Die Panik der Tiere

Wer Tiere hat, blickt Silvester oft skeptisch entgegen. Die meisten Hunde, Katzen und Vögel fürchten sich sehr vor Böllern und Knallern. Wie haben Tierhalter und Tierhalterinnen den Jahreswechsel erlebt?
Bumm! Mit riesigem Krach geht nahe der Trinkkuranlage in Bad Nauheim ein Silvester-Böller los, auch wenn erst Samstagnachmittag ist. Pepper bellt laut auf, rennt erschrocken los, doch Halterin Angela Jost hat den zweijährigen Havaneser-Rüden sicher an der Leine. »Wir sind gespannt, wie es heute Abend wird, weil Pepper das Feuerwerk durch die Pandemie noch nicht erlebt hat«, sagt Jost. In ihrem Stadtteil Nieder-Mörlen war vergangenes Jahr wenig los gewesen.
Claudia Benz ist mit Collie-Hündin Leni zu Besuch in der Gesundheitsstadt und geht nachmittags ebenfalls spazieren. »Es ist Lenis zweites Silvester, sie hat Angst vor den Böllern und Knallern«, sagt die frühere Bad Nauheimerin.
Mittlerweile ist Silvester vorbei, die beiden Frauen und andere Tierhalter schildern ihre Eindrücke des Jahreswechsels. »Wir haben am Abend Musiksendungen angemacht und alle Rollläden heruntergelassen. So hat Pepper die Knaller im Vorfeld nicht richtig mitgekriegt«, erzählt die Nieder-Mörlerin Jost. Als das Feuerwerk um null Uhr richtig losging, bellte der Hund. »Wir haben ihn beruhigt und sind dringeblieben. Es war okay, aber wenn es richtig laut wurde, hat er gebellt«, erzählt sie.
Auch für Collie-Hündin Leni wurde Musik eingeschaltet, damit sie das Knallen nicht so intensiv wahrnimmt. »Es war sehr anstrengend, aber sie hat sich schnell wieder erholt«, erzählt Besucherin Benz. Zum Spazierengehen am Morgen musste sie Leni zuerst ein wenig überreden. »Ohne Feuerwerk wäre es schöner für den Hund gewesen«, stellt sie fest.
Bedrohlich: Kracher, die vorher losgehen
Isil Yönter aus Bad Vilbel stellte ebenfalls Musik an, um ihre Cockerspaniel-Hündin Mokka abzulenken. »Aber sie war auf die Böller konzentriert. Sie ging in Habachtstellung, hat geknurrt und gebellt.« Wie Yönter feststellte, war das große Feuerwerk weniger bedrohlich für Mokka als die unvermittelten Kracher, die tagsüber wie aus dem Nichts kamen.
Nymphensittich Leo aus Rockenberg ist ebenfalls kein Fan von Böllerei, wie seine Halterin Ivonne Edelbauer-Ebersbach erzählt. Leo ist ihren Worten zufolge sensibel und besonders seit dem Tod seines Partners vor vier Wochen schreckhaft. »Ich habe die restliche Nacht nach dem Feiern auf der Couch im Wohnzimmer verbracht«, schildert Edelbauer-Ebersbach. Dort steht Leos Käfig. »Er war dankbar, dass die Anstrengung abgefallen war und ich bei ihm geblieben bin. Morgens setzte er sich auf meine Hand, hat gezwitschert und gespielt.«
Auch Annette Mazur aus Butzbach hat beobachtet, dass das tagelange vereinzelte Knallen schlimmer ist als das Spektakel um Mitternacht. »Man kann kaum vernünftig Gassi gehen«, sagt Mazur. Silvester habe sie bei Freunden verbracht, die ebenfalls einen Hund besitzen. »Meine Freundin hielt ihren Hund im Arm, der sich zitternd an sie drückte. Ich saß auf dem Boden bei meiner Hündin Mia.« Das Tier habe gezittert, gehechelt, ein Versteck gesucht. »Sie wusste nicht, wohin mit ihrer Panik.«
Suche nach dem entlaufenen Hund
Marina Mossel aus Friedberg musste am Silvestersamstag tagsüber drei Stunden nach ihrer Hündin suchen. »Sie ist durch einen Knaller erschrocken und durchs Halsband geschlüpft«, berichtet sie. 15 Personen halfen beim Suchen, die Polizei wurde informiert. »Eine Bekannte hat sie mit ihrem Spürhund gefunden. Toll, so viele Helfer zu haben.« Traurig findet Mossel, wenn schon tagsüber geböllert wird.
Für Heike Strohschnitter aus Limeshain und ihren Kater verlief der Silvesterabend besser als erwartet. Wegen der Böller, die schon tagsüber krachten, wollte das Tier nicht mehr raus. »Um Mitternacht bin ich im Haus geblieben und habe ihn im Arm gehalten.« Der Kater sei ängstlich, aber vertrauensvoll gewesen. »Erst morgens um zehn Uhr hat er sich wieder nach draußen getraut«, berichtet sie.
Petra Hellmeck aus Rosbach-Rodheim hat unterschiedliche Erfahrungen mit ihren Fellnasen gemacht. Während Kater Felix vor Angst erbrechen musste, schaute sich Tom das Feuerwerk durchs Fenster an. Hellmecks aktuelle Katze Nala war während des Geballers spazieren, kam aber auf Rufen sofort herein, als die Gäste weg waren.
Silvester ist also eine Strapaze für fast alle Tiere - und das nicht nur um Mitternacht.
Silvesterknallerei: Für und Wider
Laut der Tierschutzorganisation Peta leiden auch Wildtiere immens unter dem Silvesterfeuerwerk. Das Erschrecken durch ohrenbetäubende Knalle, Blitze und die unbekannten Gerüche sei so heftig, dass die Folgen zum Tod führen könnten. Peta fordert ein Feuerwerksverbot; auf der Webseite der Organisation findet sich der Link zur Unterschriftenaktion. Wie »mdr.de« berichtet, sind auch viele Ärzte dieser Ansicht, da Feuerwerk zu Unfällen führen kann. Allerdings mahnten Befürworter von Feuerwerk, ein Verbot führe zur Arbeitslosigkeit von 3000 Beschäftigten. »mdr.de« zitiert zudem das Argument der Emotionen. Gerade nach der Pandemie, dem Jahr mit dem russischen Angriff auf die Ukraine und der Energiekrise könnten viele Menschen den großen Knall brauchen, um hoffentlich in ein entspannteres 2023 zu starten. (Petra Ihm-Fahle)