Damit Regale nicht leer bleiben: Bad Nauheimer Unternehmen optimiert Lieferketten
Wie kann man Lieferketten so optimieren, dass Regale nicht leer sind? Michael Brandl vom Körber-Geschäftsfeld Supply Chain aus Bad Nauheim ist Experte.
Bad Nauheim - Mittlerweile kommt es einem unrealistisch vor, aber als die Pandemie die Welt überrollte, stand man vor leeren Regalen, wollte man Nudeln, Mehl, Hefe oder Toilettenpapier kaufen. Hamstern lag im Trend, da konnte die Lieferkette noch so gut sein. Viele Verbraucher griffen überambitioniert zu. Mal abgesehen vom Hamstern liegt es aber an der Zuverlässigkeit von Lieferketten, ob die Kundin oder der Kunde jederzeit alles kaufen kann, was das Herz begehrt.

Dass solche Ketten reißen können, zeigen zum Beispiel die Schiffe, die wegen Corona China nicht verlassen haben. Das Fixieren auf einen oder wenige Produzenten ist aus Sicht von Michael Brandl eine der deutlichsten Lieferketten-Schwachstellen. Brandl ist Vorsitzender der Geschäftsführung im Bereich Software für das in Bad Nauheim ansässige Geschäftsfeld Supply Chain des internationalen Technologiekonzerns Körber.
Bad Nauheimer Unternehmen löst die Lieferkettenprobleme für die Otto-Gruppe und dm
Das Unternehmen entwickelt und vertreibt Software- und Automatisierungslösungen für Lieferketten. Software von Brandls Unternehmen hat jüngst den Zuschlag für die Lieferketten-Optimierung von Rewe in Österreich und Osteuropa erhalten. Auch der Drogeriehändler dm und die Otto-Gruppe zählen zu den Kunden des Bad Nauheimer Unternehmens.
Es gehe um die Frage, woher ein Artikel oder die Teile für die Herstellung eines Artikels kommen, sagt Brandl. »Der Ursprung der Probleme liegt an der Vereinzelung der Lieferantenkette«, erläutert er. Im Extremfall verlassen sich Unternehmen auf einen einzelnen Produktionsstandort. Der Hersteller lege als Monopolist die Preise fest, auch ein Supermarkt habe im Zweifel kein Alternativprodukt, auf das er ausweichen könnte.
Risiko in Sachen Mikrochips - Bad Nauheimer setzt auf KI, um Lieferketten stabil zu halten
Sei die Abhängigkeit von einem einzelnen Hersteller zu groß, müsse sich etwas ändern, sagt Brandl und verweist auf ein Beispiel, das über die Regale im Supermarkt hinausreicht: »Mikrochips werden momentan fast ausschließlich in Taiwan hergestellt. Zwei Drittel der sogenannten Halbleiter kommen aus dem fernöstlichen Land. Der politische Konflikt schürt die Risiken einer monopolisierten Lieferkette und hätte globale Auswirkungen auf Automobil-, Computer- und Smartphonehersteller auf der ganzen Welt.«
Abgesehen von Kriegsgefahr und Hamsterkäufen können beispielsweise Supermärkte aber eine Menge dafür tun, dass die gewünschte Ware im Regal liegt. Körber setze dabei verstärkt auf Künstliche Intelligenz (KI), sagt Brandl. Man wisse tagesgenau darüber Bescheid, welche Produkte in welcher Zahl in welcher Filiale an einem Tag verkauft worden seien. Danach könne man sich ausrichten, sagt Brandl, doch das reiche nicht. Es gehe darum, mithilfe von KI Datenmuster auszumachen und nutzbringend zu verwerten.
KI von Bad Nauheimer Logistikunternehmen hilft, um zu erkennen, was der Kunde braucht
Ein Beispiel: Neulich gab es in Supermarktfilialen in Bayern und Baden-Württemberg Regenschirme im Angebot. In Bayern regnete es, die Schirme waren rasch vergriffen, im Nachbar-Bundesland blieb es trocken, der Verkauf lief schleppend. Also wurden die Schirme nach Bayern gefahren, um sie dort zu verkaufen. Ein logistischer und damit finanzieller Aufwand, den man hätte vermeiden können, hätte man den Wetterbericht in die Planung einbezogen.
KI gibt sich aber nicht mit dem Blick auf die Wetterkarte zufrieden. »Zurzeit sind wir nur reaktiv unterwegs. Was ist gestern verkauft worden?«, sagt Brandl. Mit KI müsse man beispielsweise klären, was den Kunden dazu veranlasse, zu einem bestimmten Zeitpunkt Salat zu kaufen. Bonussysteme wie Payback, bei denen viele Daten gesammelt werden, können laut Brandl in Auswertungen und Prognosen einfließen.
Unternehmen aus Bad Nauheim möchte passgenaue Mengen liefern
Die große Kunst sei es, so wenig wie möglich an Waren zu produzieren, die später weggeworfen werden, erklärt der Experte. Und um möglichst kurze Wege gehe es. Wolle man passgenaue Mengen produzieren, müsse man aber aufpassen, dass die kleine Zahl der Artikel im Regal nicht zum Hamstern animiere.
Kurze Wege werden auch im Warenlager angestrebt, etwa beim Weinversandhandel Hawesko. Dort, sagt Brandl, habe man das Prinzip »Mann zu Ware« in »Ware zu Mann« umgekehrt. Der Mitarbeiter läuft nicht mehr zu den Regalen, sondern Roboter bringen dem Mitarbeiter die Regale. Damit begegnet man dem Fachkräftemangel, spart Wege und damit Zeit und Geld. Die Energiekosten für die Roboter fallen nicht allzu sehr ins Gewicht - zumal die Photovoltaik auf dem Dach dafür sorgt, dass sie ihren Job erledigen.
Unternehmer aus Bad Nauheimer sieht nicht saisonale Produkte kritisch
Am Ende richten sich Einzelhändler wie Rewe am Verbraucher aus, sagt Michael Brandl mit Blick auf das Einkaufsverhalten. Er würde sich ein Umdenken bei Kundinnen und Kunden wünschen, dass es ihnen noch wichtiger wird, woher Produkte kommen, welche Wege sie zurückgelegt haben. »Denkt mal nach, ob es der Apfel aus Peru wirklich sein muss, wenn ich einen Apfel aus Frankreich haben kann.« Ein Denken nach dem Motto »Ich kriege alles jederzeit in einem frischen Zustand« sieht Brandl kritisch.
Zum Beispiel die Erdbeere im November. »Die Erdbeere wächst dann nicht in Nieder-Weisel auf dem Feld.« Der Experte könnte sich ein von der Regierung vorgegebenes Label vorstellen, das deutlich macht, aus welcher Nähe oder Ferne das Produkt kommt. Dieses Label, sagt Brandl, müsse deutlich und auf einer festgelegten Stelle der Verpackung zu sehen sein.
Wiesbadener Markt macht kurze Lieferketten vor - Basilikum und Fisch kommen vom Dach
Wie man eine Lieferkette von nur wenigen Metern hinbekommt, zeigt ein Rewe-Markt in Wiesbaden-Erbenheim. Auf dem Dach werden Basilikum angebaut und Fische gezüchtet. Die Ausscheidungen der Fische werden als Dünger für die Pflanzen genutzt. »Basilikum und Fisch kommen auf dem kürzesten Transportweg, frisch und ressourcenschonend in den Supermarkt«, heißt es auf der Rewe-Website. Der Handelsverband Deutschland hat diesen Pilotmarkt 2022 mit dem »Store of the Year« (Geschäft des Jahres) ausgezeichnet. (Christoph Agel)
Auch im Orgelbau spielt Künstliche Intelligenz eine wichtige Rolle. Die Dankeskirche in Bad Nauheim soll eine Orgel erhalten, die mithilfe von KI gebaut werden soll.