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Vom Stasi-Opfer zum Bundesbeauftragten

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Selten haben Schüler der Bad Nauheimer St.-Lioba-Schule den Besuch eines Zeitzeugen derart mit angehaltenem Atem verfolgt wie die Jugendlichen der Q 2-Phase den Besuch von Roland Jahn.

Der sprach nach der Begrüßung durch Schulleiter Bernhard Marohn und Hans Peter Wavra für die Fachschaft Geschichte im Musiksaal über die Rolle der Stasi im politischen System der DDR.

Jahn ist nicht nur Opfer der Stasi, sondern als Nachfolger des ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck und von Marianne Birthler mittlerweile auch Beauftragter der Bundesregierung für die Unterlagen der Staatssicherheit der ehemaligen DDR.

Durch die Mitwirkung der Schülerinnen Nele Musch und Sophie Weiss gewann die Doppelstunde eine Dichte, die im normalen Unterricht nicht erreichbar wäre. Wavra stellte den 1953 in Jena geborenen DDR-Oppositionellen als jemanden vor, der nicht als Oppositioneller geboren, sondern durch die permanente Einschränkung von Freiheiten dazu gemacht worden sei. Beispiele für das Überwachungssystem der Stasi lieferte Jahn mehr als genug aus eigener Erfahrung. »Diktaturen merkt man nicht so einfach«, sagte er. »Auch in einer Diktatur scheint die Sonne. Und Party machen geht auch.« Doch der kleine Alltag könne nicht losgelöst vom Ganzen betrachtet werden. So habe es auch kein einzelnes Ereignis gegeben, das ihn zum Oppositionellen gemacht habe. Um studieren zu können, habe er erst den Grundwehrdienst bei der NVA ableisten müssen. Dabei hätte es zum Einsatz in der Grenztruppe mit Schießbefehl kommen können.

Strafe für Stalin-und-Hitler-Gesicht

Das zur Hälfte als Stalin, zur anderen als Hitler geschminkte Gesicht bei einer Maiparade brachte Jahn 1982 sechs Monate U-Haft ein. Bereits ein Jahr vorher war sein Freund Matthias Domaschk nach Stasi-Verhören ums Leben gekommen. Während viele resignierten und zum Teil die DDR verließen, blieb Jahn. Gedankt wurde ihm der Verbleib in der DDR mit 22 Monaten Haft »wegen Herabwürdigung der staatlichen Ordnung und Missbrauch öffentlicher Symbole«. Seinem Vater, der mit Herzblut den FC Carl Zeiss Jena, einen der DDR-Spitzenfußballclubs, aufgebaut hatte, wurde die Ehrenmitgliedschaft entzogen, und er wurde aus dem Verein geworfen. Letzteres machte man auch mit dem Sohn, der vor Ort bleiben wollte. Man warf ihn gefesselt in einen Zug nach Westen.

Jahn bezog sich auf die Entwicklung in der Türkei, die schleichend und unter Bezug auf »Volkssouveränität« geschehe. Die Jugendlichen machte er mit dem Biermann-Zitat »Wer sich nicht in Gefahr begibt, kommt darin um« nachdenklich. Für ihn sei die »Sippenhaft« im Nachhinein das Schlimmste gewesen. »Jeder ist für sein eigenes Leben verantwortlich«, stellte der mit begeistertem Applaus belohnte Jahn abschließend dar. (Foto: has)

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