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Das blühende Leben in der »Lilie« ist passé
Bad Vilbel (cf). Geht Erika Fuhr am Gebäude ihrer einstigen Gaststätte »Zur Lilie« vorbei, dann blutet ihr das Herz. Vom um 1740 gebauten Fachwerkhaus, der einst stolzen Gaststätte mit 100 Personen fassendem Saal, eigener Kelterei und Metzgerei, stehen nur noch Teile an der Straßenfront.
Das Grundstück samt Gebäuden wurde im April 2011 von einem Investor gekauft. Der riss Gaststätte, Toilettenhaus und Scheune ab. Seither bietet das Grundstück einen trostlosen Anblick. Zukunft? Ungewiss.
Die Ära der Gastwirtschaft »Zur Lilie«, eines der ältesten Lokale der Stadt in der Friedberger Straße 18, endete 2009. Gegründet wurde die Gastwirtschaft »Zur weißen Lilie« um 1745 vom Bender, Bierbrauer und Gastwirt Johannes Hinkel, wie Stefan Kunz in seinem Buch »Das Bierbrauergewerbe in Bad Vilbel« beschreibt. In der 2007 als Band 50 der Heimatblätter herausgegebenen Publikation listet er die wechselvolle Geschichte des gutbürgerlichen Lokals und seiner Besitzer auf.
»Die Lilie« ist seit 1852 im Familienbesitz«, berichtet Fuhr. Die gelernte Einzelhandelskauffrau heiratete Werner Fuhr 1964. »Mein Mann verunglückte 1970 mit dem Auto tödlich. Mit 24 Jahren war ich Witwe mit zwei kleinen Kindern.« Erika Fuhr führt »Die Lilie« anfangs gemeinsam mit ihren Schwiegereltern, ihrer Mutter, zwei Servicekräften und Küchenhilfen – danach mit Koch Rudi Hufer bis zu dessen Tod 2009.
Im großen Saal im ersten Stock hatten 100 Gäste Platz. Hier waren 1801 vorübergehend holländische Offiziere einquartiert. »Ich habe die Wirtschaft 1989 umgebaut und durch den Wegfall der Metzgerei den Gastraum auf 60 Plätze vergrößert«, erzählt die 65-Jährige. Die Saalfläche wurde aufgeteilt in eine Zweizimmerwohnung, einen kleinen Saal und ein Kolleg für 25 Personen. Die neuen Räume wurden benötigt, denn das Gasthaus war seit seiner Gründung ein beliebter Treffpunkt der örtlichen Vereine. So ließen es sich die Stammtischbrüder der »Sachsehäuser Appelwei-Geschworene« im Garten der »Lilie« 1925 beim 100-jährigen Marktjubiläum bei selbst gekelterten Schöppche gut gehen. Die Stammtischbrüder kamen nicht aus Frankfurt, sondern aus Vilbel. Mit »Sachsenhausen« bezeichneten die Einheimischen früher den nördlich der Nidda gelegenen Teil Vilbels.
»Wir waren über 150 Jahre lang das Vereinslokal von 20 Vereinen. Bei uns trafen sich die Turner, Handballer, die Fußballer, Gesang- und Musikvereine, der heimische Karnevalsverein die Angler, Taubenzüchter, Vogelschützer und Motorsportler.« Viele Schuljahrgänge kamen regelmäßig in die »Lilie«. Bei all diesen und anderen Gästen wurde das Lokal wegen des guten Stöffche oder des frisch gezapften Bieres und der gutbürgerlichen Küche geschätzt.
Zu den Stammgästen der »Lilie« gehörten ab 1965 die gebürtigen Berliner Karin und Jochen Zeitler. »Einer unserer ersten Wege in Vilbel führte uns vom Heilsberg in die Kernstadt und dort in Die Lilie.« Hier stand Wirtin Erika Fuhr hinterm Tresen, und Rudi Hufer kochte leckere Gerichte in der Küche. »Wir hatten 20 Jahre lang ab Mittag geöffnet, 100 bis 120 Gäste kamen täglich um bei uns Mittag zu essen. Später hatten wir ab 17 Uhr bis Feierabend geöffnet.«
Nach dem Tod von Rudi Hufer fand Fuhr zwar einen neuen Koch, doch der erkrankte. Sohn Michael hat ebenfalls Koch gelernt, ist heute aber in einer anderen Branche selbstständig. Tochter Petra, eine gelernte Hotelfachfrau, sattelte ebenfalls beruflich um. Die Wirtin fand weder in ihrer Familie noch außerhalb einen geeigneten Nachfolger. Ein Investor meldete sich, der auf ihrem und auf dem angrenzenden Grundstücken eine seniorengerechte Wohnanlage bauen wollte. »Dieses Projekt ist an der Stadt, ihren Auflagen und der zeitlichen Verzögerung gescheitert«, bedauert Fuhr.
Sie ist heute zwar offiziell im Ruhestand, treibt viel Sport und lernt Spanisch, doch ihre Berufung als Gastgeberin lässt sie nicht los. »Ich jobbe jeden Mittwoch am Imbissstand einer Metzgerei auf dem Parkplatz des Bauzentrums Maeusel.« Viele ihrer Stammgäste schauten auf eine Bratwurst vorbei. »Wir erzählen und lachen. Es ist fast so schön wie früher.«