»Erzählcafé«: Faszinierende Filme aus alten Zeiten
Friedberg (har). Fast 300 Besucher fasst das Roxy, und nur noch selten ist das größte der vier Kinoräume im Kinocenter bis auf den letzten Platz besetzt, meist nur bei Premieren von sogenannten »Block-Buster-Filmen«. Am Montagnachmittag war kein Platz mehr frei im Roxy.
Selbst die Notsitze waren besetzt, doch der Grund für das Interesse war ein ganz anderer: Die Agenda-Gruppe »Selbstbewusst älter werden in Friedberg« hatte sich mit dem Geschichtsverein zusammengetan und zu einem besonderen »Erzählcafé« unter dem Titel »Friedberg in alten Bildern« eingeladen.
Große Unterstützung gab es vom Stadtarchiv, das dank der Vermittlung und der erheblichen finanziellen Unterstützung des deutschen Filmmuseums mehrere Filme von einer Wiesbadener Spezialfirma auf modernes Trägermaterial umkopieren und im letzten Jahr digitalisieren lassen konnte.
Dass der Filmnachmittag jedoch auf eine solch große Resonanz gestoßen war, überraschte denn doch Michaela von Blericq von der Agenda-Gruppe ebenso wie den Geschichtsvereinsvorsitzenden Lothar Kreuzer.
Überraschend groß war auch die Zahl jüngerer Besucher. Die Jüngste war die sieben Wochen alte Anna, die die eineinhalbstündige Vorführung auf dem Arm von Mama Corinna Uteß jedoch mehr oder weniger verschlief und keinen Mucks von sich gab.
Lob vom Bürgermeister
Gekommen war auch Bürgermeister Michael Keller, der in seiner Begrüßung Kinobesitzer Hans-Albert Wunderer nicht nur für die Bereitstellung des Kinos dankte, sondern auch darauf hinwies, dass Wunderer in letzter Zeit erhebliche finanzielle Mittel aufgebracht hat, um das Kino auf den neusten Stand der digitalen Technik zu bringen (die WZ berichtete). Ausführlich ging Stadtarchivleiter Lutz Schneider auf die Geschichte der gezeigten Filme ein.
Schon bekannt ist der kurze dreiminütige Streifen über den Zarenbesuch in Friedberg und Bad Nauheim, der vor zehn Jahren erstmals vorgeführt wurde. Im Mai 1927 wurde das erste große Stadtporträt gedreht. Das »goldene Tor der Wetterau« präsentiert sich darin als moderne, weltoffene Stadt, und das filmische Dokument fand bei den Besuchern großen Anklang.
Besonders deutlich wurde hier die Breite der Kaiserstraße mit den gerade gepflanzten jungen Bäumen. Immer wieder wurde da mehr oder weniger laut gelacht, wie bei einer »Großübung« der Feuerwehr an der Stadtkirche oder bei den Bildern im »Gemüsegarten der Mädchenschule« in der Burg.
Film aus den 30er Jahren
Zu sehen waren Aufnahmen von Burg, Stadtkirche, Wasserturm und Altstadt, und sie wiederholten sich im Laufe des Nachmittags immer wieder. So auch beim zehn Minuten langen Film »Erholung in Oberhessen«, der vermutlich Mitte der 30er Jahre entstand.
Breiten Raum nehmen hier Impressionen von der Kaiserstraße, der Burganlage, der östlichen Altstadt und des Rosentalviadukts ein. Etwas Besonderes ist der Rundblick vom Wasserturm.
Dass der Film in der Zeit des Nationalsozialismus entstanden ist, sahen die Besucher anhand der großen SS-Flagge, die über dem Burgtor wehte. Dem Zeitgeist entsprechend werden immer wieder Kinder gezeigt, mal tanzend um den Burgbrunnen herum, mal singend vor dem Burgtor oder im Kindergarten spielend.
Zu sehen sind auch vor der Augustinerschule die Lehrer Dr. Georg Blecher, langjähriger Vorsitzender des Geschichtsvereins, und Wilhelm Konrad Philipps, bekannt als »Onkel Kuneroad« aus der Wetterau. Beide rauchen eine dicke Zigarre und blicken mit einer dritten Person vom Goetheplatz hinüber zum Schulgebäude. Auch hier amüsierten sich die Besucher köstlich.
Bekannte Gesichter
Noch viel mehr Reaktionen gab es auf den Film, den der »Fotoklub Friedberg« im 8-mm-Format 1960 unter der Regie von Franz Pfarr, dem Inhaber von Photo-Pfarr auf der Kaiserstraße, gedreht hatte. Immer wieder erkannten Besucher da Personen, vor allem bei den kurzen Porträts damals bekannter Friedberger Firmen, wie der Zuckerfabrik, Reifen-Seher, der Brauerei Steinhäuser-Windecker und dem Autohaus Georg von Opel in der Frankfurter Straße. »Da ist er ja«, rief eine Besucherin bei einem Blick in die Werkstatt des Autohauses.
Impressionen vom Herbstmarkt samt großem Festzug über die Kaiserstraße und einem großen Reitturnier auf der Seewiese wurden ebenfalls gedreht. Jedoch ist die Tonspur nicht mehr auffindbar, und so kommentierte Burkhard Steinhauer den Film und nannte so manchen Namen von bekannten Personen, die beispielsweise auf dem Wochenmarkt auf der Kaiserstraße zu sehen sind.
Gezeigt wurden danach kurze Sequenzen rund um den Klosterbau und die Musterschule Mitte der 60er Jahre sowie einige Farbaufnahmen von der Stadt und der Einweihung der Philipp-Diefenbach-Schule im Jahr 1967.
Bilder vom Hallenbad
Den Abschluss bildete ein gekürzter Film von einem Schulausflug der Klasse 5 b der Lioba-Schule im Juli 1967 ins Friedberger Hallenbad. Gedreht wurde der Film, wie auch die Sequenzen zuvor, von Gottfried König, Lehrer für Biologie und Sport zunächst an der Musterschule und später an der Lioba-Schule.
Nach der Vorführung gab es viel Applaus der Besucher und kurze Dankesworte von Michaela van Blericq, Lothar Kreuzer und Lutz Schneider.
Eine vorgeschlagene Fortsetzung des Nachmittags mit Filmen beispielsweise von den beiden Hessentagen wurde von den Besuchern begrüßt.
Einige kamen anschließend zu den Initiatoren und boten Filmmaterial an. Angeregt wurde von einem Besucher vor dem Kino, die Filme als DVD herauszugeben.