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Auf Wohnungssuche quer durch Deutschland

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Bad Nauheim (sda). Ein eisiger Wind weht durch den Sprudelhof. Passanten starren auf den bärtigen Mann, der vor seinem Rad steht. Max Bryan deutet auf eine Holzbank: »Da werde ich heute schlafen.« Der Obdachlose auf Wohnungssuche hat eine Tour durch Deutschland hinter sich. In Bad Nauheim lebte er einst, machte eine Lehre.

Max Bryan hat Erfahrung mit Schlafplätzen im Freien, weiß, worauf er achten muss. Seine Hamburger Vermieterin hatte ihm im März 2010 nach 15 Jahren den Mietvertrag gekündigt, da sie die Wohnung für den Eigenbedarf brauchte. Danach lebte der Bryan auf den Hamburger Straßen. Doch ein Leben auf Parkbänken und in Obdachlosenheimen wollte er nicht einfach hinnehmen: Mit dem Fahrrad machte er sich von Hamburg aus auf den Weg – rund 800 Kilometer ist der Mann quer durch Deutschland geradelt. Hat in Städten wie Hameln, Paderborn, Dortmund und Köln geschlafen, um schließlich in Bad Nauheim, wo er vor 20 Jahren lebte, seine Reise zu beenden.

Ständig hatte er das Ziel vor Augen, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Bisher ohne Erfolg, denn das ist alles andere als einfach. Maximal 380 Euro warm darf die Bleibe kosten – mehr gibt sein Hartz-IV-Satz nicht her. »Und keiner will einen Wohnsitzlosen einziehen lassen«, berichtet der 36-Jährige. Oft seien Vermieter misstrauisch, hätten Angst, dass Obdachlose die Wohnung zumüllen oder die Miete nicht zahlen. »Aber wie kann man sich bessern, wenn man nicht mal eine Chance bekommt«, kritisiert Bryan die Einstellung der Vermieter. Sein Vorschlag: »Man kann die Obdachlosen einen Monat zur Probe wohnen lassen«.

»Da bist du die Nummer 1000«

Auch Hilfe vonseiten des Staates sei nicht zu erwarten: Zwar habe jeder Bürger den Anspruch auf eine menschenwürdige Bleibe, die Wartelisten für Sozialwohnungen seien jedoch zu lang. »Da bist du die Nummer 1000«, erzählt der 36-Jährige. »Ich kenne eine Familie mit sechs Kindern, die keine Wohnung findet.« Deswegen habe er selbst die Initiative ergriffen. »Ich musste weg aus Hamburg. Zu dieser Zeit war ich weniger als nichts.«

Gesagt getan: Im November radelte er los. Bepackt mit blauen Säcken, die an seinem Gepäckträger hängen. Darin transportiert er seine wichtigsten Besitztümer: Schlafsack, Isomatte, Handy und Laptop, denn den braucht Bryan, um via Facebook ein Reisetagebuch zu führen. Außerdem trägt er sein wichtigstes Utensil in der Jackentasche, einen schwarzen Edding. »Um die Menschen auf die Armut aufmerksam zu machen«, erklärt er und legt auch gleich los: »18. Etappe. Bad Nauheim. www.wohnungsmelder.org«, schreibt er auf eine alte Pappe, die er im Mülleimer vor dem Sprudelhof gefunden hat. »Damit die Menschen die Seite besuchen.«

Die Internetseite hat er gegründet, um Obdachlosen die Chance auf eine Wohnung zu bieten. »Menschen, die günstigen Wohnraum zu vermieten haben, können sich mit Hilfe der Seite an die Bedürftigen wenden«, beschreibt der Mann die Wohnraumbörse.

Seine Aktion sei auch ein Protest dagegen, dass Wohnsitzlose in Heimen vertröstet werden, dass sie keine Chance zur Besserung bekommen. »Ich will Flagge gegen Armut zeigen und Vorurteile beseitigen«, betont der 36-Jährige. Er selbst hat bisher keine Wohnung gefunden, nur einmal, da sei es fast sicher gewesen, erzählt er.

Doch als der Vermieter herausfand, dass Bryan wohnsitzlos ist, habe er sein Angebot sofort zurückgenommen. »Ich vermiete nicht an Obdachlose«, soll der Eigentümer gesagt haben. »Ich habe mich diskriminiert und gebrandmarkt gefühlt«, berichtet Bryan.

Aufgegeben hat er nicht. Doch die Zeit läuft: In Hamburg steht in einem Container sein gesamtes Hab und Gut – darunter auch wissenschaftliche Schriften zur Philosophie des Seins, die er in den letzten Jahren verfasst hat. Bald wird der Container geleert, seine Sachen landen dann auf der Straße.

Eine weitere Enttäuschung musste Bryan an Weihnachten hinnehmen. Da war er in Gießen mit seiner Mutter verabredet und hatte gehofft, wenigstens für zwei Nächte in einem warmen Bett schlafen zu können. Doch seine Mutter wollte ihn nicht mitnehmen. Bryan: »Sie stellte schon immer Bedingungen. Eine davon war, dass ich meinen Bart abschneide.« Also verbrachte er die Weihnachtsnächte in einer windgeschützten Ecke in Gießen. »Wenigstens stand ein Tannenbaum neben meinem Quartier«, erzählt er.

»Schönste Zeit meines Lebens«

Nun hofft der 36-Jährige, in Bad Nauheim fündig zu werden. Denn Anfang der 90er Jahre war er schon einmal in der Kurstadt zu Hause. »Ich bin gespannt, ob es den Metzger an der Ecke noch gibt, wo ich jeden Mittag meine Suppe und den leckeren Nudelsalat gekauft habe,« sagt Bryan. Auch seine Berufsausbildung hat er in der Stadt gemacht: Im Reisebüro Engels in der Hauptstraße, das es schon seit mehreren Jahren nicht mehr gibt. »Es bedeutet mir sehr viel, das alles wieder zu sehen. Das war damals die schönste Zeit meines Lebens.«

Findet er in Bad Nauheim keine Bleibe, will er weiterradeln. »Entweder nach Süden oder zurück nach Hamburg«, sagt der Obdachlose. Für das neue Jahr habe er große Pläne, doch zuerst müsse er ein Zuhause finden: »Ich will ein neues Leben beginnen, vielleicht mache ich eine Umschulung zum Kameramann.« Und wenn er ein neuer Mensch geworden ist, will Max Bryan auch sein Äußeres verändern. »Erst wenn ich es geschafft habe, kann ich meinen Bart abschneiden.«

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