»Eine Panik ergreift mich« – Große Angst in Bad Nauheim um Freunde in Afghanistan

Die Bilder aus Kabul erschüttern die Welt. Angst herrscht auch bei einem Verein in Bad Nauheim. Es ist die Angst um Menschen wie Dr. Ghezaluddin Moradi. Er hat einst in der Wetterau gearbeitet.
Bad Nauheim – Mit einem leichten Lächeln schaut er in die Kamera, einem Lächeln, das in diesem Moment vielleicht die Freude darüber zum Ausdruck bringt, dass er in Deutschland als Arzt hospitieren kann, um später Kindern in seinem Heimatland Afghanistan zu helfen. Das Bild ist vor rund zwei Jahren in der Wetterauer Zeitung erschienen. Es zeigt Dr. Ghezaluddin Moradi. Heute sitzen er und seine Familie in Kabul fest. In der Stadt, auf die die Welt schaut. Die Stadt mit dem Flughafen, auf dem sich verzweifelte Menschen an startende Flugzeuge klammerten, beim Versuch, den Taliban zu entkommen.
Dort also sitzt jetzt dieser Arzt, der vor zwei Jahren noch von Dr. Michael Eckhard, dem Leiter der Diabetes-Klinik am Gesundheitszentrum Wetterau (GZW) weitergebildet wurde. Eckhard ist ebenfalls auf dem Foto vom Sommer 2019 zu sehen, außerdem Dr. Bernt Kampmann, der Moradis Deutschland-Aufenthalt vermittelt hatte. Moradi sollte damals auf die Leitung einer Ambulanz in Kabul vorbereitet werden. Seit 2008 finanziert der in Bad Nauheim ansässige Verein »Hilfe für Diabetes-Ambulanz Afghanistan« eine Einrichtung im Indira-Gandhi-Krankenhaus in Kabul. Diese Ambulanz kümmert sich um Kinder, die an Diabetes erkrankt sind. Dr. Zarmina Zarman ist Vorstandsvorsitzende des Vereins, der sieben Mitglieder hat. Kampmann engagiert sich als Zweiter Vorsitzende, Tereza Plaz als Schatzmeisterin.
Bad Nauheim: Kurze Antworten per Whatsapp aus Afghanistan
»Eine Panik ergreift mich, wenn ich nur daran denke«, sagt Plaz über die fürchterlichen Bilder aus Afghanistan. Sie schaut, hört, liest, was auch immer sie an Nachrichten aus dem Land bekommt. Plaz, die aus Ungarn stammt, sagt: »Bei mir kommen alle Gefühle wieder hoch. Von Heiligabend ’44, als die Russen bei uns einmarschierten.«
Die Bad Nauheimerin hält Kontakt zu Ghezaluddin Moradi, hat ihm per Whatsapp Nachrichten geschrieben, die ihre Angst um sein Wohlergehen zum Ausdruck bringen. »Er schrieb nur ›Ich danke Ihnen.‹ Mehr nicht. Ich nehme an, er hat einfach Angst.«
Sorge um Kinderarzt in Afghanistan: Er hat früher als Dolmetscher für die Bundeswehr gearbeitet
Die Sorgen um den Kinderarzt werden noch durch die Tatsache verstärkt, dass Moradi von 2002 bis 2006 als Dolmetscher für die Bundeswehr in Afghanistan gearbeitet hat, für die Taliban ein Feindbild.
Als Kind wurde Moradi drei Jahre lang wegen einer chronischen Knochenentzündung in Augsburg behandelt. Durch seinen Aufenthalt dort habe er ziemlich gute Deutschkenntnisse erlangt, sagt Plaz. Wie die Situation in der Diabetes-Ambulanz in Kabul gerade ist, kann sie nicht sagen. Aktuell sei von dem Team neben Moradi noch eine Krankenschwester vor Ort. Zu ihr bestehe kein Kontakt, sie könne kein Englisch.
Einen Draht gibt es hingegen zur Ärztin Dr. Zubadia Sidiqi, die sich aktuell in Istanbul befindet. Sidiqi arbeitet sonst ehrenamtlich in der von dem Bad Nauheimer Verein finanzierten Ambulanz in Kabul. In der afghanischen Hauptstadt befindet sich noch ihre älteste Tochter. Sie hat schon vor einiger Zeit ein Flugticket Richtung USA gebucht, wo sie ein neues Leben beginnen wollte, sagt Plaz. Diese Tochter hat auch schon in der Kabuler Ambulanz gearbeitet. Vor wenigen Tagen habe Sidiqi noch gesagt, dass sie nach Kabul fliegen und sich von ihrer auswandernden Tochter verabschieden wolle, sagt Plaz. Dann wurde die Ärztin von den Ereignissen überrumpelt, so wie die Menschen in Afghanistan, wie der Westen, wie die Welt.
Afghanischer Kinderarzt war bis 2019 in Bad Nauheim
Zubadia Sidiqi sei eine moderne, aufgeklärte, freie Frau, sagt Tereza Plaz. Und ihr Mann sei auch so gewesen, schließlich habe er ihr erlaubt, als Ärztin in der Wetterau zu hospitieren, und sei selbst zu Hause bei den fünf Kindern geblieben »Das alleine ist ja schon ein Novum für einen afghanischen Mann«, sagt Plaz.
Und Moradi? Auch er steht für ein anderes Gesicht Afghanistans, nicht für die Ansichten der Taliban. Als er sich 2019 in Bad Nauheim aufhielt, sagte er: »In Deutschland will ich viel lernen, werde mit einer Menge Info-Material versorgt.« Hier zu bleiben, habe er 2019 gar nicht gewollt, sagt Plaz. Moradi erinnerte im Sommer vor zwei Jahren auch an seine Zeit als Dolmetscher für die Bundeswehr. Seine Worte klingen heute wie aus einer Welt, die damals noch in Ordnung war und nun zusammengebrochen ist: »Von den Taliban habe ich deswegen keine Drohungen erhalten. In deren Hochburg im Süden reise ich nicht.«
Bad Nauheimer Verein finanziert Diabetes Ambulanz für Kinder in Afghanistan
Seit 2008 finanziert der in Bad Nauheim ansässige Verein »Hilfe für Diabetes-Ambulanz Afghanistan« eine Ambulanz im Indira-Gandhi-Krankenhaus in Kabul. Dort wird Kindern geholfen, die an Diabetes erkrankt sind. Im Jahr 2008 behandelte Dr. Bernt Kampmann, der heutige Zweite Vorsitzende des Vereins, in Friedberg gerade zwei afghanische Jungen, die schwer an Diabetes erkrankt waren. Um solche Kinder habe sich damals in Kabul kein Krankenhaus gekümmert, sagt Tereza Plaz. Das wollten sie und Kampmann ändern. Der Arzt wandte sich an die heutige Vorstandsvorsitzende des Vereins, Dr. Zarmina Zarman, die sich wiederum mit einer Studienkollegin in Verbindung setzte. Diese Ärztin und eine Krankenschwester kamen für sechs Wochen in die Wetterau. Der Zonta-Club, dessen Präsidentin Plaz damals war, übernahm die Kosten. Pro Jahr versorgt der Bad Nauheimer Verein über die Ambulanz in Kabul 300 bis 350 an Diabetes erkrankte Kinder. Dort schult man auch die Eltern, wie sie mit der Krankheit der Kinder umgehen sollen. »Wir leben von Spenden«, sagt Plaz. Wie es nach der Machtübernahme der Taliban weitergeht mit der Ambulanz in Kabul, ist ungewiss.