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Ein ganz eigener Groove

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Nidda (ema). 500 Zuhörer - gut besucht wie gewohnt startete »Nidda literarisch« in die neue Saison. Wieder gelang es, junge Leute als »Ersthörer« in die Reihe zu locken. Die Kultserie »Stromberg« des Privatsenders ProSieben wurde greifbar nahegerückt: Auf die Bühne kamen der Autor Ralf Husmann und einer der Hauptakteure, Berthold »Ernie« Heisterkamp, verkörpert vom Schauspieler Bjarne Mädel.

Sie hätten von der Stadt vorher nichts anderes gekannt als die Autobahnausfahrt Nidda-Hungen-Schotten, meinte Husmann im Vorgespräch mit Moderatorin Dr. Cordelia Borchardt, und skandierte die Silben: »Das hat einen ganz eigenen Groove, klingt wie ein Rap!«

Es kann eine schwere Last sein, als Humorspezialisten in eine Literaturreihe zu kommen. Ein Pflichtteil an Gags ist zu absolvieren, eine zweistellige Lachsalvenzahl muss aus dem Saal dringen. Von derlei Verkrampftheiten sind Husmann und Mädel gleichermaßen entfernt. Witz, Schlagfertigkeit, Formulierungskunst scheinen ihnen angeboren. Husmann wollte nie zum Fernsehen (»... ist so hohl und oberflächlich...«) und wurde Autor für die Harald Schmidt-Show, für »Stromberg« und »Dr. Psycho«. Mit »Nicht mein Tag« hat er ein erstes Buch veröffentlicht und das zweite, »Vorsicht vor Leuten«, eben erschienen, druckfrisch nach Nidda mitgebracht. Mit »Der kleine Mann« schuf er eine weitere Serie, in deren Mittelpunkt Bjärne Mädel steht, auch hier wieder wie in »Stromberg« als sympathischer Verlierer. Verblüffend: Mädel wird bald Lyrik veröffentlichen, Knittelverse, am Strand entstanden, in Heinz Erhardscher Manier.

Die beiden sind ein eingespieltes Duo. Meint Mädel: »Es ist jedes Mal ein Fest, wenn du ein Drehbuch von Ralf Husmann kriegst - ist natürlich auch hohl und oberflächlich...« Und Cordelia Borchardt fand eine treffende Formel für das Komische an Husmanns Figuren: »Scheitern als Lebensform.«

Wirklich gute Komödien sind immer ein wenig tragikomisch, und ein solcher Hauch liegt auch über Lorenz Brahmkamp, der Hauptfigur von »Vorsicht vor Leuten«. Abschnittweise lasen Husmann und Mädel aus dem Roman. »So lange ein Mann sich noch eine Bratwurst macht, so lange hat er noch nicht aufgegeben...« - immer mehr baute sich die Welt des kleinen Sachbearbeiters auf, von seiner Frau Kathrin frisch verlassen, auf der Abschussliste seines Chefs im Referat Planung und Bauaufsicht der Stadt Osthofen: »Mangelnder Ehrgeiz, zu viele Fehltage, zu viele Ausreden.« Denn Brahmkamp hat zwei Waffen im Kampf des Daseins: Reimen und Lügen.

Mit Reimen hat er Kathrin erobert, und mit Reimen versucht er, sie zurückzgewinnen, wenngleich ihm nichts wirklich Verführerisch-Romantisches gelingen will: »Wie der Fisch am Angelköder/ Wie am Kanzleramt der Schröder/ Wie der Selbstmörder am Strick/ Häng ich an dir, Du dummes Stück.« Nun ja...

Erfolgreicher ist er da schon im Schwindeln, wenn das Leben wieder allzu grausame Anforderungen an ihn stellt. So soll er den potenziellen Großinvestor Schönleben zu Kauf und Neubebauung einer alten Bauschuttdeponie überreden - ein Sanierungs-Wohlstands-Arbeitsplätze-Projekt für die Stadt Osthofen. Unversehens sieht er sich vom demonstrativ Dynamisch-Erfolgreichen in Trikot und Turnschuhe gedrängt und zum Joggen gezwungen. Da hilft auch seine Ausrede: »Hab was am Rücken - spinale Karthose« überhaupt nicht.

Wer eine Frau liebt, muss um sie kämpfen. Brahmkamp tut das im Baumarkt - mit dem Kauf eines neuen »Duschtempels Sanistar de Luxe«, in Mitnahmepackung für den Heimwerker. Immer hat sich Kathrin ein edleres Bad gewünscht. Der Montagekampf Brahmkamps ist eine der genialsten Szenen des Buches. Eine Fliese springt, es fehlt die Fugenmasse. Also zurück in den ohnehin von ihm gehassten Baumarkt und wieder zur Baustellen-Walstatt mit der Fugenmasse »Manhattan« und ihrer in spanisch verfassten Gebrauchsanleitung: »Lorenz überlegt, ob es in Manhattan einen Baumarkt gibt, in dem Fugenmasse angeboten wird, die ›Osthofen‹ heißt, weil es so exotisch klingt...«

Das Publikum reagiert mit Spontanapplaus und das mehrfach an diesem Abend. Um anschließend flugs zum Signiertisch der beiden Vorleser zu eilen!

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