Tourismus: Eine »Umsatz-Maschine«, die unterschätzt wird
Bad Nauheim (bk). Beachtlich: Ein Umsatz von 148,1 Millionen Euro pro Jahr wird in der Kurstadt durch den Tourismus generiert. Das geht aus einer Studie hervor, die von der Firma dwif-Consulting im Auftrag der Bad Nauheim Stadtmarketing und Tourismus (BNST) GmbH erarbeitet wurde.
Wie aus den Untersuchungsergebnissen weiter ersichtlich ist, habe sich die Zahl der Übernachtungen zwischen 2005 und 2010 um 40 Prozent gesteigert. Trotz der erfreulichen Resultate, die im Rahmen der letzten Haupt- und Finanzausschuss-Sitzung vorgestellt wurden, sieht BNST-Geschäftsführerin Katja Heiderich Verbesserungsbedarf. Das gelte sowohl für die Qualität als auch für die Quantität der Beherbergungsbetriebe: »In manchen Fällen stimmt der Preis nicht mit dem Angebot überein.«
Präsentiert wurde die Studie von Lars Bengsch, Prokurist der dwif-Consulting. Der Jahresbruttoumsatz von 148,1 Millionen Euro bedeutet seinen Worten zufolge Einkommenseffekte von rund 83,9 Millionen Euro. Im Vergleich zu anderen deutschen Mineral- und Moorheilbädern sei das Plus von 40 Prozent bei den Übernachtungszahlen ein überdurchschnittliches Wachstum. Die Aufenthaltsdauer ist laut Bengsch etwas zurückgegangen, jedoch sei dies ein deutschlandweites Phänomen. Die Auslastung der vorhandenen Betten sei in Bad Nauheim gestiegen.
Über 687 000 Übernachtungen hat das Statistische Landesamt 2010 in Bad Nauheim verzeichnet. Damit ist die Gesundheitsstadt laut Studie »treibende Tourismuskraft im Wetteraukreis« und liege mit diesen Zuwachsraten sowohl im Landes- als auch im Bundesvergleich weit über dem Durchschnitt.
75 Prozent der Übernachtungsgäste sind nach Erkenntnissen von dwif, eine Tochter des renommierten Deutschen Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts für Fremdenverkehr, in Kliniken untergebracht. Diese Gäste zählten jedoch zu den Touristen, denn sie tätigten Ausgaben in der Stadt und zögen darüber hinaus weitere Besucher an. Zudem betonte Bengsch, dass es keinen Unterschied mache, ob das Geld für die Unterkunft vom Gast oder von der Krankenkasse komme: So oder so gelange es in die Stadt.
Bedeutender Faktor: »Sofatouristen«
Nicht zu unterschätzen seien außerdem die sogenannten Sofatouristen, die kostenlos bei Bekannten oder Verwandten übernachten, sich aber in vielen Punkten wie normale Touristen verhalten. Wie eine repräsentative Befragung ergeben habe, komme es in Bad Nauheim pro Jahr zu etwa 190 000 Übernachtungen im Rahmen des »Sofatourismus«. Rund 53 Prozent der befragten Einwohner haben angegeben, sich vorstellen zu können, ihre Gäste in Zukunft einmal in einem Beherbergungsbetrieb unterzubringen. »Hier liegt ein Marketingansatz«, so Bengsch. »Die Betriebe könnten den Einheimischen konkrete Angebote unterbreiten und ihr Haus beispielsweise bei einem Tag der offenen Tür vorstellen.« Bei den »Sofatouristen« handelt sich nach Angaben von BNST-Chefin Heiderich um zusätzliche Gäste, die zu den 687 000 Übernachtungen in Beherbergungsbetrieben addiert werden müssten.
Eine weitere wichtige Kraft im Tourismus sind der Studie zufolge Tagesgäste, die zwar nicht übernachten, aber vor Ort Ausgaben tätigen. Rund 1,8 Millionen Tagesgäste hat dwif ermittelt. Zusammen mit den Übernachtungsgästen komme Bad Nauheim auf 2,71 Millionen touristische Aufenthaltstage. Die durchschnittlichen Ausgaben eines Touristen in Bad Nauheim beliefen sich auf 136 Euro pro Tag und Person bei Unterbringung in einem Beherbergungsbetrieb und 26,30 Euro bei Tagesreisenden und »Sofatouristen«. »Diese Zahlen wurden von der Firma aufgrund von repräsentativen Telefoninterviews ermittelt«, erläuterte Heiderich im Gespräch mit der WZ. Multipliziere man nun diese Tagesausgaben mit dem statistisch ermittelten Nachfragevolumen, erhalte man den Wirtschaftsfaktor und damit den Bruttoumsatz von 148,1 Millionen Euro.
Anschaulich legte Bengsch dar, wer vom Tourismus in Bad Nauheim profitiert: zum einen die direkten Anbieter und deren Beschäftigte (Beherbergungsbetriebe und Gastronomen), der Einzelhandel sowie Dienstleistungsunternehmen. »Die Therme am Park, kulturelle Veranstaltungen, Gesundheitsangebote oder der ÖPNV«, nannte Bengsch als Beispiele. Es handele sich außerdem um eine Wechselwirkung: »Bad Nauheim hat eine Infrastruktur, die auch den Einwohnern zugute kommt.« Zum anderen wirkten sich die Einkommenseffekte aber auch indirekt aus, denn alle direkten Profiteure erzeugten ihrerseits Umsatz bei sogenannten Vorleistungslieferanten, beispielsweise für Verwaltung, Instandhaltung oder Finanzierung ihres Betriebs und Wareneinkäufe. Alles in allem beläuft sich der Beitrag des Tourismus zum Primäreinkommen in Bad Nauheim nach Erkenntnissen der Studie auf 10,8 Prozent. Dies sei laut Bengsch ein »guter und gesunder Wert«.
»Neutral und repräsentativ«
»Das hier vorgestellte Umsatzvolumen, das der Tourismus in Bad Nauheim generiert, hat meine Erwartungen übertroffen«, betonte Bürgermeister Armin Häuser. Die Rolle des Tourismus als Wirtschaftszweig werde oft unterschätzt, erklärte BNST-Geschäftsführerin Heiderich. Aus diesem Grund habe sie die Studie in Auftrag gegeben: »Wir wollten neutral und repräsentativ feststellen lassen, welche Bedeutung der Tourismus für unsere Stadt hat. Dabei geht es nicht nur um die direkten Profiteure wie Hotel- und Gaststättenbetreiber, sondern auch um die indirekten wie den Teppichleger, der den Hotelboden macht, oder den Bäcker, der morgens die Brötchen liefert.« Die Zahlen der Studie sollen als Entscheidungshilfe in Fragen der Stadtentwicklung dienen. Anhand eines Beispiels erklärte Heiderich weiter: »Es war uns wichtig, Politik und Verwaltung zu sensibilisieren. Entscheidungen über Infrastrukturen wie Therme, Parkanlagen oder Museum haben weiterreichende Effekte, als man auf den ersten Blick denkt. Die Studie zeigt unter anderem, dass der Einzelhandel in enormem Maße vom Tagestourismus profitiert. Entfällt eine tagestouristische Einrichtung hat dies direkte Auswirkungen auf den Umsatz des Einzelhandels.« Eine Zahl zum Thema Einzelhandel: 35 Prozent der Ausgaben von Tagesgästen in Bad Nauheim flössen in die Kasse der Geschäfte.
Nun werde zu diskutieren sein, wie die Ergebnisse der Studie in die Stadtentwicklung einfließen sollen.