Stoll-Pleite: 15 Jahre und kein Ende des Verfahrens in Sicht
Bad Nauheim (bk). Bereits 1995 wurde die Bad Nauheimer Karosseriebaufirma Stoll liquidiert und noch immer ist das Insolvenzverfahren nicht abgeschlossen. Unter anderem warten 13 ehemalige Mitarbeiter auf Zahlungen aus dem Sozialplan.
Wieder einmal sitzt Hans Podschun an seinem Küchentisch und blättert in zwei Schnellheftern mit der Aufschrift »Konkurs Fa. Stoll«, die unzählige Schreiben und Notizzettel enthalten. Der 74-Jährige schüttelt den Kopf, kann es nicht glauben: Im Sommer 1995 wurde mit der Auflösung des Bad Nauheimer Karosseriebaubetriebs Stoll begonnen, erst ein dreiviertel Jahr später war der Konkursantrag beim Amtsgericht eingegangen. Seitdem sind mehr als 15 Jahre vergangen – und noch immer ist kein Abschluss des Insolvenzverfahrens absehbar. Podschun und andere ehemalige Stoll-Mitarbeiter warten nach wie vor auf Zahlungen aus dem Sozialplan. »Ich mache mit keine große Hoffnung, das Geld jemals zu bekommen, aber ich hätte die Sache gerne zum Ende gebracht«, sagt der frühere Betriebsratsvorsitzende, der massenhaft Briefe verfasst, Telefonate und persönliche Gespräche geführt hat.
Friedrich Stoll hatte die elterliche Wagnerei in der Mittelstraße in den 1950er Jahren in einen Karosseriebaubetrieb verwandelt und war später in die Schwalheimer Straße umgesiedelt. In den Wirtschaftswunder-Jahren entwickelte sich Stoll zum renommiertesten Handwerksbetrieb Bad Nauheims, der mehr als 100 Leuten einen scheinbar sicheren Arbeitsplatz bot. Friedrich Stoll war in der Kurstadt eine bekannte Unternehmer-Größe, betätigte sich als UWG-Politiker und Sportmäzen. Nach dem Unfalltod von Sohn Willi (1980), dem Einstieg des Konzerns Ackermann & Frühauf und einer Verschlechterung der Auftragslage ging es mit der Firma sukzessive bergab. Im Juli 1995 war es so weit: In einer Betriebsversammlung wurden die 70 verbliebenen Arbeiter und Angestellten über die Liquidation des traditionsreichen Betriebs zum 30. September informiert.
»Damals handelten Arbeitnehmervertreter, Geschäftsleitung und Gewerkschaft einen Sozialplan für 62 Leute aus. 1,8 Millionen Mark sollten für ausstehende Gehaltszahlungen und Abfindungen zur Verfügung stehen«, erinnert sich Hans Podschun, der von 1972 bis 1993 Betriebsratsvorsitzender war. Wer frühzeitig »freiwillig« ausgeschieden sei, habe sein Geld erhalten, am Ende blieben nach Aussage des 74-Jährigen 13 Mitarbeiter übrig, denen gekündigt wurde. Sie mussten sich mit ihren Ansprüchen aus dem Sozialplan an den Konkursverwalter wenden, einen Bad Nauheimer Rechtsanwalt. Podschun wurde mithilfe der DGB-Rechtsstelle schnell aktiv, ließ seine Forderungen in Höhe von rund 20 000 Mark durch eine Entscheidung des Arbeitsgerichts Gießen bestätigen.
2007 ein kleiner Lichtblick
»In den Jahren nach dem Aus der Firma habe ich mich dumm und dämlich telefoniert, bin regelmäßig mit dem Konkursverwalter und dem zuständigen Rechtspfleger in Kontakt getreten. Stets wurde ich vertröstet«, berichtet Podschun. Nach unzähligen Anläufen gab es für die Ex-Mitarbeiter 2007 einen kleinen Lichtblick. Wie aus einer Liste hervorgeht, die der WZ vorliegt, hatten die 13 Ex-Beschäftigen aus dem Sozialplan Ansprüche von gut 430 000 DM.
Ein kleiner Teil dieser Summe wurde vom Konkursverwalter als »bevorrechtigt« eingestuft. Etwa die Hälfte dieser vorrangigen Forderungen wurde ausgezahlt: 41 199 Euro, etwa 20 Prozent der Gesamtsumme. Am Beispiel von Hans Podschun ergibt sich folgende Rechnung: Nach einem Vermerk des Amtsgerichts hat er Gesamtansprüche von 10 453,85 Euro, überwiesen wurden 2007 1910,65 Euro, bleibt ein Rest von 8543,20 Euro. Geld, das der Rentner an seinem Lebensabend gut gebrauchen könnte, aber vermutlich nie sehen wird, weil die Forderung vom Konkursverwalter als »nachrangig« eingestuft wurde. Das heißt: Wenn es eines Tages um die Schlussverteilung der Konkursmasse geht, werden diese Ansprüche zuletzt befriedigt. Ähnlich geht es den anderen Betroffenen, die ebenfalls mit kleinen Beträgen abgespeist wurden. Ein früherer Stoll-Arbeiter, der noch Geld aus dem Sozialplan zu bekommen hatte, ist Podschun zufolge inzwischen verstorben.
»Auch nach 2007 habe ich mich bemüht, die Sache voranzutreiben. Ich bin zum Konkursverwalter und zum Rechtspfleger gegangen, habe Akteneinsicht erhalten«, sagt der Rentner, der Hunderte von Stunden seiner Freizeit investiert hat. Erst kürzlich hat er sich erneut ans Amtsgericht gewandt und erfahren, dass 2012 möglicherweise mit dem Abschluss des Verfahrens zu rechnen sei. Darauf vertraut der 74-Jährige nicht, hat er doch in den letzten 15 Jahren solche Ankündigungen mehrfach gehört.
»Prognose für Abschluss nicht möglich«
Wann die Stoll-Akten endlich zugeklappt werden können, weiß Oskar Tritt, Direktor des Friedberger Amtsgerichts, nicht zu sagen. Wie verlässlich Auskünfte zu diesem Thema sind, lässt sich einer Randnotiz entnehmen: Laut Tritt hatte der Konkursverwalter Ende 2002 berichtet, dass er hoffe, das Verfahren 2003 abschließen zu können. Weitere Jahre verstrichen. Tritt: »Nachdem das Gericht den Konkursverwalter auf die Möglichkeit der Verhängung eines Zwangsgeldes hingewiesen hatte, wurde im November 2008 ein vorläufiger Schlussbericht eingereicht.« Der Gläubigerausschuss prüfte dieses Papier, das schließlich im Oktober 2009 beim Amtsgericht einging. Seit Anfang 2010 beschäftigt sich ein Sachverständiger mit dem Bericht.
»Offenbar gestalten sich die Dinge auch hier zeitaufwendig. Eine Prognose für den Abschluss des Verfahrens ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich«, sagt der Direktor.
Tritt zufolge können sich solche Verfahren bei Konzernen über Jahrzehnte hinziehen. Bei der Größenordnung, zu der die Firma Stoll gehörte, sei eine solche Dauer aber kein Standard: »Das wäre auch schlecht.« Als großes Problem bei der Abwicklung habe sich der zeitgleiche Konkurs des Mutterkonzerns Ackermann & Frühauf erwiesen. Zudem hätten erhebliche steuerrechtliche Schwierigkeiten zur Verzögerung beigetragen. »Die Akte ist etwa 30 Zentimeter dick und umfasst ungefähr 1000 Seiten«, berichtet Tritt.
Zur Frage, ob Podschun und seine Ex-Kollegen Geld erhalten werden, kann der Amtsgerichtsdirektor nichts sagen. Erfahrungsgemäß entfalle auf »nachrangige Konkursgläubiger« wie die ehemaligen Mitarbeiter eine geringe Quote. Wie Tritt weiter mitteilt, seien in dem Verfahren 83 Forderungen angemeldet worden, zu den Gläubigern zählen neben früheren Angestellten Banken, Versicherungen, Finanzamt und Stadtwerke. Die Forderungen der Banken wurden vermutlich 2001 beglichen – zumindest zum Teil.
Damals wurde das Stoll-Gelände für rund 2,7 Millionen DM an die Stadt verkauft. Auf das Areal waren laut Tritt Grundpfandrechte in Höhe von etwa 5 Millionen Mark eingetragen. Bei der Eröffnung des Konkursverfahrens im Jahre 1996 sei der Wert des Grundstücks deshalb nicht in die Berechnung der Konkursmasse eingegangen. Die Masse habe damals 467 000 Mark betragen. Etwa 35 000 Euro ausgezahlt bekommen hat bislang der Gläubigerausschuss – als Vergütung. Wie viel der Konkursverwalter als Honorar kassieren wird, steht Tritt zufolge noch nicht fest.
Trotz allem positiver Rückblick
Zurück zu Hans Podschun. »Es war trotz allem eine schöne Zeit beim Stoll«, blickt der Ex-Betriebsratschef, der 1968 in die Firma eintrat und bis 1983 auf dem Betriebsgelände wohnte, gerne auf sein Berufsleben zurück. Die Kollegen seien mit Herzblut dabei gewesen, als das Ende verkündet wurde, hätten einige Mitarbeiter Tränen vergossen.
Heute hofft der 74-Jährige nur noch auf ein Ende des Insolvenzverfahrens, um seine Schnellhefter endgültig beiseite legen und einen Schlussstrich unter die jahrzehntelange Maloche beim Stoll ziehen zu können.