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Expertin rät: Eingriffe im Wald »so behutsam wie möglich«

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Von: Jürgen W. Niehoff

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Wachsen und wachsen lassen: hohe Buchen im Bad Vilbeler Wald. © Red

Was macht der Klimawandel mit unserem Wald und vor allem was können wir dagegen tun? Darum ging es vor allem bei der Veranstaltung des Arbeitskreis Bad Vilbeler Stadtwald am Freitagabend im Kultur- und Sportforum Dortelweil.

K urz vor Zusammentritt der neu ins Leben gerufenen Umweltkommission in Bad Vilbel, die aufgrund einer Petition des Arbeitskreises Stadtwald nun eingesetzt wird, hat der Arbeitskreis zu drei Veranstaltungen rund um den Wald aufgerufen. Bei der ersten Veranstaltung am Freitagabend ging es um die ökologischen Auswirkungen des Klimawandels auf den Wald. Wie kann der Mensch diese Entwicklung verstärken oder mindern - so lautete die zentrale Frage des Abends.

Als Referentin hatte der Arbeitskreis die Forstwissenschaftlerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Naturwald-Akademie in Lübeck, Loretta Leinen, zu diesem Thema eingeladen. Sie begann ihren Vortrag mit der Beschreibung des gegenwärtigen Zustands des Waldes. Da fast alle wissenschaftlichen Prognosen von einem weiteren Anstieg von Hitzewellen, Starkregen- und Hochwasserereignisse ausgehen, müsse fortan alles versucht werden, um eine Reduktion des so schädlichen CO2 zu erreichen. Und zwar in einer Größenordnung von 100 bis 1000 Gigatonnen noch in diesem Jahrhundert.

Plädoyer für naturnahen Wald

»Aber nicht der Wald ist durch den Klimawandel besonders gefährdet, sondern der Mensch. Denn der Wald passt sich an wie auch schon in den vielen Jahrtausenden zuvor. Der Mensch hingegen kann das in dem Maße nicht «, konstatierte Leinen. Durch Menschenhand sei der Wald in den letzten Jahrhunderten stark geschädigt worden beispielsweise durch die Anlage von Monokulturen. Um den Wald vor weiteren Schäden zu schützen, müsse der Mensch seinen Umgang mit dem Wald ändern. Das Zauberwort hierfür sei »naturnaher Wald«.

Momentan seien 47,6 Prozent des deutschen Waldes naturfern. Monokulturen seien bedenklich, wie das große Fichtensterben in den letzten Jahren gezeigt habe. Nur 29,5 Prozent bezeichnete Leinen als naturnah und lediglich 0,2 Prozent als geschützten alten Baumbestand. Und das müsse sich rasch ändern. Als Beispiel nannte Leinen die naturnahen Waldbewirtschaftungen in Lübeck und Göttingen. Die orientierten sich an den natürlichen Prozessen der Natur und zwar am jeweiligen Standort. Denn jeder Standort hat unterschiedliche Boden- und klimatische Voraussetzungen. Für die naturnahe Waldbewirtschaftung gelten deshalb die Prinzipien, die Prozesse so wenig wie möglich zu stören und die erforderlichen Eingriffe so behutsam und selten wie möglich durchzuführen. »Die Natur ist der beste Förster«, so Leinen, »vorausgesetzt, man lässt ihr Zeit«.

So könne durch eine naturnahe, an Eingriffe arme Forstwirtschaft die Klimaleistung des Waldes ausgebaut werden. Im Idealfall können dann die Wälder jährlich doppelt so viel CO2 aus der Atmosphäre binden. Dafür müsse sich die heutige Praxis der Waldbewirtschaftung europaweit jedoch einschneidend ändern. Allein durch weniger Einschlag in den waldreichen Ländern Europas könnten Millionen Tonnen CO2 jährlich gebunden werden. In Deutschland allein bis zu 48 Millionen Tonnen CO2, die zusätzlich bei ökologischer Bewirtschaftung im Holz und in der Erde darunter gebunden werden - dies entspreche etwa der Hälfte des jährlichen CO2-Ausstoßes aller Pkw in Deutschland.

Unter dem Strich höhere Erträge

Ökologische Bewirtschaftung, also den Wald sich selber zu überlassen, bedeute aber nicht, auf jeglichen Holzverkauf zu verzichten, so Leinen. Nur der Verkauf geschehe dann anders. Es würde nicht mehr ganze Wälder abgeschlagen und vermarktet, sondern nur noch ausgewählte Bäume. Da die dann wesentlich dicker wären und damit auch mehr Holz böten, würde der Waldbesitzer unterm Strich höhere Erträge erzielen und die Waldwirtschaft damit auch ökonomisch interessant machen. «Aber bis dahin muss erst einmal viel Zeit vergehen. Der Wald muss wachsen und altern dürfen. Und das bedeutet erst einmal eine finanzielle Durststrecke für die Waldbesitzer.« Sie räumte auch mit der Behauptung auf, dass Waldbesitzer für alle Schäden im Wald hafteten. »Da der Waldbesucher den Wald auf eigene Gefahr nutzt, ist eine Haftung des Waldbesitzers für waldtypische Gefahren ausgeschlossen. Deshalb sind auch Baumkontrollen wie bei Straßenbäumen dem Waldbesitzer auch an stark frequentierten Waldwegen nicht zuzumuten«, so ein Urteil des Bundesgerichtshofes. »Mehr Mut zur Wildnis neben der Zivilisation und mehr Vertrauen in die natürlichen Prozesse«, das forderte Leinen zum Abschluss ihres Vortrages. Sodann beantwortete sie noch Fragen aus dem Publikum. Beispielsweise, ob wir es uns leisten können, ab sofort weniger Bäume zu fällen. Ihre Antwort: «Warum exportieren wir so viel Holz? Wenn wir das gefällte Holz nur für Bauzwecke verbrauchen würden, dann kämen wir mit weniger als der Hälfte aus«. Oder die Frage, ob Bäume aus fernen Ländern, wie etwa die Douglasie nicht die abgestorbenen Fichten ersetzen könnten? Ihre Antwort: »Diese fremden Bäume gehören nicht hier her und werden deshalb auch langfristig hier nicht überleben. Denn auch ein Baum braucht seine gewohnte Umgebung«.

Der Arbeitskreis Bad Vilbeler Stadtwald wurde im Dezember 2020 gegründet, nachdem im Bad Vilbeler Stadtwald viel Bäume gefällt worden waren. Eine der Forderungen war die Bildung einer Umweltkommission. Bevor die Kommission voraussichtlich im November zum ersten Mal zusammentritt, richtet der Arbeitskreis drei Veranstaltungen zum Thema Wald im Klimawandel aus.

Die Veranstaltungen finden im Kultur- und Sportforum in Dortelweil statt.

Am 22. Oktober berichtet der Waldbesitzer Klaus Borger über seine Erfahrungen mit schonender Waldpflege.

Und am Freitag, 26. November, spricht Jörg Nitsch über die aktuelle Situation der Wälder in Hessen. jwn

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Heike Schloßhan-Salomon fragt, was die Bürger machen müssten, um die Politik zum Einlenken zu bewegen. © Jürgen W. Niehoff
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Expertin in Sachen Wald im Klimawandel: Loretta Leinen. © Jürgen W. Niehoff

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