei eine Zeit der Verhöre und Schikanen gefolgt. Die Mädchen seien ein halbes Jahr im Heim geblieben und seien dann - anders als im Film dargestellt - in die Obhut des sozialistisch geprägten Vaters gegeben worden. Anfang 1983 wurde Fleck wegen »versuchter Republikflucht in einem besonders schweren Fall« zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt und ins Frauengefängnis Burg Hoheneck verlegt. »Das war das größte und schlimmste Frauengefängnis in der ganzen DDR.« Nach 21 Monaten wurde sie von der Bundesrepublik freigekauft und durfte in den Westen. »Das war ein völlig üblicher Vorgang, denn die DDR brauchte schließlich Geld«, erzählte Fleck.

Hungerstreik am Checkpoint

Jetzt begann der Kampf, auch ihre beiden Kinder nachholen zu dürfen. »Wenn du etwas erreichen willst, musst du an die Öffentlichkeit gehen«, hatte ihr ein hochrangiger Politiker geraten. Gesagt, getan. Am bekannten Grenzübergang »Checkpoint Charlie« unternahm sie wochenlange Hungerstreik- und Protestaktionen. Bei jedem Wetter stand sie dort Auge in Auge mit den Grenzsoldaten und hielt ihnen ein Schild unter die Nase: »Gebt mir meine Kinder zurück.« Der DDR-Führung seien diese öffentlichkeitswirksamen Aktionen höchst unangenehm gewesen, doch es dauerte noch bis zum 28. August 1988, bis die Politik einlenkte.

Heute lebt Jutta Fleck in Wiesbaden und wirbt als Zeitzeugin zusammen mit ihrer Tochter Beate Gallus für Werte wie Freiheit und Demokratie. Vor allem jungen Menschen möchte sie am Beispiel ihres Schicksals klarmachen, dass es sich lohnt, dafür zu kämpfen. Ihre beeindruckenden Schilderungen ihres friedlichen Widerstandes gegen eine Staatsmacht machten Mut, nicht aufzugeben.

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