Neue Klagen gegen den Bahnausbau
Droht ein Stopp für den Ausbau der Main-Weser-Bahn zwischen Bad Vilbel und Frankfurt-West? Das Bündnis »Ba(h)nane« und Anlieger haben an Silvester neuen Klage beim VG Kassel eingereicht.
Der Okarbener Christian Böhm ist Ingenieur. Beruflich hat es der 41-Jährige mit Flugzeugen zu tun, doch privat engagiert er sich beim Aktionsbündnis »Ba(h)nane«, das seit 2005 gegen den Ausbau der Main-Weser-Bahn kämpft. Weil er vom Fach ist, kann er nachprüfen, wie die von der Bahn beauftragten Firmen ihre Gutachten erstellen. Erst jüngst war Böhm nach eigenen Angaben in Dortelweil aktiv. Dort tauchte in einem Haus direkt an der Strecke die Firma auf, die für die Deutsche Bahn auf Anweisung des Regierungspräsidiums ein neues Erschütterungsgutachten erstellt. »Die haben genauso gemessen wie vorher«, beklagt er sich. Der Ingenieur kritisiert, dass nur vertikale Erschütterungen gemessen werden, nicht aber horizontale. »Welche Erschütterungen es gibt, wenn die Menschen im Bett liegen und schlafen, wird gar nicht erfasst«, bemängelt Böhm. Deshalb hat er zu dem kleinen Gerät der Firma noch ein weiteres gestellt. Das ist größer und misst auch Erschütterungen in der Horizontalen. Die seien wichtig, denn zu viel Lärm in der Nacht störe nicht nur den Schlaf, sondern führe im Endergebnis auch zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
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Höhere Lärmwerte in der Nacht
Doch Böhm hat nicht nur gemessen, er hat auch nachgerechnet. »Mit derselben Formel wie die Firma der Bahn«, betont er. Allerdings kam der Okarbener zu ganz anderen Daten. Grund: Die Bahn hatte für den ersten Bauabschnitt von Bad Vilbel bis Frankfurt-West viel zu viele Güterzüge angegeben. »Bei der Anhörung in Dortelweil mussten die Bahn-Vertreter zugeben, dass nicht 61 Güterzüge pro Tag diesen Streckenabschnitt befahren, sondern nur 28.« Wenn man das nachrechne, führe dies aber nachts zu »signifikant höheren Lärmwerten«. Laut Böhm würde es um 4,5 Dezibel lauter, als im Gutachten für den ersten Bauabschnitt angegeben. »Wenn aber eine wesentliche Veränderung eintritt, kann die Planfeststellung aufgehoben werden.« Wesentlich, das seien drei Dezibel, »denn die bedeuten quasi eine Verdoppelung des Lärms«.
Klagen gegen Enteignung
Die neuen Daten, die er an den Feiertagen ermittelt habe, habe er an die Anwälte von Ba(h)nane« weitergeleitet. Noch sei nicht klar, ob eine neuerliche Klage erhoben werde. Das wäre eine weitere Klage zu der, die Mitglieder des Aktionsbündnisses am Silvestertag direkt zum VGH nach Kassel gefahren haben. Da geht es um die sogenannten Besitzeinweisungsverfahren, im Volksmund als Enteignung bezeichnet. Denn die Bahn benötigt zum Bau der beiden zusätzlichen Gleise die Grundstücke entlang der Strecke. Die wollten einige Anlieger aber nicht hergeben, sodass ein Verfahren zur Besitzeinweisung eingeleitet wurde. Dagegen sei jetzt Klage vor dem VGH in Kassel erhoben worden. »Wenn auch nur ein einziger Kläger durchkommt, könnte das einen Baustopp bedeuten«, hofft das Aktionsbündnis.
Arbeiten im Wasserschutzgebiet
Außerdem liegen laut Böhm insgesamt acht Klagen gegen den Planfeststellungsbeschluss für den ersten Bauabschnitt vor, wo kurz vor Weihnachten der erste symbolische Spatenstich gefeiert wurde (WZ vom 20. Dezember). Grund: Der Beschluss beinhalte keine Regelungen zur Versickerung von Niederschlagswasser. »Und der Abschnitt zwischen Bad Vilbel-Süd und Berkersheim verläuft teilweise durch ein Wasserschutzgebiet.« Aber in der Planfeststellung seien keine Aussagen zur Versickerung getroffen worden. Der Schotter auf den Gleisen etwa sei mit Herbiziden belastet, die ins Grundwasser sickerten. Die sogenannte wasserrechtliche Gestattung fehle. Die Folgen aus Sicht von »Ba(h)nane«: Verlust der Planfeststellung, also der Baugenehmigung. Schließlich könnte der Bahn weiteres Ungemach drohen, wenn die bei der Genehmigungsbehörde für den Streckenausbau, beim Eisenbahnbundesamt, vorliegenden Verwaltungsverfahren zugunsten der Einwender entschieden werden. Denn für den »unter rollendem Rad« geplanten Ausbau gebe es kein Rettungs- und Katastrophenschutzkonzept. Das müsse nämlich vor Inbetriebnahme der Baustelle vorliegen. Böhm prophezeit, wenn nur ein Verfahren durchkomme, gebe es erst mal einen Baustopp an der Strecke. »Dann stehen die Bagger im Naturschutzgebiet herum.«
Kommentar
Ein richtiger Paukenschlag
Hatten sich die Verantwortlichen der Bahn und von Städten kurz vor Weihnachten beim Spatenstich für den Ausbau der Main-Weser-Bahn noch in Feierlaune gezeigt, dürfte ihnen jetzt das Lachen vergehen. Denn beim VGH in Kassel ist an Silvester eine weitere Klage eingegangen. Damit wehren sich Anlieger gegen die Enteignung ihrer Grundstücke. Parallel dazu gibt es Einsprüche beim Eisenbahnbundesamt wegen angeblich fehlender Rettungswege von und zu den Baustellen. Die Anlieger und das Aktionsbündnis »Ba(h)nane« haben es also nicht bei der Demonstration anlässlich des Spatenstichs belassen, sondern an den Feiertagen kräftig mobilisiert. Wenn nur ein einziges dieser Verfahren zugunsten der Kläger ausgeht, dürfte es einen Baustopp geben und schlimmstenfalls ein neues jahrelanges Planfeststellungsverfahren. Damit ginge in absehbarer Zeit kein einziges neues Bahngleis in Betrieb. Man braucht wenig Fantasie, um sich vorzustellen, welche Alarmstimmung dieser Paukenschlag der Ausbaugegner in der juristischen Abteilung der DB auslösen dürfte. Selters statt Sekt ist gleich zu Jahresbeginn dort angesagt.