1. Wetterauer Zeitung
  2. Wetterau
  3. Bad Vilbel

»Ein halbes Hemd mit riesiger Stimme«

Erstellt: Aktualisiert:

Kommentare

Bad Vilbel. Der Kabarettist und Chanson-Sänger Sven Ratzke stellte sich mit seinem Programm »deBUT« in der Alten Mühle allen vor, »die mich noch nicht kennen«, wie er sagte. Eine kleine Koketterie: Ist der Deutsch-Niederländer Ratzke im Nachbarland, »im hohen Norden, wo die Fische noch frisch sind«, längst ein Star, kennen ihn in Deutschland noch nicht so viele.

Nun macht er sich also einem breiteren Publikum bekannt. Denn auch er weiß: Wer es in Vilbel schafft, kann es überall schaffen. Auf den ersten Blick ist Ratzke eine Mischung zwischen David Bowie, Mick Jagger und Rod Steward - mit einem Hauch von Pumuckl. So nimmt Ratzke, zudem Tanz- und Bewegungsjunkie, das Publikum mit auf eine musikalische und verbale halsbrecherische Tour. Denn schnell fragt man sich bei dem Tempo, das er vorlegt: »Wann holt er denn mal Luft?« Ratzke redet über alles und jeden und vor allem mit jedem - vorzugsweise mit denen in der ersten Reihe. Die sucht er immer wieder über die kleine Holztreppe auf und geht witzig und ironisch plaudernd, auf Tuchfühlung, sodass ein Zuschauer sich sogar in einem unbemerkten Moment umsetzt.

Kleine Geschichten sind es, die er aus den Niederlanden, aus Deutschland, aus Berlin und Amsterdam erzählt. Und es sind meist Stimmungen, Liebeskummer, Abschied und Neuanfang, die er in seinen Liedern mit großer Geste umsetzt. Begleitet wird Ratzke dabei von seinem Pianisten, Arrangeur und Komponisten Charly Zastrau und dem Kontrabassisten Florian Friedrich. Bei »Ich überleb’s«, einer Hymne über Geliebte und Verlassene, schmachtet er in der ihm eigenen Art auf der Bühne.

Denn Ratzke und Freunde covern nicht einfach, sind keine weiteren Interpreten in alten Bahnen, sondern drücken den Stücken ihren eigenen Stempel auf.

Aus dem Charmeur im schwarzen Anzug wird nach der Pause eine Fantasiegestalt im rückenfreien Glitzerkostüm, dessen »Rubbish, Rubbish, Rubbish« fast hessisch klingt und der 70er-Jahre-Hit »Shame, Shame, Shame (on you)« einem beinahe vorkommt, als hätten »Shirley and Company« müde von Ratzke gecovert. Ebenso wird »Don’t you want me, Babe?« fast zu einem »Original« des Künstlers.

Ratzkes Themen sind die Liebe, die Leidenschaft und der Sex. Wir alle haben Sexappeal, scheint er mit jeder Faser seines Körpers auszustrahlen - und er besonders. Er versprüht so viel davon, dass man sich nicht ausmalen möchte, was er mit dem Mikrofon anfangen würde, wenn keiner zusähe. Wenn er nicht gerade hinein singt, dann stöhnt und keucht er, als synchronisiere er einen der Filme, die spät nachts noch in den Privatkanälen gesendet werden.

In der Pause nach einem möglichen roten Faden gefragt, schüttelt eine ältere Zuschauerin belustigt den Kopf: »Den gibt es wahrscheinlich nicht«. Und sie meint, dass Ratzke vermutlich nicht jedermanns Geschmack sei. »Vielleicht eher etwas für jüngere Leute.« Eine andere Zuschauerin wiederum ist von seinem Auftritt absolut überzeugt: »So ein halbes Hemd, und eine solche Stimme.« Andreas Hofmann

Auch interessant

Kommentare