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»Die meisten Verbrechen sind banal« - Lesung mit Joe Bausch

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Von: Sabine Bornemann

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Die Patienten wussten immer, dass ich nichts beschönige, was nicht zu beschönigen ist. Und dass ich nichts übertreibe«, sagt Joe Bausch. Über 30 Jahre war er Gefängnisarzt, ist mittlerweile im Ruhestand. Er hat viel zu erzählen: Von seinem Beruf, der Schauspielerei und seinem sozialen Engagement. © DPA Deutsche Presseagentur

Als Gefängnisarzt ist Joe Bausch im Ruhestand - als Autor nicht. Einblicke in wahre Geschichten gibt er am heutigen Freitag, 25. Februar 2022, in der Augustinerschule in Friedberg mit seinem Buch »Gangsterblues«.

Sie sind seit November als Gefängnisarzt der JVA Werl im Ruhestand. Vermissen Sie Ihre Arbeit?

Ich vermisse den Umgang mit den Patienten. Man hört ja nicht auf, Arzt zu sein. Es juckt mich immer noch in den Fingern.

Wie geht es Ihnen im Ruhestand?

Es ist ruhiger, als ich es geglaubt hätte. Das hat natürlich mit der momentanen Situation zu tun. Filme wurden verschoben, Lesungen sind ausgefallen. Auf Sicht planen und leben. Jetzt werden die Veranstaltungen nachgeholt, wie die in Friedberg. Ich freue mich, wiederzukommen.

Sie werden Geschichten aus dem Buch »Gangsterblues« vorstellen. Worum geht es?

Es sind zwölf Geschichten mit Erlebnissen, wie ich sie von meinen Patienten erzählt bekommen habe. Teilweise Jahre nach der Tat.

Mir geht es um die Entwicklung einer Person und nicht um die Person selbst.

Joe Bausch

Die sind natürlich fiktionalisiert.

Absolut. Das gebietet schon meine Schweigepflicht als Arzt und als Beamter. Niemand kann sich wiedererkennen. Ich möchte und darf niemandem die Zukunft verbauen. Es sind Geschichten, die interessant sind und überraschende Wendungen haben.

Warum ausgerechnet zwölf Geschichten?

Das kommt von meiner Liebe zum Blues. Deshalb auch der Titel »Gangsterblues«. Für Gangster-Rap bin ich zu alt. Mit Blues und Rock bin ich groß geworden. Die Bluesgitarre hat ja auch zwölf Seiten.

Hatten Sie während Ihrer Arbeit manchmal selbst den »Blues«?

Den hatte ich. Besonders nachts oder am Wochenende, wenn ich in der JVA über die Flure ging. Und dabei hörte, welche Traurigkeit unter einigen Zellentüren hindurchdrang.

Wie sind Sie damit umgegangen?

Mit professioneller Distanz. Wenn man die nicht wahren kann, kann man in diesem Beruf nicht arbeiten.

Sie sind nicht der Richter, sondern der Arzt. Waren sie immer frei von (Vor-)Urteilen?

Ich bin nicht dafür da, den Menschen die Tat vorzuhalten. Sondern den Patienten zu verdeutlichen, wie die Taten bis heute wirken. Ich habe ein anderes Gespür für die Täter und ihnen immer gesagt: »Ihr habt die Entscheidung für eure Tat selbst getroffen.«

Die Patienten wussten sicher von Ihrer Popularität im »Tatort« oder dass sie Bücher schreiben. Wie sind die Insassen damit umgegangen?

Sehr gut. Sie wussten immer, dass ich seriös damit umgehe. Dass ich nichts beschönige, was nicht zu beschönigen ist. Und dass ich nichts übertreibe. Nachdem das erste Buch »Knast« 2012 erschienen ist, gab es als Spende Exemplare in der JVA-Bibliothek. Die waren immer ausgeliehen.

Was hat Sie dazu gebracht, aus vielen beruflichen Erzählungen ein Buch zu machen?

Mir geht es um die Entwicklung einer Person und nicht um die Person selbst. Was passiert im Kopf eines Täters? Warum ist passiert, was passiert ist und wie es hätte vielleicht verhindert werden können.

Solange ich mich beim Dreh noch über eine Leiche beugen kann, will ich weitermachen. 

Joe Bausch

Prävention ist also Ihr Stichwort?

Ja, das ist so. Da müsste viel mehr getan werden, damit ein Mensch gar nicht erst zum Täter wird.

Was macht einen Menschen böse?

Die meisten Verbrechen sind banal. Dahinter steht der Täter, der böse geworden ist: Durch mehrere Faktoren. Die Lebensumstände, die persönliche Entwicklung, das Umfeld, mitunter auch die Genetik. Und Entwicklungen, die teilweise erst im Knast stattfinden.

Im Gefängnis sitzen mehr Männer als Frauen. Das Interesse an »True Crime«- Geschichten scheint aber sehr weiblich zu sein.

Das stimmt. 70 Prozent der Menschen, die zu meinen Lesungen kommen, sind Frauen. Das habe ich auch damals in Friedberg im Gespräch gehört. Von Männern, die von ihren Frauen »mitgeschleppt« wurden.

Warum glauben Sie, ist das so?

Frauen sind an sich wenig kriminell. Von 60 000 Insassen in deutschen Gefängnissen sind »nur« 3000 weiblich. Frauen werden aber täglich Opfer von Gewalt. Gewisse Ängste sind auch weiblich, wie die, nachts alleine durch einen Park zu gehen. Bei den wahren Geschichten ist es der Reiz, zu wissen, dass das so wirklich passiert ist und nicht vom Autor erfunden wurde. Und es geht ums Verstehen.

Wie meinen Sie das?

Ich werde immer wieder von Frauen gefragt, wie sie merken könnten, dass sie oder die Tochter es mit einem Psychopathen zu tun haben könnte.

Können Sie das so einfach beantworten?

Es gibt Verhaltensauffälligkeiten und Anzeichen - auch bei Sadisten. Mit meiner Erfahrung als Experte kann ich sagen, wo die Lampe zur Warnung angehen sollte.

Welche Anzeichen wären das?

Das werde ich vielleicht bei der Lesung sagen.

Bei der Lesung werden Sie wieder von der Band »Bluesdoctor« aus Gießen begleiten. Es wird also unterhaltsam?

Streng genommen mache ich keine Lesung. Ich erzähle. Wer mir zuhört, soll auch lachen und sich entspannen.

Welche Rolle spielt dabei die Musik?

»Bluesdoctor« passen alleine schon vom Bandnamen und der Musik, die sie machen zur mir und meinem Buch. Das sind super Jungs aus Gießen. Die erzeugen mit ihrer Musik eine super Atmosphäre. Das ist wie Filmmusik zu meinen Bildern im Kopf.

Tatort: Reiz des Bösen; Seit 1997 spielt Joe Bausch Rechtsmediziner Dr. Roth im Kölner »Tatort« an der Seite von Dietmar Bär als Freddy Schenk (M.) und Klaus J. Behrendt als Max Ballauf.
Seit 1997 spielt Joe Bausch Rechtsmediziner Dr. Roth im Kölner »Tatort« an der Seite von Dietmar Bär als Freddy Schenk (M.) und Klaus J. Behrendt als Max Ballauf. © VALENTIN MENKE

Jetzt sind Sie hauptberuflich in Rente. Werden Sie als Dr. Joseph Roth im Kölner »Tatort« weiterarbeiten?

Ja, das möchte ich. Solange ich mich beim Dreh noch über eine Leiche beugen kann, ohne dabei gestützt werden zu müssen, will ich weitermachen. Das Format macht mir großen Spaß.

Warum? Sie spielen den Gerichtsmediziner schon seit 1997.

Es ist die Abwechslung, es sind die Kollegen, und ich finde es spannend, zu sehen, wie sich die Erzählweise über die Jahre geändert hat.

Geändert hat sich in der JVA Werl auch einiges. Haben Sie einen Nachfolger gefunden?

Das hat zwar fast drei Jahre gedauert, aber, ja. Zwei Kolleginnen setzen meine Arbeit fort. Das ist eigentlich eine familienfreundliche Arbeit für Ärztinnen. Keine Wochenenddienste, keine Nachtdienste.

Werden Sie jetzt noch mehr Zeit für den Verein »Tatort - Straßen der Welt« haben?

Das hoffe ich. Nächstes Jahr besteht der Verein, in dem ich mich mit den »Tatort«-Kollegen Dietmar Bär und Klaus Behrendt engagiere, seit 25 Jahren. Er wurde 1998 nach den Dreharbeiten des WDR-Krimis »Manila« gegründet. Wir setzen uns weltweit für Kinderrechte ein, besonders auf den Philippinen.

An welchen Einsatz erinnern Sie sich besonders?

Wir haben dort gegen Tetanus, Polio und Diphtherie geimpft. 400 Menschen am Tag. Als Arzt habe ich dort alle glücklich gemacht.

Vermissen Sie deshalb Ihren Beruf?

Der Beruf des Arztes ist immer noch großartig. Man kann immer etwas machen. Jeder will zwar den Wandel, aber keiner will sich ändern. Ich kann als Arzt immer etwas verändern.

Lesung heute Abend, 25. Februar 2022, in der Augustinerschule

Sie sind Mörder, Dealer, notorische Betrüger, Vergewaltiger, oder haben schwere Raubüberfälle begangen. Im Knast wollen sie reden: Joe Bausch hat einige dieser Geschichten aufgeschrieben und ist mit diesen am Freitag, 25. Februar, ab 20 Uhr in der Aula der Augustinerschule im Zuge der Reihe »Friedberg lässt lesen« zu Besuch.

Bausch liest spannende und wahre Geschichten, die unter die Haut gehen. Über Verbrecher, die sich ihm anvertraut haben. Die Geschichten zeigen, welche verheerenden Folgen Verbrechen mit sich bringen. Begleitet wird er bei seinem Auftritt von der Band »Bluesdoctor« aus Gießen.

Joe Bausch, 1953 geboren im Westerwald, arbeitete über 30 Jahre als Leitender Regierungsmediziner in der Justizvollzugsanstalt Werl. Außerdem ist er als Rechtsmediziner Dr. Joseph Roth im Kölner »Tatort« zu sehen.

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Joe Bauschs „Gangsterblues“. © pv

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