Spiegel einer fernen Zeit

Glauburg (pm). Wer die Sonderausstellung »Kelten Land Hessen« auf dem Glauberg besucht, dem wird bald klar, wie sehr das Leben der Menschen, die wir heute mit 2500-jährigen Abstand als Kelten bezeichnen, unserem eigenen geglichen haben muss. Was auf dem ersten Blick banal wirkt, ist bei genauerem Nachdenken oftmals von großer Bedeutung, allen technologischen und kulturellen Unterschieden zum Trotz.
Etwa welche Feldfrüchte die Kelten anbauten und welche Tiere sie hielten, um sich zu ernähren. Was sie für Handwerk betrieben, um sich ein Auskommen zu sichern und Handel zu treiben. Oder wie sie sich das Jenseits vorstellten, also sich die seit Urzeiten elementare Frage stellten: Was kommt nach dem Tod, und wie kann ich mich darauf vorbereiten?
Körperhygiene und Kulturgut
Ein Stück in der Ausstellung nimmt dabei einen besonderen Platz ein. Der erstmals ausgestellte sogenannte Hochheimer Spiegel ist nicht nur ein Beleg für das künstlerische Geschick der Kelten, sondern er eröffnet auch einen ganzen Horizont an Fragen. Denn ein Spiegel dient nicht nur im weitesten Sinne der Körperhygiene, sondern ist als ein Objekt menschlicher Kultur auch Träger bestimmter Bedeutungen.
Gab es in der Zeit seiner Herstellung ein Schönheitsideal, dem man nachzueifern pflegte? Ging der Kontakt zum Mittelmeer über das Handeln von Rohstoffen und Luxusgegenständen hinaus? Importierte man auch Kleidungsstile, Haarmoden und frühe Formen der Kosmetik? Ermöglichte der Blick in den Spiegel darüber hinaus Fragen an das eigene Ich? Konnten Mann oder Frau darin eine eigene Identität erblicken, also letzten Endes nach den großen philosophischen Antworten suchen auf Fragen wie »Wer bin ich?« Dies alles ist nur Spekulation, da heute nur noch der Spiegel bleibt und sein Besitzer oder seine Besitzerin Rätsel aufgeben.
Bekannt ist, dass der Spiegel im Jahr 1932 in einem Weinberg bei Hochheim durch zwei Arbeiter zufällig entdeckt wurde. »Zu dieser Zeit wurde auf dem Flurstück ›Am Falkenberg‹ durch zwei Brüder eine Parzelle des Weinbergs gerodet, wobei man in etwa 60 bis 70 Zentimeter Tiefe auf den Spiegel stieß«, berichtet Tanja Zobeley vom Otto-Schwabe-Heimatmuseum in Hochheim. »Bis auf eine Tonflasche und etwa 50 Steine, die vermutlich Teil einer Steinsetzung waren, entdeckte man in der Nähe des Spiegels keine weiteren Funde.«
Trotzdem ist der Spiegel ein spektakuläres Objekt. Laut Zobeley, die mit Hochheims Bürgermeister Dirk Westedt und einer Delegation aus der Kommunalpolitik von Museumsleiterin Vera Rupp vor wenigen Tagen durch die Sonderausstellung auf dem Glauberg geführt wurde, gibt es nur vier weitere Exemplare solcher Spiegel in ganz Mitteleuropa. »Die Herstellung oder der Kauf eines solchen Luxusgegenstandes setzt eine wohlhabende Persönlichkeit voraus, also vermutlich eine adlige Dame oder eine Fürstin«, erklärte Zobeley. »Spiegelfläche und die menschliche Figur wurden dabei aus Bronze gegossen, wahrscheinlich in einer Werkstatt im Rhein-Main-Gebiet.«
Kunstfertigkeit der Kelten
Fasziniert zeigte sich die Hochheimer Delegation von der detailreichen Darstellung des menschlichen Körpers, der sowohl die Spiegelscheibe hält als auch das Endstück des nicht erhaltenen Griffs bildete. »Der Gesichtsausdruck, die Position der Arme und die ausgestreckten Hände lassen auf Vorbilder aus dem griechischen oder etruskischen Raum schließen«, ergänzte Rupp. »Ähnliche Spiegel aus dem frühen 4. Jahrhundert vor Christus fand man nur an Rhein und Marne sowie in Bologna und Yorkshire. Ein solcher Fund lässt darauf hoffen, dass sich in Hochheim noch ähnliche Schätze im Boden verbergen.«
Für Zobeley steht der Spiegel einerseits für die ausgefeilte Kunstfertigkeit der Kelten, andererseits für ihr kulturelles Selbstbewusstsein, Einflüsse aus dem Mittelmeerraum mit ihren Traditionen zu verbinden und somit zu einem eigenständigen Stil zu entwickeln. Die entscheidende Frage bleibt jedoch weiterhin unbeantwortet: Wer war es, der sich im Spiegel vor 2500 Jahren betrachtete? FOTO: KELTENWELT