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»Nicht, weil es euch gefällt«

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Friedberg (bf). Als Konstantin Wecker vor 21 Jahren in Friedberg auftrat, konnte er wegen einer Verletzung nur mit einer Hand Klavier spielen. Und wegen eines Unwetters musste das Konzert in die Stadthalle verlegt werden. Trotzdem war die Stimmung irre, sagt der Liedermacher. Vielleicht wird es wieder so, wenn er am 7. August kommt. Im Interview spricht er über die leicht vernebelte Erinnerung an damals und über das, was heute ist.

Herr Wecker, Sie haben Ihre Fans in Friedberg fast 21 Jahre lang warten lassen. Haben Sie noch eine Erinnerung an das Konzert 1995, das wegen starker Regenfälle kurzfristig vom Burggarten in die Stadthalle verlegt wurde?

Konstantin Wecker: Nein.

Sie sind wenigstens ehrlich.

Wecker: Warten Sie mal. Sommer 1995. Das war also kurz bevor ich wegen Kokainbesitzes verhaftet wurde. War das nicht das Konzert, in dem ich nur mit einer Hand Klavier spielte? Ja, jetzt erinnere ich mich ein wenig. Ich war zuvor gestürzt und hatte mir den Nerv lädiert. Und es war furchtbar heiß, aber eine irre Stimmung.

Bei Ihrem ausverkauften Open-Air-Konzert in Trier vor einigen Wochen sah man unter den Zuhörern viele Menschen, von denen man sich vorstellen konnte, dass sie auch vor 30 Jahren schon begeistert Ihre Konzerte besuchten. Wie schwer ist es aus Ihrer Sicht, heute junge Menschen dazu zu gewinnen, »mit dem Herzen zu denken und kritisch und unbeugsam zu sein«?

Wecker: Ich glaube, dass es jetzt eine Jugend gibt, ich sehe das an meinem 16-jährigen Sohn, die mittlerweile anders drauf ist, als es die heute 30- bis 40-Jährigen sind. Man sieht es ja bei der ganzen Willkommenskultur, wie viele junge Menschen sich dort engagiert haben, wo man eigentlich dachte, die haben sowieso nichts anderes im Kopf als ihr BWL-Studium. Ob ich die allerdings erreiche, ist eine ganz andere Geschichte. Ich erreiche Jugendliche manchmal über Facebook, manchmal über meine politischen Kommentare. Aber in die Konzerte kommen sie natürlich in der Regel mit ihren Großeltern, Eltern und manchmal auch inspiriert durch ihre Lehrer. Aber von sich aus kommt ein Jugendlicher nicht auf die Idee, Konstantin Wecker zu hören. Aber wenn sie es sich mal antun, drei Stunden zuzuhören, was für Jugendliche nicht mehr so leicht ist, dann kann ich sie auch erreichen. Ich bin ja kein Phänomen der Popkultur. Ich war mal kurzfristig populär wie ein Popkünstler, weil Liedermacher in den 80er Jahren überhaupt populär waren. Aber eigentlich muss das Verständnis meiner Kunst sich eher über die Literatur erschließen.

Bereits mit 18 Jahren sangen Sie: »Ich singe, weil ich ein Lied habe, nicht, weil es euch gefällt«. Wie konnten Sie sich diese Einstellung über 40 Jahre bewahren und welchen Preis haben Sie dafür bezahlen müssen?

Wecker: Ich habe keinen Preis bezahlt. Der Preis ist, wenn man das so sagen will, dass ich bis heute mit einer unglaublichen Freude auf die Bühne gehen kann. Ich habe viel Blödsinn in meinem Leben gemacht, aber ich bin mir in meinen Gedichten und Liedern treu geblieben. Und das macht mir eine solche Freude; dass ich das, was ich in meinen Liedern singe, wirklich vertreten kann. Das macht mich wahnsinnig glücklich. Aber um ehrlich zu sein, ich tue das nicht, weil ich so toll und aufrecht bin. Ich kann überhaupt nicht anders. Wenn ich schreibe, kommt das aus meinem tiefsten Inneren heraus, und das ist immer klüger als ich. Wenn Sie überlegen, dass ich mit 18 Jahren »Ich singe, weil ich ein Lied habe, nicht, weil es euch gefällt«, geschrieben habe und 50 Jahre später das Lied »Ohne warum«. Unterschiedliche Lieder, aber der gleiche Inhalt. Und das erste Lied habe ich in einem Alter geschrieben, in dem ich eigentlich nicht erfahren genug war, das zu wissen.

Da ist aus mir heraus etwas entstanden. Baudelaire schrieb die »Blumen des Bösen« mit 22 Jahren, Rilke das »Buch vom mönchischen Leben«, auch als relativ junger Mann. Mit einer Weisheit, die sie in diesem Alter überhaupt nicht haben konnten. Das ist doch unglaublich. Woher kommt das? Ich glaube, dass Dichter (eigentlich können das alle Menschen, aber die Dichter fassen es in Worte) an eine Quelle stoßen können, die die Wahrheit offenlegt. Das können wir mit der Ratio nicht erklären, aber mit der Poesie können wir es besser ergreifen und begreifen.

Der Kabarettist Hagen Rether fordert in seinem Programm »Liebe« sein Publikum dazu auf, nicht nur auf »die da oben« zu schimpfen, sondern sich seiner eigenen Verantwortung bewusst zu sein. Sie scheinen da eher milder gestimmt. Täuscht der Eindruck?

Wecker: In jedem meiner Lieder nehme ich immer zu allererst mich selbst in die Verantwortung. Und damit gleichzeitig auch jeden Einzelnen von uns. Ich schimpfe auch nicht auf den einzelnen Banker. Wenn, dann geht es mir darum, dass ich ein System verurteile und uns damit in die Pflicht nehme, dass wir diesem System nicht planlos hinterherlaufen sollen. Ich war noch nie ideologisch in meinem Leben, wollte nie eine Ideologie erfinden, hinter der wir uns verstecken können. Dagegen habe ich immer gekämpft und mich vielmehr zur Anarchie bekannt. Ich habe auch nie gedacht, dass ich von der Bühne herunter Politik machen könne. Das will ich auch nicht. Ich will denen Mut machen, die eine ähnliche Gesinnung haben, und das ist mir, glaube ich, in den letzten 40 Jahren geglückt.

In der neuen Fassung Ihrer bereits 1977 geschrieben Ballade »Willy« beschreiben Sie Ihre Angst, dass Sie 100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg Angst vor einem neuen Krieg haben. Hätten Sie sich das vor 30 Jahren vorstellen können?

Wecker: Nein, natürlich nicht. Ich war mir sicher, dass die Menschheit, wenigstens die europäische, gelernt hat aus dem unglaublichen, grauenvollen Erleben der zwei Weltkriege. Wenn ich heute sehe, dass die NATO auf ihrem Gipfeltreffen in Warschau im Endeffekt beschlossen hat, Russland eindeutig als Feind zu sehen und zu drohen, muss ich sagen: Ist die Menschheit wirklich so blöd? Wie kann man nur so dumm sein? Und wie können Politiker verantwortungslos erklären, dass das notwendig sei? Es ist scheußlich, und ich werde nicht aufhören, in diesem Punkt meine pazifistische Stimme zu erheben, und man darf nicht denken, dass Pazifismus irgendetwas mit »Weicheitum« zu tun hat, sondern man darf durchaus sehr lautstark, rebellisch und aktiv Pazifist sein.

In Ihrer Liebesballade »Wenn der Sommer nicht mehr weit ist« singen Sie: »Genießen war noch nie ein leichtes Spiel«. Was ist für Sie Genuss, und warum kann oder darf der Genuss nicht leicht daherkommen?

Wecker: Kann er ja. Aber ich meine vielmehr damit, dass aus dem Genuss, wie wir alle wissen, auch wieder ein Zwang werden kann. Und wenn Sie mich fragen, was für mich Genuss bedeutet, ist das interessant. Weil natürlich meine Antwort als 20-Jähriger ganz anders ausgesehen hätte als heute. Jetzt, als fast 70-Jähriger, ist der Anblick einer blühenden Rose für mich ein Genuss, überhaupt das Wahrnehmen der Natur. Mit 20 Jahren war das undenkbar für mich.

Ihr Keyboarder Jo Barnickel, der Sie seit 1993 begleitet, steht auch in diesem Jahr wieder mit auf der Bühne. Lassen Sie sich auch immer wieder auf neue Musiker ein?

Wecker: Ja natürlich. Mir ist es sehr wichtig, mit Musikern zu arbeiten, die verschiedene Stilrichtungen spielen können. Ich wollte mich nie auf einen musikalischen Stil festlegen. Vor zwei Jahren habe ich die sensationelle Cellistin Fany Kammerländer kennengelernt. Eine unglaublich vielseitige Musikerin, die sich im letzten Jahr auch zur Bassistin entwickelt hat. Die Zuschauer in Friedberg werden sie erleben können.

Das Konzert mit Konstantin Wecker findet am Sonntag, 7. August, im Friedberger Zirkuszelt auf der Seewiese statt. Das Konzert beginnt um 20 Uhr, Einlass um 19.30 Uhr. Karten gibt es unter anderem in den WZ-Geschäftsstellen sowie im Internet unter .

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