Weg vom Alkohol, zurück ins Leben: Neue Selbsthilfegruppe in Friedberg

Robert (Name von der Redaktion geändert) gehört zu den Initiatoren einer neuen Selbsthilfegruppe der Anonymen Alkoholiker in Friedberg. Er hat den Weg aus der Sucht geschafft.
Friedberg – Der »Kleine Prinz« fragt den Säufer, warum er trinkt. Die Antwort: Weil er vergessen will, dass er sich schämt. Und warum schämt er sich? Weil er säuft. Die Katze beißt sich in den Schwanz - in dieser Episode des großen Werks von Antoine de Saint-Exupéry - und im echten Leben. Robert (Name von der Redaktion geändert) weiß, wie sich die Spirale eines Alkoholikers immer weiter dreht. »Wir kommen immer mehr in die Isolation, bis wir irgendwann ganz alleine sind«, sagt der 62-Jährige, der in Friedberg eine Gruppe der Anonymen Alkoholiker ins Leben gerufen hat. Am Sonntag, 5. September, findet das erste Treffen statt (siehe Info-Kasten).
Robert geht es im Gespräch mit dieser Zeitung vor allem darum, dass es einen Weg aus der Sucht gibt, dass man ihn in einer Runde mit Menschen, denen es ähnlich geht, schaffen kann. Im Zentrum steht das »Blaue Buch«. Das Werk, erstmals 1939 in den USA erschienen, ist quasi die »Bibel« der Anonymen Alkoholiker. Wobei Robert betont, dass man für den Weg aus der Sucht nicht an Gott glauben müsse. In der Präambel der Anonymen Alkoholiker beziehungsweise des Blauen Buches steht: »Die einzige Voraussetzung für die Zugehörigkeit ist der Wunsch, mit dem Trinken aufzuhören.«
Robert hat es geschafft, ist seit 20 Jahren trocken. »Ich führe heute ein glückliches und zufriedenes Leben«, sagt er. Er habe eine wunderbare Partnerin, einen Sohn und einen Job. Er müsse sich nicht mehr streiten, niemanden mehr beschuldigen.
Neue Selbsthilfegruppe in Friedberg: Ein Weg aus der Alkoholsucht
»Ich war als Kind emotional gestört, hatte auch einen trinkenden Vater«, sagt Robert. »Meine Mutter hat versucht, alles unter dem Deckel zu halten.« Er selbst habe keine Entscheidungen treffen können, sei emotional nicht zurechtgekommen, habe die Lehre geschmissen, vermeintliche Freunde gesucht, die getrunken, aber keine Verantwortung übernommen haben. »Ich habe praktisch in der Nullzeit gelebt, da ist nichts passiert außer saufen«, sagt Robert. Mal ging er arbeiten, mal flog er aus dem Job, mal kündigte er selbst. Es folgten Therapien und Entgiftung. »Ich konnte in der Gesellschaft nicht Fuß fassen«, blickt der heute 62-Jährige zurück. Er sei mit dem Gefühl, dass andere Menschen ihn mögen, nicht zurechtgekommen, stattdessen habe er Konflikte gesucht. »Der Alkoholiker ist ein Mensch, der alles schön aufgebaut hat und es mit einem Faustschlag von einem Moment auf den anderen zerstört.«
Man baue ein Gebilde auf, lüge, betrüge, stehle, zeige keine Verantwortung, stelle sich immer als Opfer dar, sagt Robert. »Wir sind eigentlich Schauspieler, während wir saufen.« Werde ein Alkoholiker gefragt, ob er getrunken habe, verneine er dies, obwohl die Fahne offensichtlich sei. »Wir verstecken unseren Alkohol überall, haben unsere geheimen Depots.« Man prahle, werte sich auf. Dabei geht es mit einem doch immer mehr bergab.
Neue Selbsthilfegruppe in Friedberg: Mit „Blauem Buch“ gegen die Alkoholsucht
Bei den Anonymen Alkoholikern gehe es auch darum, das alkoholische Verhalten, dieses Lügen, das Schauspielern abzulegen, erklärt Robert, und Demut zeigen, sei wichtig. »Sich nicht größer machen und sich nicht kleiner machen.«
Auf dem steinigen Weg aus der Sucht heraus hilft das Zusammensein in der Gruppe sehr. Mit Menschen reden, die einen verstehen, weil sie ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Und gemeinsam die zwölf Schritte gehen, die im Blauen Buch vorgegeben sind. Der erste Schritt ist die Kapitulation: Zugeben, dass man dem Alkohol gegenüber machtlos ist, das Leben nicht mehr meistern kann. In Schritt zwei geht es um die höhere Macht, mit deren Hilfe man es doch schaffen kann, vom Alkohol wegzukommen. Man könne zum Beispiel die Gemeinschaft in der Selbsthilfegruppe als höhere Macht nehmen, erläutert Robert.
»Es ist ein Weg der Genesung und niemals ein Weg der Heilung, Alkoholismus ist nicht zu heilen«, sagt Robert. Dennoch führt er selbst ein glückliches Leben, kann sogar über den Weihnachtsmarkt gehen, ohne Verlagen nach einem Glühwein zu bekommen. Roberts Leben ist jetzt anders, freier, voller anderer Prioritäten. Eine entscheidende Sache hat sich dabei auch geändert: »In eine Kneipe gehe ich gar nicht mehr. Ich weiß ja gar nicht, was ich da machen soll.«
Die Treffen der Selbsthilfegruppe
Am Sonntag, 5. September, kommt die neue Selbsthilfegruppe der Anonymen Alkoholiker (AA) in Friedberg erstmals im Gemeinderaum der Stadtkirche (Eingang Große Köhlergasse) zusammen. Die Treffen finden dort immer sonntags um 18 Uhr statt. An jedem ersten Sonntag im Monat ist die Zusammenkunft als offenes Treffen gestaltet. Dann können auch Menschen kommen, die selbst keine (trockenen) Alkoholiker sind, sich aber für das Thema interessieren. Bei diesen Gelegenheiten sind auch Ärzte, Psychologen, Therapeuten willkommen. Für Anfragen von wissenschaftlichen, medizinischen oder religiösen Organisationen sind die Initiatoren der Gruppe sehr dankbar. »Die Selbsthilfegruppe ist auch ein schönes Werkzeug für nach der Therapie«, sagt Robert (Name von der Redaktion geändert). Die Selbsthilfegruppe der Anonymen Alkoholiker in Friedberg kennt keine Mitgliedsbeiträge oder Gebühren. Sie erhält sich durch eigene Spenden. Die Gruppe wird unterstützt von der Selbsthilfe-Kontaktstelle des Wetteraukreises. Nähere Informationen gibt es unter: selbsthilfe.wetterau.de oder unter der Telefonnummer 0 60 31/83 23 45. Wer sich über die Gruppe informieren möchte, kann auch unter der folgenden Mobilnummer anrufen: 01 57/30 18 42 28.
Im Juni hat eine Butzbacherin eine Selbsthilfegruppe für Betroffene von Endometriose gegründet.