Florstadt will besonderes Baugebiet entwickeln
In zwei Jahren will Florstadt mit der Planung eines neuen Baugebiets beginnen. Das Besondere: Dort soll mehr Energie erzeugt als verbraucht werden.
Die Ausgangslage in Sachen Baugebiete ist in vielen Kreiskommunen nicht gerade als rosig zu bezeichnen. Hier herrscht Überschwemmungsgefahr, dort ist ein Naturschutzgebiet ausgewiesen, woanders leben geschützte Vogelarten. Dem steht vielerorts die enorme Nachfrage nach Wohnraum entgegen. Innen- vor Außenentwicklung ist zwar für einige Kommunen eine sinnvolle Lösung – dort, wo viele Häuser und Hofreiten in den Ortskernen leer stehen. Doch ist dies eben nicht in allen Kommunen der Fall.
»Wenn wir wachsen wollen, geht das nur auf landwirtschaftlich besten Böden. Wenn das aber schon so ist, soll wenigstens ein Vorteil für die Natur und die Landschaft dabei herausspringen«, begründet Florstadts Bürgermeister Herbert Unger, warum die Stadt sich als Modellkommune für eine Plus-Energie-Siedlung beworben – und den Zuschlag bekommen hat. Ebenso wie Niddatal und sechs weitere hessische Kommunen.
»Keine nennenswerten Leerstände«
Eine Plus-Energie-Siedlung heißt so, weil sie mehr Energie erzeugt, als ihre Bewohner verbrauchen. »Ihre Planung und ihr Bau sind eine Pionierleistung«, wirbt die Hessische Landgesellschaft für die Idee. Bis zur Umsetzung wird es aber noch dauern.
»Wir sind erst ganz, ganz, ganz am Anfang eines neuen Baugebiets«, sagt Bürgermeister Unger. Aber eben dieser Anfang hin zu einer Plus-Energie-Siedlung sei gemacht mit einem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung. Erst konzentriere sich Florstadt auf die Innenentwicklung, die laut Unger »gut läuft«, weil die letzten neuen Wohnbaugebiete »gut ausverkauft« seien und es keine nennenswerten Leerstände innerorts gebe. Wenn die Innenentwicklung nach dem Integrierten Kommunalen Entwicklungskonzept IKEK vorangetrieben sei, könne Florstadt ab 2021 mit der Planung und Genehmigung einer Plus-Energie-Siedlung beginnen.
20 Hektar in Nieder-Florstadt
In Nieder-Florstadt soll dann ein 20 Hektar großes Baugebiet in drei bis vier Abschnitten entwickelt werden. Dort soll nicht nur mehr Energie erzeugt als verbraucht werden, sondern auch ein Brauchwassersystem für Grauwasser entstehen. Das ist Wasser, das nur deshalb kein Trinkwasser ist, weil die Wasserschutzgebiete um die Quellen aufgehoben wurden. Unger: »Zum Spülen von Toiletten und zum Wässern von Gärten und Feldern ist es bedenkenlos geeignet.«
Florstadt, sagt Unger, habe ein »natürlich-gesundes Verhältnis zu seiner Umwelt« und deshalb auch die ersten Windkraftanlagen im Kreis ermöglicht. In der Stadt sollte zudem eine Biogasanlage errichtet werden, in der Zuckerrüben vergoren werden, wenn ihre Verarbeitung zu Zucker nicht lohnte. Doch die Novelle des Erneuerbare-Energie-Gesetzes machte der Stadt einen Strich durch die Rechnung. Auch die Pläne zum Ausbau der Windenergie lösten sich in Luft auf, als Florstadt beim Fortschreiben des Regionalplans nicht als geeigneter Standort für Windkraftanlagen aufgeführt war. Dann scheiterte ein Fotovoltaikpark, den ein Landwirt an der A 45 mithilfe der Kommune errichten wollte, am Einwand des Landwirtschaftsamtes, listet Unger die gescheiterten Versuche auf, etwas für die Erzeugung nachhaltiger Energie zu tun.
Umgeben von Schutzgebieten
»Nun sind wir am Ende der Fahnenstange«, sagt Unger. »Wir sind umgeben von Vogel- und Naturschutzgebieten sowie FFH-Flächen.« Wachstum sei nur noch auf landwirtschaftlich besten Böden möglich. Der Bürgermeister setzt dennoch auf eine positive Resonanz in Florstadt: »Die Leute fragen schon: ›Wann können wir Grundstücke kaufen?‹ « Tatsächlich gab es bislang kaum nennenswerten Protest gegen irgendein Projekt im Stadtgebiet. Auch diesmal setzt man auf frühzeitige Einbindung der Bürger. Unger: »Der Bezirksschornsteinfeger hat schon die jungen Leute für das Thema sensibilisiert und noch keine negative Stimme gehört.«
Also alles Friede, Freude, Eierkuchen? Mitnichten. Unger weiß sehr wohl, dass der Bau einer Plus-Energie-Siedlung herausfordernder sein wird als der einer konventionellen. »Wenn es so einfach wäre, mehr Energie zu erzeugen, als diese zu verbrauchen, würde es ja jeder machen. Aber alles kostet Geld.« Darum erwarte er natürlich auch eine Beratung dahingehend, wo Zuschüsse zu holen seien.
Info
Mehr zu bedenken beim Planen
Hessen unterstützt acht Modellkommunen beim Errichten von Plus-Energie-Siedlungen. Das sind Siedlungen, die mehr Energie erzeugen, als ihre Bewohner verbrauchen. Neben Florstadt ist auch Niddatal (»Gollacker«) dabei. Hintergrund ist die angestrebte Energiewende: Die sei bei der Stromerzeugung auf einem guten Weg, aber es brauche auch Fortschritte im Wärmesektor, heißt es im Konzept des Landes. Das Ziel: In wenigen Jahren soll auf jedem zweiten Baugebiet, das die Hessische Landgesellschaft mit einer Kommune entwickelt, eine Plus-Energie-Siedlung entstehen. Das bedarf mehr Überlegungen bei Planung, Finanzierung, Bau und Betrieb. So müsse schon in der Planung an die Leitungsrechte für das Nahwärmenetz und die Stellplätze mit Ladesäulen für E-Mobile gedacht werden. Alle Grundstücke müssten zudem untereinander an das Netz für Strom und Wärme angeschlossen werden, damit überschüssige Energie in der ganzen Siedlung abgenommen werde.