Ein Dialog in ungesagten Worten

Um zwei Jahre verspätet doch hochaktuell fand im Haus der Buber-Rosenzweig-Stiftung eine außergewöhnliche Vernissage statt: Der Bad Nauheimer Künstler Mike Kuhlmann schenkte dem Haus ein Gemälde mit den Namensgebern Martin Buber und Franz Rosenzweig.
»Voraussetzung für das Verstehen ist die Bereitschaft dazu.« Kluge Worte hatte Bürgermeister Klaus Kreß gewählt, um Brücken zu schlagen von Bad Nauheim zu den beiden jüdischen Religionsphilosophen, dem Maler sowie dem Kernthema des Bildes und der Veranstaltung. Zum Dialog begrüßte der Vorsitzende der Buber-Rosenzweig-Stiftung Prof. h. c. Dr. Abi Pitum eine kleine Festgesellschaft.
Seit 1989 hat der Deutsche Koordinierungsrat (DKR) seine Geschäftsstelle in deren Gebäude in der Otto-Weiß-Straße. Die Stiftung setzt sich in vielen Aktivitäten, unter anderem mit der jährlichen Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille im Rahmen der Woche der Brüderlichkeit für den christlich-jüdischen Dialog und gegen Antisemitismus und Rassismus ein.
Eine weiße Wand, die während der Aufhübschung der Räume zu Corona-Zeiten hervortrat, war Anlass für DKR-Generalsekretärin Pfarrerin Ilona Klemens, über ein Bild nachzudenken. Ein netter Anruf, Kindheitserinnerungen an das ehemalige »Kinderhotel« in diesem Haus und der sinnstiftende Ort selbst überzeugten den heute in Frankfurt lebenden Künstler spontan. Der Lioba-Absolvent und spätere Nachbar von Knud Knudsen pflegt noch immer starke Beziehungen in die Kurstadt und gibt gerne kreative Impulse.
Vermächtnis der Freundschaft
Katholik Kuhlmann also setzte sich mit den beiden jüdischen Philosophen gedanklich auseinander, las die »Verdeutschung« der Bibel in Auszügen und findet, dass diese ein unglaubliches Geschenk an die Deutschen sei. Beeindruckt habe ihn die Freundschaft und Treue der doch recht unterschiedlichen Männer.
Das Bild zeigt Buber im Zentrum an der Bibelübersetzung arbeitend, während Rosenzweig ihm aus einem kleinen Rahmen an der Wand vertrauensvoll über die Schulter schaut. Rechts deutet die Rolle das alte Werk an, links sind die Gedanken des Dialogs notiert, in der Mitte entsteht das neue Wort. »So gedenkt man Toten«, meint Kuhlmann, denn Rosenzweig starb nach einer ihn in Sprache und Bewegung lähmenden Krankheit im Alter von 43 Jahren. Buber vollende die Übersetzung erst 1961.
Wegen Krankheit digital zugeschaltet war Professor Dr. Christian Wiese, der unter anderem Direktor des Buber-Rosenzweig-Instituts für jüdische Geistes- und Kulturgeschichte der Moderne und der Gegenwart ist. Er ist ein ausgewiesener Experte, der in seinem Festvortrag »Denken im Dialog« auf den regen Briefwechsel der beiden in den 1920er Jahren einging.
Martin Buber (1878-1965) war im mystisch-chassidischen Judentum Osteuropas aufgewachsen, Franz Rosenzweig (1886-1929) in einem liberalen Kasseler Elternhaus. Er vereinigte orthodoxe Glaubenstreue mit der Überzeugung von der Notwendigkeit liberaler Grundsätze. Die Diskussion mit zum Christentum Konvertierten löste bei ihm eine Krise aus, doch er blieb Jude.
Buber engagierte sich im Zionismus und gründete die Monatszeitschrift »Der Jude«. Während Rosenzweig in Frankfurt das Freie Jüdische Lehrhaus aufbaute, nahm er Kontakt zu dem in Heppenheim lebenden Buber auf.
In den rund 600 Briefen wurden Gemeinsamkeiten deutlich ebenso wie konträre Auffassungen. Auch als Buber dem Freund seine Entwürfe zu dem Buch »Ich und Du« schickte, »blieben sie dem kritischen dialogischen Argument, dem wechselseitigen Verstehensversuch verpflichtet«, so Wiese.
Einig seien sich die beiden Philosophen hingegen bei der Frage gewesen, ob und in welcher Weise ein Dialog zwischen Judentum und Christentum möglich sei.
Rosenzweig sah die Ära des Antisemitismus kommen und habe gerade in dieser Zeit den Dialog statt der Stummheit der vergangenen Jahrzehnte gefordert: »Beide Religionen sind aufeinander angewiesen«, heißt es im Briefwechsel. Buber erwartete »echte Zwiesprache, von Gewißheit zu Gewißheit, aber auch von aufgeschloßner Person zu aufgeschloßner Person.«
Die Bibelübersetzung schließlich wurde quasi zum Vermächtnis der Freundschaft. Buber sprach angesichts der schweren Krankheit Rosenzweigs von einer Lehre, die er von dem Jüngeren empfing: »Glaube ist ein Vertrauen, das jeder Situation standhält; aber Humor ist eine Annahme des Daseins, wie immer es sei, in lächelndem Vollzug.«
Hanna von Prosch