»Ein Mann, der einfach nur verzweifelt war«
Bad Nauheim/Gießen (ti). Seine Frau will sich von ihm trennen, wie schon so oft. Doch in den Tagen vor dem 22. Oktober 2008 ist es anders. Diesmal meint es die 39-Jährige ernst. Ihr 45-jähriger Ehemann versucht sie verzweifelt von ihrem Entschluss abzubringen, doch es gelingt ihm nicht. Er droht ihr, wird handgreiflich - ein Familiendrama wie viele andere. Doch in diesem Fall endet es tödlich.
»Weil die Ehefrau sich dem Willen des Angeklagten nicht beugen wollte, wird sie erstochen«, fasste es Staatsanwalt Klaus Bender in seinem Plädoyer zusammen. Der Anklagevertreter forderte eine zehnjährige Freiheitsstrafe für den 45-jährigen Türken aus Bad Nauheim, der sich seit 12. Mai wegen Totschlags an seiner Gattin vor der Fünften Großen Strafkammer des Gießener Landgerichtes verantworten musste. Gestern wurde er verurteilt: Eine Freiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten hielt die Kammer unter Vorsitz von Dr. Dirk Teßmer für tat- und schuldangemessen.
Damit folgte das Schwurgericht weitgehend dem Antrag des Staatsanwalts. Strafmildernd wurde berücksichtigt, dass der Angeklagte das Messer nicht selbst ins Spiel gebracht hatte. Der Vorsitzende machte deutlich, dass das Opfer ohne dieses Messer noch leben würde. Zum Prozessauftakt Mitte Mai hatte der Türke die Tat gestanden, aber betont, seine Frau nicht mit Absicht getötet zu haben. Im Streit über die Trennung »ist in meinem Innern etwas explodiert«, hatte der Mann ausgesagt. Mehrmals habe er am Tattag in der gemeinsamen Wohnung in Bad Nauheim auf die 39-Jährige eingeschlagen, bis diese aus der Küche das Brotmesser holte und damit »herumfuchtelte«. Er habe es ihr abgenommen und zugestochen.
»Er hatte gar nicht vor, sie umzubringen. Aber jetzt hat er plötzlich ein Messer in der Hand.« In diesem Moment wurde dem dreifachen Familienvater klar, dass er seine Frau und seine Töchter verlieren und allein zurückbleiben würde, und »er sticht zu«. Teßmer zeigte ein gewisses Verständnis für das Verhalten des 45-Jährigen, nannte ihn einen »Mann, der in diesem Moment einfach nur verzweifelt war«. Eifersucht, Wut, Verzweiflung und die Angst, allein gelassen zu werden - »Gefühle, die jeder von uns schon einmal gespürt hat«. Dennoch gebe ihm all dies nicht das Recht, jemanden zu töten.
»Niedere Beweggründe liegen nicht vor«
Eine Verurteilung wegen Mordes, wie von der Nebenklage gefordert, zog die Kammer nicht in Betracht: Niedere Beweggründe lägen nicht vor. Ebenso wenig eine Affekthandlung. Die jedoch hatte Verteidiger Michael Senz angenommen und war von einem »minderschweren Fall des Totschlags« ausgegangen, weil vor den Augen seines Mandanten »alles zusammenbrach«. Die Kammer aber konnte »keine tiefgreifende Bewusstseinsstörung« erkennen, sondern nur einen »aufgeregten Angeklagten«. »Es war ein normaler Totschlag, nicht mehr und nicht weniger«, sagte Teßmer.
Mit fünf Stichen hatte der Ehemann seine Frau verletzt. Drei davon - in Brust und Bauch - waren tödlich. Bereits der erste sei Ursache für den Tod gewesen, wenngleich der auch erst in den folgenden fünf Minuten eintrat. Daraufhin wickelte der 45-Jährige den Leichnam der Frau in Sack und Decke, packte sie in den Kofferraum seines Wagens und vergrub sie - nachdem er zunächst mehr oder weniger ziellos umhergefahren war - auf einem Gartengrundstück bei Dorheim. Später versuchte er, sich selbst das Leben zu nehmen. Erst fünf Tage nach der Tat führte er die ermittelnden Beamten zum Ablageort. Ohne diesen Hinweis, so Bender, sei die Leiche vermutlich nie gefunden worden. Ein Umstand, den Gericht und Staatsanwaltschaft ebenso positiv werteten wie das Geständnis des Angeklagten und sein reines Vorstrafenregister. Dennoch gebe es für eine solche Tat keine Rechtfertigung.