Konstantin Wecker begeistert auf der Friedberger Seewiese

Friedberg (en). »Heut’ Abend geh ich zum Konzert von Konstantin Wecker«, habe ich unseren jungen Gästen am Sonntagmittag erzählt. Doch statt eines bewundernden »Ooohh« kam nur ein »Konstantin was?« Wecker ist der Jugend kein Begriff. Aber seine Lieder, die er in Friedberg spielte, sind so aktuell wie eh und je.
Einer der großen deutschen Liedermacher im Renz-Zelt auf der Friedberger Seewiese – zweifellos ein Höhepunkt der Sommer-Events. Fast jeder Stuhl ist besetzt am Sonntagabend, als Konstantin Wecker nach kurzem Gruß am Piano Platz nimmt und seine erste Hymne anstimmt. Die ist ebenso alt wie programmatisch: »Ich singe, weil ich ein Lied habe. Nicht, weil es euch gefällt«. Der Troubadour aus München ist sich treu geblieben über fast fünf Jahrzehnte – ein eigener Kopf, ein Mahner, ein Aufrüttler und ein Kämpfer für Gerechtigkeit, Toleranz, Weltfrieden.
Und ein Anarchist, wie er mehrfach betont. Nachdem er seine beiden Söhne musikalisch ins Leben verabschiedet hat mit der Bitte, sich niemals in eine Uniform zwängen zu lassen, erzählt er von den Anfängen der Neo-Nazis. Und dass der Spuk nicht schnell wieder vorbei war, da hatte er sich »leider getäuscht«. Passend dazu singt Wecker vom »Vaterland«, von der Begeisterung der Jugend und den Warnungen der Alten, die die Folgen davon schon einmal erlebt haben.
Kurz erinnert er sich an sein Friedberger Konzert vor 21 Jahren. Auf die Frage, wer damals schon dabei war, gehen überraschend wenige Hände hoch. Hätten doch vom Alter her die meisten dabei gewesen sein können. Kaum ein jugendliches Gesicht hat sich ins Zelt verirrt, die Alt-Achtundsechziger dominieren. Die Neu-Achtundzwanziger erreicht Wecker nicht mit seinen Liedern, darüber macht er sich auch keine Illusionen.
Warum das so ist – eine berechtigte Frage. Treffen doch die Texte des mittlerweile fast 70-Jährigen noch so schmerzhaft ins Mark wie vor 20 und 30 Jahren. Von den Schrecken der Weltkriege singt er, angelehnt an ein schon 1911 verfasstes Gedicht von Georg Heym, im »Waffenhändler-Tango« von skrupellosen Industriellen und verlogenen Politikern.
Oder – neueren Datums – in »Wenn unsre Brüder kommen« von der Willkommenskultur, der er sich nach wie vor ohne Wenn und Aber verbunden fühlt, wie der Sänger erzählt – trotz aller Anfeindungen und Drohungen, die ihn deswegen erreichten.
Doch auch bei Wecker geht’s nicht nur um Politik, nicht nur um Herrscher und Unterdrückte. Auch der Alltag, das Private bieten Stoff für seine Geschichten mit Musik. »Weil ich dich liebe« etwa, gemeinsam gesungen mit der ebenso begabten wie attraktiven Cellistin Fany Kammerlander, die mit Keyboarder Jo Barnikel, Drummer und Multiinstrumentalist Wolfgang Gleixner und Gitarrist Andreas Blüml den musikalischen Teppich für des Meisters Lieder knüpft. Oder die Satiren auf die Handy-Manie (»Früher hatte ich Zeit, heute hab ich ein iPhone«) oder auf die »Damen auf der Kö« mit ihrem vollen »Portmonnö«.
Klassiker der Aufmüpfigkeit
War der erste Teil des Abends eher zum Zuhören geeignet, ging’s nach der Pause mit ganz anderem Schwung zur Sache. Ob die Gedanken wirklich noch frei sind, fragte Wecker mit Refrain-Unterstützung durch die 1400 Kehlen im Zelt, dem »Heiligen Tanz« von der aktuellen CD »Ohne Warum« folgten die Klassiker der Aufmüpfigkeit: »Empört Euch« und »Sage Nein«, dem AfD-Rechtsaußen Björn Höcke widmete der Liedermacher einen »Höckerick«, und auch sein Traum von einer »grenzenlosen Welt« wurde vom Publikum frenetisch gefeiert.
Artig verbeugt sich Wecker dann – nach zwei Stunden soll Feierabend sein. Das geht gar nicht. Und es gehört wohl auch zum Konzept. Wecker kommt zurück, bittet zur »Revolution«, dem Titelsong seiner aktuellen Tournee. Und das ist nur der Anfang des dritten Teils des Abends: Eine Dreiviertelstunde lang lässt der Münchener weitere Lieder folgen, zwischendurch verlässt er die Bühne, flaniert im Blitzlichtgewitter der Smartphones durch die Gänge. Herausragend unter den vielen Zugaben vielleicht sein »Gracias a la vida«, das er einst mit Mercedes Sosa und Joan Baez angestimmt hat.
Mit einem Gedicht entlässt Konstantin Wecker seine Gäste in die Friedberger Nacht – nach drei Stunden, die ihnen sicher genau so in Erinnerung bleiben wie 1995 der heiße Abend in der Stadthalle.