»Liebe! Liebe! laß mich los!«

Geschichten über die Liebe gibt es unzählige. Sie handeln von Leidenschaft, von Glück, aber auch von Leid. Ein Gang durch die Literaturgeschichte zeigt, dass die Liebe schon immer ein zentrales Thema des Lebens und damit in Erzählungen gewesen ist. Für unsere Serie hat die Bad Nauheimer Literaturwissenschaftlerin Dr. Jasmin Behrouzi-Rühl eine Auswahl für Buchliebhaber zusammengestellt.
In jedem guten Buch steckt eine Menge Energie, sagt Dr. Jasmin Behrouzi-Rühl. Energie, die der Autor hineingesteckt hat, um eine gute Geschichte zu erzählen, sprachlich ausgefeilt, detailreich konstruiert. »Als Leser können wir diese Energie für uns herausziehen.«
Das gilt für viele Lebenslagen - für gute und schlechte Zeiten - und oft auch in Liebesdingen. Aber was hat es mit Liebesromanen auf sich? »Unter diesem Aspekt habe ich Literatur noch gar nicht betrachtet«, sagt Jasmin Behrouzi-Rühl. »Aber oft ist es schade, wenn die Liebe nicht in Romanen vorkommt.«
Der erste Liebesroman, den sie gelesen hat? Sie überlegt eine Weile. »Mit 18 habe ich über ein Jahr ›Auf der Suche nach der verlorenen Zeit‹ von Marcel Proust gelesen. Die Liebe spielt darin eine große Rolle.«
Es ist nur eines von Hunderten Büchern, die in ihren Regalen stehen. Die Bad Nauheimerin liebt Bücher. Und kennt sich mit ihnen bestens aus. Als Literaturwissenschaftlerin ist sie stets unterwegs, um andere Menschen mit ihrer Liebe zu Büchern anzustecken, sie zu begeistern und sie zu inspirieren.
Für unsere Serie stellt sie nun die Liebe in den Mittelpunkt. Jasmin Behrouzi-Rühl hat einige ihrer Lieblingsbücher zu diesem Thema zusammengesucht.
Die Liebe in der Literatur: Was fällt Ihnen als erstes dazu ein?
Dr. Jasmin Behrouzi-Rühl: Es gibt eine Reihe von legendären Liebespaaren: Romeo und Julia, Tristan und Isolde, Leila und Madschnun. Sowie daneben die großen an der Liebe und der Gesellschaft gescheiterten Frauenfiguren: Effi Briest, Emma Bovary, Anna Karenina Ihre Schicksale zeigen schon, dass die Liebe in der Literatur meist nicht gut ausgeht. Dazu passen die Ausführungen des amerikanischen Autors Jeffrey Eugenides, der einen Sammelband mit großen Liebesgeschichten der Weltliteratur herausgegeben hat: »Eine Liebesgeschichte kann nie von echter Erfüllung handeln. Die glückliche Ehe, die erwiderte Liebe, die Sehnsucht, die nie vergeht - das sind glückliche Eventualitäten, aber keine Liebesgeschichten. Liebesgeschichten brauchen Enttäuschung, die ungleiche Geburt und die Familienfehde, die eheliche Langeweile und mindestens ein kaltes Herz. In Liebesdingen üben sich Liebesgeschichten fast ausnahmslos in übler Nachrede.«
Ich bin Dein
Doch es gibt auch Ausnahmen. Jasmin Behrouzi-Rühl fallen auf Anhieb einige ein. »Etwa die Romane von Jane Austen.« Ein weiteres Beispiel, das sie nennt, steht sogar am Beginn der deutschsprachigen Literatur.
Behrouzi-Rühl: Diese Zeilen schließen sich, als eine Art deutsche Zusammenfassung, an einen lateinischen Brief an, dessen Autorin eine Nonne sein soll. Der Adressat ist ein Mönch. Und die ganze Handschrift stellt eine lateinische Musterbriefsammlung des Klosters Tegernsee dar, die aus dem 12. Jahrhundert stammt. Man weiß also nicht so recht, was genau man da vor sich hat, aber verstehen kann man es bis heute gut, und so gilt dieser kleine Text als einer der populärsten des Mittelalters:
»Dû bist mîn, ich bin dîn. / des solt dû gewis sîn. / dû bist beslozzen / in mînem herzen, / verlorn ist das sluzzelîn: / dû muost ouch immêr darinne sîn.«
Die Qualen der Leidenschaft
Doch, sagt Behrouzi-Rühl: »Die Literatur weiß auch sehr gut Bescheid über die Qualen, die einem die Leidenschaft bereiten kann, wenn man sich nicht mehr selbst gehört. Das zeigen diese aufgewühlten Verse des jungen Goethe:
Neue Liebe, neues Leben
Herz, mein Herz, was soll das geben?
Was bedränget dich so sehr?
Welch ein fremdes, neues Leben!
Ich erkenne dich nicht mehr.
Weg ist alles, was du liebtest,
Weg, warum du dich betrübtest,
Weg dein Fleiß und deine Ruh -
Ach, wie kamst du nur dazu!
( )
Muß in ihrem Zauberkreise
Leben nun auf ihre Weise.
Die Verändrung, ach, wie groß!
Liebe! Liebe! laß mich los!«
Überdrüssig
Die erste Szene aus einem Roman, die Behrouzi-Rühl in den Sinn kam zum Thema Liebe in der Literatur: eine Stelle aus dem Kapitel »Eine Liebe von Swann«.
Behrouzi-Rühl: Das ist ein großes Kapitel im ersten Band der »Suche nach der verlorenen Zeit« von Marcel Proust: Über Hunderte von Seiten ringt Swann mit seiner letztlich irgendwie konstruierten Liebe zu der Kurtisane Odette de Crécy. Es ist ein aufgewühltes Hin und Her von Liebe, Hass, Eifersucht und Gleichgültigkeit. Aber auch von Leidenschaft. Und als er sie schließlich bekommt (sie wird seine Frau), ist er ihrer sofort überdrüssig und möchte sie gar nicht mehr haben.
»Von diesem Abend an begriff Swann, daß Odettes Gefühle für ihn nicht wiederkehren, daß seine Hoffnungen auf Glück sich niemals erfüllen würden.«
Zum Scheitern verurteilte Liebe
Eine Liebesgeschichte, die zu Jasmin Behrouzi-Rühls Favoriten gehört, ist »Die Dame mit dem Hündchen« von Anton Tschechow.
Behrouzi-Rühl: Dmitri Dmitritsch Gurow hat in der Sommerfrische auf Jalta die junge Dame, die ihm auf der Promenade mit ihrem Hündchen mehrfach begegnet war, verführt, ganz so, wie er es wohl schon öfter mit anderen jungen Frauen getan hatte. Doch dieses Mal geschieht etwas mit ihm. Er reist ihr nach, und sie treffen einander. Kurz vor dem rätselhaften Ende, das den Leser hin- und herschwanken lässt, wie die Geschichte wohl ausgehen wird, begegnen wir den beiden: »Anna Sergejewna und er liebten einander wie zwei sich sehr nahestehende, vertraute Menschen, wie Ehegatten, wie zärtliche Freunde; sie glaubten, das Schicksal selbst habe sie füreinander bestimmt, und verstanden nicht, weshalb sie beide verheiratet waren; sie waren wie zwei gefangene Zugvögel, Männchen und Weibchen, die man zwang, in zwei verschiedenen Käfigen zu leben.«
Partnertausch
In eine ganz andere Welt, erzählt Jasmin Behrouzi-Rühl, führt der Roman »Ehepaare« von John Updike.
Behrouzi-Rühl: Weltweit verdankt der Autor diesem Buch seinen Durchbruch, seine Berühmtheit - und seinen Ruf als Meister in der detaillierten Darstellung erotischer Szenen. Dabei sollte die Geschichte mehrerer Ehepaare des Jahres 1962 in der fiktiven Kleinstadt Tarbox in Neuengland nahe Boston ursprünglich nur eine Erzählung werden. Es wurde aber ein Roman, der den Lesern einen tage- und nächtelangen Blick durch verschiedene Schlüssellöcher erlaubt. Besonders markant ist der eheliche Partnertausch zwischen den Paaren Frank und Janet sowie Harold und Marcia, der dadurch angeregt wird, dass zunächst Harold und Janet heimlich miteinander schlafen. Eine Weile ist der zeitweilige Tausch für alle vier reizvoll. Doch irgendwann beginnt es in Janet zu nagen: »Tiefer noch als alle moralischen Vorbehalte lauerte in ihr der Verdacht, Marcia sei sinnlicher, sei besser im Bett als sie. Janet sah nicht ein, daß sie zwei unzulänglichen, unbequemen Männern zu Willen sein sollte, nur damit Marcia in allen Ehren eine Nymphomanin sein konnte.«
Glückliche Liebe
Ein Buch jedoch, von dem die Literaturexpertin erzählt, handelt von einer glücklichen Liebe: »Salz und sein Preis« (oder »Carol«) von Patricia Highsmith. Das Buch ist 1952 erschienen. Und darin wird die Geschichte einer lesbischen Liebe erzählt.
Behrouzi-Rühl: Diese Liebe zwischen der jungen, 19-jährigen Therese, die Bühnenbildnerin werden möchte und in einem Warenhaus in der Puppenabteilung jobbt, und der verheirateten, etwas älteren Carol, sollte nicht scheitern. Dazu war sie auch einfach zu schön: »Der schwere und leicht süße Duft ihres Parfums wehte wieder zu Therese, ein Duft wie von dunkelgrüner Seide, der ihr allein gehörte Am liebsten hätte sie den Tisch weggeschoben und wäre ihr in die Arme gesprungen, um die Nase in dem grüngoldenen Schal zu vergraben, der eng um ihren Hals geschlungen war.«
Buchtipps für alle Lebenslagen geben übrigens Ella Berthoud und Susan Elderkin in »Die Romantherapie«. Von A wie Angst über L wie Liebeskummer bis Z wie Zahnschmerzen haben sie passende Lesetipps.