Kita-Gebührenerhöhung: Sind die 40 Prozent zumutbar?
Rosbach (sda). Wieder eine Kita-Gebührenerhöhung für Eltern. Nichts Neues, gab es doch erst eine. Nun ist von 40 Prozent die Rede. Der Stadtelternbeirat ist entsetzt, geht auf Konfrontationskurs mit der Stadt. 40 Prozent sind zu viel, sagen die Eltern; 40 Prozent sind zumutbar, sagt Bürgermeister Thomas Alber. Ein Streitgespräch.
Treffpunkt ist das Rathaus. Am Tisch sitzen Bürgermeister Thomas Alber, Stadtelternbeiratsvorsitzender Stefan Kaul sowie Dr. Stephanie Pfitzner, ebenfalls Mitglied.
Die Stadt plant in der Kinderbetreuung eine 40-prozentige Gebührenerhöhung für Eltern. Die wehren sich entschieden. Herr Kaul und Frau Dr. Pfitzner, als Mitglieder des Stadtelternbeirats, und Herr Alber als Bürgermeister: Stellen Sie bitte Ihre Positionen dar.
Stefan Kaul: 40 Prozent sind nicht tragbar. Mein Lieblingsbeispiel: 5000 Euro Brutto Familieneinkommen. Das bedeutet eine Steigerung von 53 Prozent bei zwei Kindern, eins im U3-Bereich, eins im Ü3-Bereich, wenn sie bis 15 Uhr betreut werden. Da bleibt Netto nicht viel übrig.
Thomas Alber: Ausgangspunkt ist, dass wir die Kinderbetreuung, wie sie im Moment in Rosbach aufgestellt ist, zu 58 Prozent aus städtischen Steuermitteln finanzieren. Das ist eine zu hohe Belastung für den Haushalt. Und einerseits haben wir die Landesvorgabe eines strukturell ausgeglichenen Haushalts, andererseits die Betreuungsqualität, die wir beibehalten wollen. Beides unter einen Hut zu bringen und zu sichern, geht nicht mehr allein über die steuerlichen Mittel.
Aber 40 Prozent auf einen Schlag – woran liegt das? Schlechte Planung?
Alber: Nein, Begünstigungen der Eltern in den vergangenen Jahren und gleichzeitig Ausfall des Bundes und Landes bei der auskömmlichen Finanzierung. Wenn wir schon da wären, wo wir sein sollten, würden wir heute nicht über eine Anpassung in dieser Höhe reden.
Kaul: Das bedeutet also, dass die Eltern heute für die Versäumnisse der vergangenen Jahre zahlen. Eine Erhöhung der Grundsteuer B wäre dann doch gerechter?
Alber: Niemand muss etwas nachentrichten. Aber wir sind gezwungen, auskömmliche Kostenbeiträge zu erheben.
Was spricht gegen eine Erhöhung der Grundsteuer B?
Alber: Das haben wir schon zu Genüge gemacht. Es gibt dafür derzeit keine politische Mehrheit. Wir, Verwaltung und Magistrat, haben vor einem Jahr eine Anhebung von 400 auf 510 Prozentpunkte vorgeschlagen. Schon da hat sich die Politik nur auf 453 Prozentpunkte eingelassen mit dem Kompromiss, dass wir dafür Sachleistungen streichen müssen. Die Grundsteuer müsste jetzt allein auf rund 600 Prozentpunkte steigen, wollte man auf die Maßnahmen in der Kinderbetreuung verzichten.
Kaul: Wir hatten doch 2014 eine große Erhöhung, die können wir nicht wegdiskutieren.
Alber: Was ist groß, was ist klein? Wir holen auf. 2014 haben wir dabei zur Schonung der Geringverdiener dort sogar um 10 Prozent gesenkt. 2015 waren es dann plus 14,3 Prozent – 6,7 Prozent Drittelweitergabe wegen der Personalkostensteigerung und 7,6 Prozent Konsolidierungsbeitrag.
Dr. Stephanie Pfitzner: Wo greifen Sie denn das Problem an? Ich komme aus dem medizinischen Bereich. Da habe ich immer vermieden, eine Symptombekämpfung zu machen. Doch genau das passiert hier. Sie sagen, um die Qualität der Betreuung zu sichern, müssen die Eltern mehr zahlen. Ein Beispiel: Ich habe ein krankes Lebewesen und sage: »Schütten wir einfach Antibiotikum rein, wird schon gehen.« Man hat nicht geguckt, warum es krank ist. Das ist ähnlich wie: Gebührenerhöhung, 40 Prozent. Wieso lassen wir die Betreuung so, wie sie ist, und erhöhen Gebühren, statt das vernünftig anzugehen. Und bei dieser Erhöhung, die wirklich kein Pappenstiel ist, geht es um Eltern, die massiv an ihre Grenzen geraten. Sie tun so, als hätten wir eine übermäßig qualitativ hohe Betreuung. Wir haben nichts anderes als alle anderen Gemeinden auch.
Alber: Wir haben weit mehr.
Kaul: Dann verstehe ich nicht, warum es Probleme in der Kita gibt. Sie haben richtig angefangen, indem Sie gesagt haben: »Wir haben einen Bedarfsplan, bitte macht euch Gedanken.« Das war im Juni. Und im September? Gremienvorlage. Friss oder stirb.
Pfitzner: Wenn ich mit »Kinderland Rosbach« werbe, muss ich doch auch etwas dafür tun. Den Eltern ist bewusst, dass jeder etwas beitragen muss. Aber es muss realistisch bleiben. Im Moment haben wir eine Situation, in der Meinungen aufeinandertreffen. Warum überlegen wir uns keine Lösungen, wenn ich dieses Problem sehe, und ich weiß, dass die Struktur nicht in Ordnung ist, weil sie eben dieses große Minus produziert?
Alber: Ich habe im Dezember darauf hingewiesen: Die U3-Diskussion wird kommen, zum Ausbau und zur Kostenlast. Die ist seit 2009 steigend erkennbar, im Juni haben wir den aktuellen Bericht auf den Tisch gelegt. Dann haben wir im Magistrat darüber beraten, wie wir damit umgehen. Der Magistrat sagte: Wir legen es zur Diskussion hin. Mit einem von uns vorgesehenen Zeitplan und auch der Beteiligung der Arbeitsgruppe Kinderbetreuung.
Pfitzner: Aber es muss doch möglich sein, etwas miteinander zu tun. Haben Sie Kinder?
Alber: Ich habe in verschiedenen Konstellationen in den vergangenen 20 Jahren Kinder mitbetreut. Und ich habe dabei auch Kinder finanziert, die nicht meine eigenen sind, und das immer gerne und selbstverständlich. Der entscheidende Punkt ist, dass wir ein Ziel zu definieren haben. Wo wollen wir die Parameter setzen, was die Beiträge angeht? Und an der Stelle ist unser erstes Ziel, weiterhin 3 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung zu stellen. Das sind 15 Millionen in fünf Jahren, davon erhält jedes Kind 45 000 Euro nur von der Stadt. Es geht darum, dafür zu sorgen, dass wir eine qualitativ hohe Betreuung haben.
Pfitzner: Wir sind wieder bei Symptombekämpfung. Ich verstehe es nicht. Warum stehen wir denn da? Und Sie wollen einfach nur zusehen, dass Sie Ihre Kosten decken?
Kaul: Selbst wenn wir um 40 Prozent erhöhen, ist die Struktur in zwei Jahren immer noch schlecht. Also noch mal 10 Prozent?
Alber: Ich erkenne nicht, dass wir ein strukturelles Problem innerhalb der Kinderbetreuung haben. Die aufgeworfenen Punkte, Catering und Essenseinkauf, die mit Kosten zu tun haben, haben wir geprüft, da ist in der Summe nichts zu holen. Wir haben nach den Ursachen geschaut. Wenn Sie mir jetzt sagen, mit unserem Personalstand würden wir nur aufbewahren statt betreuen, muss ich mir Gedanken machen.
Kaul: Nein, das sagt keiner. Einfaches Beispiel. 40-Prozent-Erhöhung: Da zahlen Eltern von zwei Kitas täglich 30 Minuten umsonst, denn die fangen erst um 7.30 Uhr an. Dann habe ich mehrere Kitas, die um 17 Uhr schließen. Wenn ich sage, ich habe ein Problem, fange ich da an und sage: Jetzt setzen wir Standards, wir gucken in die Kitas. Warum öffnen wir nicht die Kita Luna und Konfetti nur bis 15 Uhr? Da wären die meisten Kinder abgefangen. Und wer Betreuung bis 17 Uhr haben will, muss in die Bergstraße gehen. Das ist für mich Struktur. Warum nicht Module? Man kann doch eine gewisse Flexibilität mit einbringen. Die Eltern sind bereit zu zahlen, aber mit 40 Prozent wird eine Grenze überschritten. Wir haben Münchener Verhältnisse.
Alber: Über die Betreuungsstruktur werden wir in den nächsten Monaten und Jahren entwickelnd weiterreden müssen. In Rosbach gibt es bisher eine Leitlinie, die heißt, die Pädagogik steht oben. Die Pädagogen sagen: »Wir haben ein ausgefeiltes Programm, das lässt sich nur durchführen, wenn die Kinder da sind.« Überspitzt: Ein über den ganzen Tag verteiltes Kommen und Gehen funktioniert nicht. Bei den Kleinen sehe ich das etwas anders, da ist die Pädagogik noch nicht ganz so ausgefeilt. Und hier sehe ich die Problematik. Wenn wir von montags bis freitags ein Angebot machen, das kostenintensiv ist, muss die Möglichkeit bestehen, Teilbuchungen wahrzunehmen. Da bin ich bei Ihnen, deswegen habe ich auch diesen Vorschlag des Elternbeirats aufgenommen. Mindestens, was tageweise buchen angeht.
Pfitzner: Wir wollen doch alle das Gleiche: Sie möchten einen ausgeglichen Haushalt und zufrieden sein im Rahmen der Möglichkeiten, und wir möchten zufrieden sein. Was ist so schwer daran, das anzupacken?
Alber: Das ist ein Prozess. Den machen Sie nicht sofort, der geht über Jahre. Da geht es um zahlreiche Mitarbeiter, um Systeme, das lässt sich nicht alles auf den Kopf stellen.
Pfitzner: Wir reden aber auch irgendwann mal von unseren Kindern, oder? Sie reden immer nur von Ihren Zahlen. Sie verstehen nicht, was es bedeutet, ein Kind zu haben und dafür so zur Kasse gebeten zu werden. In jeder Firma wird sich hingesetzt, wenn es Defizite gibt, es wird geguckt, was sich ändern lässt, und nicht: Wer zahlt?
Alber: Natürlich haben wir uns hingesetzt und geguckt, woran liegt es denn. Und da gibt es Gründe. Der Erste: Wir haben im Vergleich zu anderen Kommunen, bspw. Bad Nauheim, überproportional mehr Betreuungsplätze. Zu jedem dieser Plätze zahlt die Kommune den größten Teil dazu. Zudem haben wir keine freien Träger, die mehr Wettbewerb bringen.
Pfitzner: Warum haben wir die nicht?
Alber: Das war nicht gewollt bisher. Aber langsam kriegen wir es auch.
Pfitzner: Offensichtlich gibt es doch so viele Punkte, die wir jetzt gefunden haben, die wir angreifen und näher betrachten können.
Es gibt aber auch die andere Seite. Die, die sagt: Wer ein Bruttoeinkommen von 8000 Euro hat, kann wohl 760 Euro Kita-Gebühren zahlen.
Kaul: Das ist nur ein Kind, bei zwei Kindern sind das über 1000 Euro, und da sind noch nicht Essensgeld und Hygienepauschale eingerechnet. Denn damit sind wir bei über 800 pro Kind. Und bei 8000 Euro brutto gehen zwei arbeiten, eine Teilzeitstelle lohnt sich dann nicht mehr. Und dann wird eine Diskussion kommen: Ich bezahle 35 Cent für ein Brötchen, jemand der dreimal so viel wie ich verdient, auch.
Alber: Die Diskussion haben wir schon.
Kaul: Diese Diskussion wollen wir im Prinzip alle vermeiden.
Pfitzner: Ich finde, die Frage darf nicht sein, ob wir uns das leisten dürfen. Oder noch besser: Sind uns unsere Kinder das nicht wert? Damit wird das Pferd von hinten aufgezäumt.
Alber: Aber diese Frage müssen wir als Politik schon betrachten.
Pfitzner: Ist Politik nicht sozial?
Alber: Doch, deswegen haben wir diese Einkommensstaffelung, die gibt es nicht überall. Andere haben eine Einheitsgebühr. Reden wir doch mal über die Zumutbarkeit von einer Erhöhung. Das ist meiner Meinung nach eine individuelle Betrachtung. Ich habe eine ganze Reihe von Eltern hier gehabt, ein guter Anteil lag im Einkommen über 8000 Euro, ich hatte aber auch Eltern am Tisch, die mehrere Kinder haben. Ich habe mit ihnen gerechnet. Bei einem Familieneinkommen von 2700 Euro, drei Kindern, eins U3, eins Ü3, eins JJ, dann bin ich bei einer Gebühr von 240 Euro, demnächst wegen der JJ-Anhebung vielleicht 260. Nehmen wir mal die 8000er-Gruppe, auch wieder drei Kinder, da komme ich auf 700 Euro. Wenn ich jetzt die drei Kinder in den U3-Bereich nehme, also Beispiel Drillinge, dann bin ich in diesen Einkommensbeispielen bei 258 Euro bzw.
800 Euro monatlich für alle drei, weil das zweite Kind 50 Prozent kostet, und das dritte Kind ist kostenfrei, das haben sie zwei Jahre lang, und dann geht es im Ü3-Bereich wieder deutlich runter mit der Gebühr bis zur Freistellung im Vorschuljahr. Dazu kommen Steuerentlastungen und Kindergeld.
Was sind die Alternativen beim Haushaltsausgleich, wenn die Gebührenerhöhung am 8. November in der Stadtverordnetensitzung abgelehnt wird?
Alber: Es wird nicht so sein, dass am 8. November eine Erhöhung abgelehnt wird. Und wir sagen im Magistrat sowieso, dass die 40 Prozent im Ü3-Bereich, also bei den Drei- bis Sechsjährigen, nicht zwingend kommen müssen.
Kaul: Also war es von Anfang an so: Wir gehen mal mit 40 Prozent in die Diskussion, gucken, was passiert, und schieben dann am Ende 20 Prozent rein. So kalkuliert läuft das?
Alber: Nein, das ist so nicht richtig. Magistrat und Verwaltung geben eine Vorlage heraus, die geht in den politischen Prozess. Das ist demokratische Meinungsbildung. Wir sind doch schon weitergekommen, die Anregung des U3-Sharings ist aufgenommen worden. Und im Moment wird diskutiert, ob die Getränkepauschale noch beibehalten wird.