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Nicola Hallmann hat ihren Sohn verloren - jetzt hilft sie anderen verwaisten Eltern

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Von: Larissa Wolf

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Trotz des Verlustes ihres Sohnes hat Nicola Hallmann weiter im Schwalheimer Restaurant Brunnenwärterhaus gearbeitet, das sie mit ihrem Lebensgefährten Wolfgang Glaum führt. »Für mich war das eine Stütze«, sagt die dreifache Mutter. © Nicole Merz

Wenn Kinder vor ihren Eltern gehen, ist das ein unvorstellbarer Verlust. Nicola Hallmann hat ihren Sohn im Jahr 2019 verloren. Für Betroffene in der Wetterau hat die Trauerbegleiterin nun die Selbsthilfegruppe »Engelsflügel« in Friedberg gegründet

Frau Hallmann, Sie haben die unvorstellbare Situation erlebt, ein Kind zu verlieren. Wie sind sie damit umgegangen?

Ich bin Mutter von drei Kindern. Im Juni vor drei Jahren ist mein mittlerer Sohn Julius im Alter von 19 Jahren verstorben, ein Jahr zuvor war er an Schizophrenie erkrankt. Ich hatte durch meine Familie sehr viel Beistand, der mir sehr geholfen hat, außerdem psychologische Unterstützung. Man braucht jemanden, der einfach da ist, um mit dieser Katastrophe nicht allein zu sein. Denn es ist eine. Man fühlt sich so verloren. Das Leben steht plötzlich still.

Viele Menschen wissen nicht, wie man in so einem Moment am besten Beistand leistet.

Einfach da sein, zuhören und den Schmerz annehmen. Ich weiß, man fühlt sich als Außenstehender hilflos. Aber anstatt zu fragen, wie es dem anderen geht - die ehrliche Antwort will schließlich niemand hören - einfach gar nichts sagen und die Hand nehmen. Für den Verlust gibt es keine Worte.

Jeder Mensch geht anders mit dem Verlust um. Sie haben sich zur Trauerbegleiterin ausbilden lassen.

Ich habe mich sehr intensiv damit auseinander gesetzt, was mir gut tut und was nicht. Ich bin meinem Beruf im Brunnenwärterhaus in Schwalheim weiter nachgekommen, er war mein Gerüst. Abgesehen davon konnte ich aber lange nicht unter Leute gehen. Da muss jeder auf sich selbst hören, ich empfehle aber eine psychologische Begleitung. Der Verlust ist zu groß, um es allein zu schaffen. Und man kann ihn nicht wegdrücken, sondern muss lernen, ihn anzunehmen. Ich habe gemerkt, dass mir die Trauerarbeit gut tut und habe mich deshalb in der Trauerakademie in Berlin ausbilden lassen.

Jetzt haben Sie eine Selbsthilfegruppe für verwaiste Eltern gegründet. Wie kam es dazu?

Die Ausbildung bietet ein gutes Rüstzeug für die Leitung solcher Gruppen. Man lernt, die verschiedenen Arten der Trauer kennen, lernt, woher sie kommt, und wie man sich nicht darin verliert. Man bekommt Mechanismen an die Hand, mit der Trauer umzugehen. Da es hier im Wetteraukreis noch keine Selbsthilfegruppe für verwaiste Eltern gab, wollte ich eine gründen und das weitergeben, was ich gelernt habe. Etwas von dem Beistand zurückgeben, den ich erfahren habe. Durch eine glückliche Fügung darf ich dazu nun die Räumlichkeiten von »Lebensfluss Begleitung« der Familie Laux in Friedberg nutzen, die dafür optimal sind.

Wie kann die Gruppe dabei helfen?

Sie soll eine Plattform für Beistand und Trost, Hoffnung und Zuspruch bieten. Es soll ein Gesprächsangebot für betroffene Eltern sein, um die Trauer zu teilen und zu verarbeiten, wenn sie dazu bereit sind. Es gibt aber auch die Möglichkeit, dass ich zunächst zum Einzelgespräch in die Familie gehe, um wichtige Fragen zu beantworten und da zuzuhören, wo andere nicht zuhören wollen oder können.

Welche Fragen können das sein?

Wenn man ein Kind verloren hat, fragt man sich vielleicht: Bin ich jetzt keine Mutter mehr? Oder in meinem Fall: Habe ich jetzt nur noch zwei Kinder? Die Antwort ist, dass man immer Mutter dieses Kindes bleibt. Es sind so ›einfache‹ Sachen, die in einem arbeiten. Aber auch Fragen der Selbstfürsorge: Was tut mir gut, was brauche ich jetzt? Hilft mir der Gang zum Grab? Auch nicht hingehen ist okay. Hilft mir Musik oder hilft es mir, alles aufzuschreiben? Ich möchte an der Seite von betroffenen Eltern stehen, die meine Hilfe brauchen und annehmen wollen.

Sind in ihrer Gruppe noch Plätze frei ?

Ja. Wir hatten bisher zwei Sitzungen, die beide gute Gespräche hervorgebracht haben. Es war ein warmes Gefühl und hat sehr gut getan. Bei uns ist jeder willkommen. Das müssen nicht nur junge Eltern sein. Ich möchte vorher persönlichen Kontakt aufbauen, die Umstände und das Kind kennenlernen.

Wie kamen Sie auf den Namen »Engelsflügel«?

Mein Sohn Julius war ein 1,92 Meter großer, sportlicher Mann. Es gibt Momente, da fühle ich mich von ihm ummantelt, wie mit Engelsflügeln. Das ist sehr tröstlich und gibt mir immer wieder neuen Mut. Für mich ist das ein Zeichen von ihm.

Wie schwer ist es, loszulassen?

Man kann nicht loslassen, was so mit einem selbst verbunden ist. Und das müssen wir auch nicht. Wir müssen unsere Kinder nicht loslassen, denn sie sind weiter bei uns. In unserem Herzen, in unseren Gedanken, wenn wir von ihnen erzählen. Sie haben immer einen Platz in der Familie.

Monatliche Treffen

Nicola Hallmann bietet an jedem ersten Mittwoch des Monats ein Treffen ihrer Selbsthilfegruppe »Engelsflügel« für verwaiste Eltern an. Das Angebot findet von 18.30 bis 20.30 Uhr in den Räumlichkeiten von »Lebensfluss Begleitung«, Gutenbergstraße 5 in Friedberg, statt. Wer als Betroffener Interesse an einer Teilnahme hat, kann sich per E-Mail an nicola.hallmann@icloud.com wenden. Um vorherige Kontaktaufnahme wird gebeten

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