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Die Seele des Serienmörders

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Eine Lesung mit Heinz Strunk ist immer lebendig.	(Foto: hed)
Eine Lesung mit Heinz Strunk ist immer lebendig. (Foto: hed) © David Heßler

Friedberg (hed). Wer zu einer Lesung mit Heinz Strunk geht, muss sich auf harte Kost einstellen. Warum sein neuer Roman »Der Goldene Handschuh« trotz verstörender Vulgärsprache von ernst zu nehmenden Kritikern gefeiert wird, konnten die Zuhörer bei »Friedberg lässt lesen« am Samstag in der Ovag-Zentrale leicht nachvollziehen.

»Starker Tobak – aber großartige Literatur«, meinte auch Ovag-Sprecher Andreas Matlé nach 90 Minuten, in denen Strunk eine Art Hörspiel-Kurzversion des Buches präsentierte, für das der Hamburger am 6. November mit dem renommierten Wilhelm-Raabe-Literaturpreis ausgezeichnet wird. Zuvor war der Roman schon für den Preis der Leipziger Buchmesse 2016 nominiert worden.

Bislang waren Heinz Strunks Bücher (»Fleisch ist mein Gemüse«) stets autobiografisch geprägt. Er, als junger Mann selbst von Akne und Selbstzweifeln geplagt, verstand es stets vortrefflich, die sich bisweilen in der Adoleszenz auftuenden Abgründe auf humorvoll-derbe Art zu veranschaulichen. Die Thematik sei nun aber »wie eine Zitrone ausgequetscht«, meinte Strunk vor Beginn der Lesung. Er selbst hat mit der Suche nach einem neuen Protagonisten-Typ einen Entwicklungsschritt gemacht.

WC-Steine gegen Leichengestank

Im Serienmörder Fritz Honka hat er einen neuen Anti-Helden gefunden. Jener Honka, der in der Reeperbahn-Spelunke »Zum goldenen Handschuh« zum »FaKo«-Saufen (Fanta-Korn, im Mischverhältnis 1:1) ging. Der Frauen versklavte, missbrauchte, schließlich tot schlug und ihre zerstückelten Leichen in seiner Wohnung versteckte und Massen an WC-Steinen mit Fichtennadelduft aufstellte, um den bestialischen Gestank zu übertünchen.

Als 13-Jähriger habe er den Gerichtsprozess miterlebt, erzählte Strunk dem Friedberger Publikum. Er erinnere sich, wie sich Jugendliche den »Honka-Gru? zeigten. Händeschütteln und dann eine sägende Bewegung durch die Kehle. 40 Jahre später wird Strunk selbst Stammgast im »Handschuh«, um für das Buch zu recherchieren. Er spricht mit den wenigen Zeitzeugen, die sich nicht zu Tode gesoffen haben, und erhält Einsicht in die 18 beim Staatsarchiv gelagerten Prozessordner. Daraus strickt er eine fiktive Lebensgeschichte Honkas, die den Leser oft die Gratwanderung zumutet, Mitleid mit einem offensichtlich gestörten Triebtäter zu haben. Strunk wagt mit viel Empathie den Blick in die Seele des Serienmörders, ohne dabei die Frage nach dem »Warum« zu stellen oder gar zu beantworten.

Die aus Täterperspektive geschilderten Vergewaltigungsszenen ließ er während der Lesung aus. Angesichts der lebendigen Darstellungsform – der Autor spricht die Hörbuch-Fassungen seiner Bücher stets selbst – wäre das wohl auch nur schwer zu ertragen gewesen. Mehr Spaß machte es da, sich von einem weiteren Talent des Hamburgers zu überzeugen. Der nahm – quasi als Schlussakkord zum zuvor geschilderten Mord Honkas an Frieda Roblick – die Querflöte zur Hand und spielte die Melodie des Schlagers »Es geht eine Träne auf Reisen«, der oft im Roman vorkommt. Und womöglich bald im Kino: Kürzlich wurde bekannt, dass der Hamburger Regisseur Fatih Akin den »Goldenen Handschuh« verfilmen möchte.

Die nächsten Termine bei »Friedberg lässt lesen«: Otto A. Böhmer am Donnerstag, 3. November, und Claudia Ott (»Das glückliche Ende«) am Dienstag, 15. November.

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