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„Vollständig befrieden“: Was bringt die Videoüberwachung auf dem Bad Nauheimer Marktplatz?

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Von: Bernd Klühs

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Wachhabender David Rölke betrachtet in der Friedberger Polizeistation Livebilder von Videoüberwachungsanlagen im Wetter-aukreis. Bei Zwischenfällen auf dem Bad Nauheimer Marktplatz kann er sofort reagieren. © Nicole Merz

Früher kam es auf dem Bad Nauheimer Marktplatz häufig zu Alkoholexzessen und Schlägereien. In den vergangenen Jahren hat sich die Lage deutich gebessert - dank Videoüberwachungsanlage?

Bad Nauheim – Es brauchte Jahre der Diskussion, ehe im Sommer 2018 sechs Videokameras auf dem Bad Nauheimer Marktplatz installiert werden konnten. Die Deliktzahlen sprachen zwar für die Notwendigkeit, doch die Datenschutzbestimmungen machten die Realisierung nicht so einfach. Drei Jahre später ist es Zeit für eine erste Bestandsaufnahme, ob Polizei und Stadtverwaltung das gesteckte Ziel, den Marktplatz sicherer zu machen, erreicht haben. Angesichts von Corona und Lockdowns fällt es allerdings schwer, ein aussagekräftiges Fazit zu ziehen.

2015 hatte die Polizei ihre Forderung nach einer Überwachung für den Marktplatz mit den sehr hohen Fallzahlen begründet. Zwischen Frühjahr 2013 und Herbst 2015 waren auf dem Platz und in den gastronomischen Betrieben sowie im direkten Umfeld 200 Straftaten registriert worden. Nach Installation der Kameras ist in einem vergleichbaren Zeitraum - Anfang 2019 bis Ende August 2021 - ein deutlicher Rückgang festzustellen. Tobias Kremp, Pressesprecher der Friedberger Polizei, nennt die Gesamtzahl von 77 Delikten im videoüberwachten Bereich, darunter 24 Gewalttaten.

Weniger Straftaten am Bad Nauheim Marktplatz: Welche Rolle spielt der Lockdown?

Inwieweit bei diesem deutlichen Rückgang die Corona-Lockdowns und geschlossene Gaststätten eine Rolle spielen, lässt sich kaum analysieren. Auffällig ist in der aktuellen Statistik, dass 2019, im Jahr vor der Pandemie »nur« acht Fälle von Körperverletzung, Raub oder räuberischem Diebstahl angezeigt wurden. Dagegen waren es im Lockdown-Jahr 2020, als Kneipen und Discotheken von März bis Mai sowie im November und Dezember geschlossen waren, zwölf Straftaten dieser Kategorie, davon fünf gefährliche Körperverletzungen und ein versuchter Totschlag.

In diesem Jahr konnten die Betriebe erst Mitte Mai öffnen. Seitdem ist der Marktplatz wieder gut besucht. Bis Ende August hat die Polizei vier Fälle von Körperverletzung erfasst.

Von den Videokameras erhoffen sich Polizei und Behörden zum einen eine abschreckende Wirkung, zum anderen eine wichtige Unterstützung bei Fahndung und Aufklärung. Den Abschreckungseffekt beurteilen Polizei und städtisches Ordnungsamt unterschiedlich. »Zu Gewaltdelikten kommt es oft in den späten Abendstunden unter erheblichem Alkoholeinfluss. Da machen sich die Leute keine Gedanken über Kameras«, sagt Polizei-Pressesprecher Kremp. Das sieht Erster Stadtrat Peter Krank ähnlich, verweist aber auf andere Täter, die früher auf dem Marktplatz aktiv waren. »Die haben den Krawall gesucht, sind extra dort hingegangen, um sich zu prügeln.« Diese Schläger seien seit Einführung der Überwachungsanlage nicht mehr aufgetreten.

Videoüberwachung in Bad Nauheim: Wichtige Hilfe bei Aufklärung

»Die Kamerabilder tragen ungemein zur Aufklärung bei«, sagt Kremp zum zweiten Aspekt. Gerade bei tätlichen Auseinandersetzungen in alkoholisiertem Zustand wichen Zeugenaussagen stark voneinander ab. Die Aufnahmen trügen zur Klärung des Sachverhalts bei. Außerdem werde die Fahndung nach flüchtigen Tätern erleichtert. »Der Wachhabende in der Friedberger Polizeistation kann die übertragenen Bilder am Monitor direkt bewerten und so den Kräfteeinsatz steuern«, erklärt der Pressesprecher. An die Kollegen in den Streifenwagen könnten auch Beschreibungen von gesuchten Personen durchgegeben werden.

Aus Sicht von Erstem Stadtrat Krank haben die Videokameras, deren Bilder für zehn Tage gespeichert werden, auf jeden Fall ihren Zweck erfüllt. »Die Zahl der Straftaten hat sich deutlich reduziert, Das ist Fakt und ein Erfolg.« Eine Nebenrolle spiele dabei sicher die vollzogene Neustrukturierung der Gastronomie-Szene rund um den Marktplatz, die ein anderes Publikum anlocke.

Nach den Gesetzesvorschriften muss eine Videoüberwachungsanlage an öffentlichen Plätzen wieder abgebaut werden, wenn es zu keinen Straftaten mehr kommt. Dieser Zeitpunkt ist nach Auffassung von Peter Krank am Marktplatz noch lange nicht erreicht. »Unser Ziel bleibt es, den Platz vollständig zu befrieden. Wenn es einige Jahre lang keine Vorfälle mehr gibt, muss über einen Abbau diskutiert werden«, sagt Krank. Federführend sei dabei die Polizei.

Bahnhof Bad Nauheim: Kameras wieder abgebaut

Videoüberwachungsanlagen im öffentlichen Raum spielen beim Sicherheitskonzept für die Stadt Bad Nauheim keine große Rolle. 2010 wurden erstmals Kameras aufgehängt - in der Fußgängerunterführung am Bahnhof. Dort war es zu vereinzelten Zwischenfällen gekommen, das Polizeipräsidium Mittelhessen sprach gar von einem »Brennpunkt«. Doch es ging vor allem darum, das Sicherheitsgefühl der Nutzer zu verbessern. Bedarf sahen Polizei und Politik mit Blick auf die Landesgartenschau und ihre vielen Besucher.

Zwischen 2010 und 2015 wurde mit den Kameras allerdings keine einzige Straftat erfasst. Der damalige Polizeipräsident Manfred Schweizer verkündete deshalb im September 2015 im Haupt- und Finanzausschusses das Aus für die Überwachungsanlage, die zu diesem Zeitpunkt ohnehin defekt war. Mit dem Abbau folgte die Polizei einer entsprechenden gesetzlichen Vorschrift.

Schweizer schlug vor, die Kameras stattdessen am Marktplatz zu installieren. Obwohl die Mehrheit des Parlaments diesen Schritt für richtig hielt, dauerte der Vollzug drei Jahre. Vor allem datenschutzrechtliche und technische Probleme verzögerten die Umsetzung des Projekts.

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