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Ypsilantis provokante Thesen

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Von: Christine Fauerbach

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Die Runden, in denen die ehemalige hessische SPD-Frontfrau Andrea Ypsilanti spricht, werden kleiner wie in Bad Vilbel. Ihre Thesen haben es in sich: radikale Arbeitszeitverkürzung und Umverteilung.

Was ist solidarische Politik?«, fragt die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen Bad Vilbel. Antworten darauf erwarteten sich die Damen von der inzwischen 60-jährigen Andrea Ypsilanti. Die SPD-Linke aus Frankfurt war von 2003 bis 2009 Vorsitzende der hessischen SPD. Seit 18 Jahren ist sie Landtagsabgeordnete. Über Hessen hinaus wurde sie bekannt, als sie 2008 mit ihrer Regierungsbildung von Rot-Grün toleriert von den Linken scheiterte. Inzwischen ist die Soziologin Vorstandssprecherin des Instituts Solidarische Modernde und fordert eine Rückbesinnung auf die Grundwerte der SPD.

Bei ihrem Diskussionsbesuch im Ahrenshof in Massenheim mit etwas weniger als einem Dutzend Teilnehmern stand die Bevölkerungsentwicklung und ihre Folgen im Mittelpunkt. Deutschland altert. Im internationalen Vergleich gehört die Bevölkerung der Bundesrepublik zu den ältesten. Sie wird bis 2050 auf 75 Millionen Menschen schrumpfen, hat das Statistische Bundesamt berechnet. Es gelte: Es wird immer weniger zu verteilen geben. Bereits in den kommenden zwei Jahrzehnten würden die Auswirkungen spürbar sein. Die Sozialsysteme werden enorme Belastungen tragen müssen. Trotz fortschreitender Digitalisierung werde es in vielen Berufszweigen an Nachwuchskräften mangeln.

Politisch besonders umstritten sind die Konsequenzen des Zusammenspiels einer alternden Gesellschaft und einer niedrigen Geburtenrate für den Arbeitsmarkt. Zu den Versuchen, das Erwerbspersonenpotenzial zu erhöhen, gehören unter anderem Diskussionen über eine weitere Erhöhung und Flexibilisierung des gesetzlichen Rentenalters. Der Druck auf die gewachsenen politischen und sozialen Strukturen steige.

ASF-Vorsitzende Sylvia M. Harbig sagt, dass die SPD in den vergangenen Jahren keine am solidarischen Gemeinwohl orientierte Politik gemacht habe. Ypsilanti fordert eine Rückbesinnung auf die Grundwerte der SPD. Viele Bürger würden denken »in Deutschland geht es trotz weltweiter Krisen (Klima, Ökologie, Finanzen, Bürgerkriege, Kriege) noch, aber wir bewegen uns in die falsche Richtung«. Verstärkt werden die Krisen durch eine Krise der Demokratie, von Institutionen und Repräsentanzen wie Parteien, Gewerkschaften und Kirchen. »Im neoliberalen Kapitalismus kriselt es. Viele Menschen suchen nach einfachen Antworten«, die es nicht gebe. Es sei wichtig, dass die SPD den Wählern eine langfristige Perspektive anbiete. Deshalb sei es wichtig, über den Tellerrand zu blicken und Defizite zu benennen, um etwas ändern zu können.

Radikaler Kurswechsel

Beantwortet werden müssten Fragen wie »Was ist solidarische Politik, die dem Gemeinwesen zuträglich ist?« Diese Politik fange in den Schulen an und gehe weiter in der Arbeitswelt. Arbeitnehmer mit festem Job müssten immer erreichbar sein, seien überlastet und von Burn-out bedroht. Dann gebe es noch die mit schlecht bezahlten Jobs und die ohne Arbeit. »Die schlechtesten Karten haben Frauen. Zu den drei »›K‹ Kinder, Kirche, Küche kommt als viertes Karriere hinzu.« Ypsilanti schlägt für einen Kurswechsel eine radikale Arbeitszeitverkürzung vor. »Leiharbeit muss weg, eine neue Arbeitsverteilung zwischen Männer und Frauen muss als Einstieg her.« In der EU müsse politisch die Solidarität in den Vordergrund gerückt werden. Auch eine andere globale Politik sei nötig. »Wir leben auf Kosten vieler armer Länder, beuten deren Bodenschätze und Ressourcen aus; bauen dort an, was wir brauchen; stellen unsere Produkte dort billig her.« Ypsilanti setzt sich für eine Diskussion alternativer Konzepte unter Leitung eines parteiübergreifenden Institutes ein. »Eine solidarische Politik ohne Umverteilung wird es nicht geben.

« Sie schlägt vor, dass die Produktivitätssteigerung künftig in Arbeitszeitverkürzung – bei vollem Lohn- und Personalausgleich – ausgezahlt werde. Harbig fordert, dass die Basis künftig ihre Forderungen nach Veränderung schneller an die eigene Partei stellen müsse, um die Prozesse abzukürzen und Ergebnisse zu erzielen.

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