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FDP wird zur Protestpartei

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Von: Bernd Klühs

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Wenn es um Windkraft geht, werden Freidemokraten zu Revoluzzern. FDP-Bürgermeisterkandidatin Britta Weber ruft zu zivilem Ungehorsam gegen den geplanten Windpark Bad Nauheim auf.

Am Mittwochabend im Rosensaal glaubt der Besucher zunächst, in der falschen Veranstaltung zu sein. Sofort fällt ein großes Transparent ins Auge: »Wer Mensch und Natur mit Windkraft quält, wird nicht mehr wieder gewählt«. Der Slogan stammt von der Bürgerinitiative Gegenwind Wetterau, die Regie zu führen scheint. Bis zum Beginn der Redebeiträge werden den rund 50 Besuchern Fotomontagen der BI gezeigt, die auf eine große Leinwand projiziert werden. Zu sehen ist, wie der Blick von Bad Nauheim oder Wölfersheim auf den geplanten Windpark der EnBW eines Tages aussehen könnte.

Verwunderlich ist diese Unterstützung nicht, denn Liberale und »Gegenwind« liegen inhaltlich komplett auf einer Linie. Und die ist eindeutig: Deutschlandweit soll kein einziges neues Windrad mehr gebaut werden. Widerspruch gibt es im Lauf der Wahlkampfveranstaltung nicht, denn im Saal finden sich keine Windkraft-Befürworter – oder sie trauen sich nicht, das Wort zu ergreifen.

Windpark als Hauptwahlkampfthema von Weber FDP-Kandidatin Britta Weber möchte den Windpark zu einem Hauptwahlkampfthema machen und zeigt sich etwas enttäuscht von der Resonanz an diesem Abend: »Ich habe 5000 Flyer verteilt, trotzdem ist die Besucherzahl überschaubar.« Ihrer Ansicht nach drängt die Zeit, um wirkungsvollen Widerstand zu organisieren, auch wenn der Stromkonzern noch keinen Genehmigungsantrag gestellt hat. Gerade für die Gesundheitsstadt Bad Nauheim, die auch vom Tourismus lebe, sei eine solche Anlage kontraproduktiv.

Auf Fragen von Bürgern aus Rödgen und Wisselsheim zu Protestformen empfiehlt Weber, auf der untersten politischen Ebene zu beginnen. »Sprechen Sie Ortsbeiratsmitglieder direkt an, üben Sie Druck aus.« Ihre Mitbewerber um das Bürgermeisteramt hofften, das Vorhaben werde nicht genehmigungsfähig sein, weil das Gebiet im Radius des »Funkfeuers« der Flugsicherung liege. »Dieses Argument zieht nicht, denn inzwischen werden Windräder mit Spezialbeschichtung hergestellt, ähnlich wie bei Tarnkappenbombern. Die Arbeit der Flugsicherung wird dann nicht beeinträchtigt.« Als Rathauschefin würde Weber, die alle Bürger zum »zivilen Ungehorsam« aufruft, versuchen, der EnBW das Wegerecht zu verweigern.

Röstel: Große Risiken für Landbesitzer Nach Auskunft von »Gegenwind«-Sprecher Norbert Röstel gehört das vom Investor angepeilte Areal etwa 20 Privatleuten. »Wir haben alle angeschrieben und vor Fallstricken in den Vertragstexten gewarnt«, sagt Röstel. Auf den ersten Blick sei das Angebot lukrativ. So werde einem Landwirt im Vorvertrag ein Jahresbetrag von 15 000 Euro versprochen, während durch Getreideanbau auf derselben Fläche nur 200 Euro zu verdienen seien. Laut Röstel gibt es aber große Risiken für Landbesitzer. Beispiel: Gehe die Betreiber-GmbH pleite, müsse der Landeigentümer für Rückbaukosten aufkommen, die pro Windrad bei 300 000 Euro lägen.

Röstel und ein BI-Aktivist aus Bruchenbrücken fordern Gegner des Projekts auf, sozialen Druck auf die Landbesitzer auszuüben. »Eine solche Einflussnahme ist die einzige Möglichkeit, die helfen kann«, sagt der Friedberger. In Bruchenbrücken hätten zwei Bauern nicht verkauft, was die Zahl der Windräder reduziert habe. In diese Richtung denkt auch Weber: »Wenn die Bevölkerung den Windpark fast geschlossen ablehnt, wird sich ein Landbesitzer, der hier wohnt, zweimal überlegen, ob er verkauft.«

"EEG unsozialstes Gesetz aller Zeiten" Den Standpunkt der Hessen-FDP verdeutlicht René Rock, energiepolitischer Sprecher der Landtagsfraktion. In Deutschland gebe es 29 000 Windräder, was einer Leistung von 50 Atomkraftwerken entspreche. »Das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist das unsozialste Gesetz aller Zeiten«, meint Rock. Durch seine Auswirkung auf den Strompreis, den der Hartz IV-Empfänger in gleicher Höhe zahlen müsse wie der Millionär, handele es sich um eine »subventionsgetriebene Umverteilungsmaschine« von unten nach oben. Nur Investoren profitierten, die eine Abnahmepreis-Garantie für 20 Jahre erhielten, egal ob Strom benötigt werde oder nicht. Wenn 2016 in 350 000 Haushalten der Strom abgeschaltet worden sei, weil sie nicht mehr zahlen könnten, stelle sich die Gerechtigkeitsfrage.

Aus technischen Sicht sei der Mangel an Speichermöglichkeiten das Hauptproblem. Konsequenz: Die Grundlast müsse weiter durch Kraftwerke gewährleistet werden, wobei sich nur veraltete und bereits abgeschriebene Kohlekraftwerke rechneten. Rock: »Kein einziges Gaskraftwerk ist in Deutschland am Netz. Selbst die modernste Anlage weltweit verkommt zur Industrieruine.« Deshalb sinke der CO2-Ausstoß in Deutschland seit Jahren kaum noch. Weil an Tagen mit viel Wind totale Überproduktion herrsche, müsse Strom ans Ausland abgegeben werde, wobei der Empfänger nicht etwa Geld zahle, sondern noch welches erhalte.

Die FDP stellt nicht nur die soziale Frage, sondern sieht sich unversehens auch in der Rolle von Naturschützern. »Die Liberalen müssen sich heute um Fledermäuse und Vögel kümmern, denen die Grünen ans Leder wollen«, sagt der Landtagsabgeordnete.

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