Erneuerte Erinnerungen

Bei der Sanierung der Groß-Karbener Bahnhofstraße sind Stolpersteine kaputt gegangen. Sie waren zum Gedenken an jüdische Mitbürger ins Trottoir eingefasst worden. Nun sind sie erneuert worden.
Fast ein Jahr ist es nun her, dass an der Groß-Karbener Bahnhofstraße Arbeiter den Ton angegeben haben. Die Straße ist völlig erneuert worden. Paletten mit Material lagerten damals vor den Häusern Nummer 4 und Nummer 31. Dabei sind die dortigen Stolpersteine verkratzt und beschädigt worden. Die Messingplatten, auf denen Namen, Jahrgänge und die weiteren Schicksale der ehemaligen jüdischen Bewohner, die in der Nazi-Zeit verfolgt, vertrieben und zum größten Teil ermordet wurden, eingraviert sind, waren unansehnlich geworden. Von Mutwillen möchte jedoch niemand sprechen, auch nicht der Initiator der Stolpersteine in Karben, Hartmut Polzer.
»Mir ist es deshalb aufgefallen, weil ich die Steine vorher noch geputzt hatte«, erzählt der Klein-Karbener. »Regressforderungen hätte man ohnehin nicht adressieren können. Bei den Baumaßnahmen an der Bahnhofstraße waren ja schließlich mehrere Firmen involviert«, sagt er. Gut sei, dass die Stadt Karben unkompliziert die Kosten fürs Anschaffen der neuen Stolpersteine übernommen habe.
Nach Jahren der Recherche kennt Polzer viele tragische Geschichten hinter den zehn mal zehn Zentimeter großen Messingplatten, die in die Bürgersteige eingelassen sind. Das ist schmerzhaft und bedeutet ihm doch so viel, denn es gehört längst zu seinem Leben dazu. »In zehn Jahren Forschung auf diesem Gebiet erfährt man Dinge, die teilweise irre sind«, sagt er.
Von Ermordeten und Überlebenden
Über die ehemaligen Bewohner in der Bahnhofstraße Nummer 4 gibt es nicht allzu viele Informationen. In dem Haus wohnte Adelheid Grünebaum mit ihrer Tochter Lili. Nach der Reichspogromnacht 1938 flohen beide nach Hamburg-Altona, wo die Mutter verstarb. Lili Grünebaum wurde am 25. Oktober 1941 in das Getto Litzmannstadt (Lodz) deportiert und ermordet.
Ausführlicher ist das Schicksal von Bella Vogt aus der Bahnhofstraße 31 überliefert. Sie war seit dem Jahr 1919 mit dem Reichsbahnbeamten Karl Vogt verheiratet und führte eine Mischehe. Ihr Mann war kein Jude. Zusammen lebten sie bei ihrem Onkel Isidor Kahn, der auf dem Grundstück eine Spenglerei betrieb.
Bella Vogt habe nicht am religiösen jüdischen Leben teilgenommen und sich auch nicht als Jüdin gefühlt, weiß Hartmut Polzer. Noch Anfang der 1930er Jahre sei sie zum Beispiel in der NS-Volkswohlfahrt aktiv gewesen. »Wegen ihres »arischen« Ehemannes blieb sie zunächst von Repressalien verschont«, erläutert er weiter. Während des Novemberpogroms hatte die jüdische Familie Junker im Haus gegenüber schwer zu leiden. Voller Angst verbarrikadierten sich die Vogts zusammen mit den anderen Bewohnern. Doch der Mob zog weiter durch den Ort und ließ das Haus unangetastet.
Wenige Wochen vor Kriegsende wurde sie trotzdem noch in das Getto Theresienstadt deportiert, wo ihr Onkel Isidor Kahn vorher gestorben war. Bella Vogt hatte Glück und überlebte die letzten Wochen bis zur Befreiung durch die Rote Armee. Danach ging sie zu ihrem Ehemann nach Groß-Karben zurück, in jenes Dorf, wo sie jeden Täter und jeden Mitläufer vom Gesicht her kannte. Sie starb 1977 und wurde auf dem christlichen Friedhof beerdigt.
Hartmut Polzer möchte, dass das Wissen darüber erhalten bleibt. Ihn beschäftigt die Frage, wie das Projekt Stolperstein-Initiative weiterhin aussehen soll. Konkret möchte er dazu noch nichts sagen. Klar ist aber auf jeden Fall, dass er persönlich weitermachen wird. »Bis ich irgendwann sterbe«, verspricht er. Polzer freut sich auf die Zeit nach der Pandemie, wenn er Schülerinnen und Schülern die Judenverfolgung in Karben näherbringen kann. Das sei ein elementarer Aspekt für ihn.
61 Stolpersteine in Karben
Insgesamt liegen in Karben 61 Stolpersteine. Allein in der Bahnhofstraße in Groß-Karben sind es 21, weil dort die meisten jüdischen Familien wohnten. Je zwei Steine findet man vor den Hausnummern 4, 20 und 31; drei Steine vor den Hausnummern 34 und 51 und vier Steine bei Nummer 24 und 47. Ein weiterer Stolperstein befindet sich vor dem Haus Bahnhofstraße 6. Dort wohnte der letzte Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Groß-Karben, Moritz Grünebaum. Er wurde 1941 in das Getto Lodz verschleppt und ermordet.
In der Heldenberger Straße 10, wo bis zur Reichspogromnacht 1938 die Groß-Kärber Synagoge stand, gibt es eine sogenannte »Stolperschwelle«. Auf weitere Gedenktafeln trifft man in der Heldenberger Straße, Parkstraße, Wilhelmstraße sowie in der Wächtergasse. jsl