Nie wieder Kerb auf ehemaligem Friedhof-Areal? Denkmalschützer liefern Debattenzündstoff

Die Bad Nauheimer Kerb wurde erneut abgeblasen. Der Förderverein Alter Friedhof kann damit gut leben, er lehnt es ab, das Areal zum Rummelplatz zu machen - und hat dafür ein neues Argument.
Bad Nauheim – Vor 14 Jahren hatte sich der Förderverein Alter Friedhof - Historischer Bürgerpark gegründet. Die Mitglieder gestalteten die Grünfläche im Herzen Bad Nauheims völlig neu und forderten, das Gelände nicht mehr für die Kerb zu nutzen. Jahr für Jahr stehen dort große Fahrgeschäfte, wenn es regnet, wird der Rasen zerstört und muss anschließend wiederhergestellt werden. Zudem hält es der Verein für unpassend, auf dem ehemaligen Friedhof-Areal, wo Tausende Bad Nauheimer ihre letzte Ruhe gefunden haben, ein Volksfest zu feiern.
Besonders hartnäckigen Widerstand gegen das Kerb-Konzept leistet der Vereinsvorsitzende Martin Fink. Bislang hat er sich ohne Erfolg gegen die Kerb auf dem Grüngelände an der Ecke Mittelstraße/Ernst-Ludwig-Ring gewehrt.
Bad Nauheim: Nachricht ist eine große Überraschung
Doch jetzt kann er ein neues Argument ins Feld führen. Das Landesamt für Denkmalpflege hat den Alten Friedhof dieser Tage nämlich als Einzelkulturdenkmal eingestuft. Bislang genoss das Gelände nur Ensembleschutz. Nach Ansicht von Fink ist mit dieser Entscheidung der Denkmalschützer eine Nutzung des Alten Friedhofs für die Kerb endgültig nicht mehr vertretbar.
»Die Freude ist groß und kaum fassbar«, kommentiere der Vorsitzende des Fördervereins die Nachricht aus Wiesbaden. Der Beschluss der Landesdenkmalpflege kam für Fink und seine Mitstreiter völlig überraschend. Im Herbst 2016 - die Fahrgeschäfte nahmen gerade ihren Platz auf der Grünfläche ein - hatten sich Vereinsmitglieder mit Vertretern der Unteren Denkmalschutzbehörde und der Landesdenkmalpflege dort getroffen. »Wir hatten nicht zu hoffen gewagt, dass das alte Friedhofsgelände je unter besonderen Schutz gestellt werden könnte«, betont Fink.
Bad Nauheim: Alter Friedhof Kulturdenkmal
Im Denkmalverzeichnis des Landes ist das Gelände jetzt aufgeführt. Wie es in dem Begleittext heißt, sei die Grünanlage am Südrand des alten Dorfs Nauheim ein Kulturdenkmal, und zwar aus geschichtlichen und künstlerischen Gründen. Von Bedeutung sei unter anderem die Gedenkstätte für die Toten Bad Nauheims im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71. Eingeweiht wurde das Kriegerdenkmal 1872, es stand zunächst auf dem Friedhof der Wilhelmskirche.
Wie Fink erklärt, werde die umgestaltete Grünanlage heute von vielen Bürgern genutzt, auch von Kindern, die in der benachbarten Stadtschule unterrichtet werden. Der Vorsitzende verweist auf Aussagen, die Altbürgermeister Bernd Witzel vor zehn Jahren getroffen habe. Er habe auf die »Unvereinbarkeit beider Nutzungsansprüche an das Gelände« hingewiesen. Diese Feststellung sei aufgrund der Ausweisung als Einzelkulturdenkmal brandaktuell.
Bad Nauheimer Bürgermeister Kreß hält an Standort der Kerb fest
»Die Kerb inmitten der Erinnerung an die dort Bestatteten, zu denen Mitbürger noch Bezug haben, ist schwer vorstellbar«, sagt Fink und fordert eine öffentliche Diskussion über eine Änderung des Kerb-Konzepts in den Ausschüssen. Bislang habe sich stets die Kirchweih-Kommission, die nicht-öffentlich tage, mit dem Thema beschäftigt. Ein Verzicht auf den Alten Friedhof als Kerb-Standort wäre nach Ansicht des Vorsitzenden problemlos machbar. »Auf den Straßen werden die Lücken aufgrund fehlender Fahrgeschäfte immer größer. Aber anstatt die Fahrgeschäfte dort im Sinne einer Straßenkerb zu verdichten, baut man den Kerbstandort Alter Friedhof mit romantischer Kulisse weiter aus«, kritisiert Fink. Den politisch Verantwortlichen sei die Bedeutung des Bürgerparks offenbar nicht bewusst.
Obwohl der Friedhof ein wichtiger Bestandteil der Altstadt Bad Nauheims sei, werde er nicht unter den Top Ten der Sehenswürdigkeiten Bad Nauheims aufgeführt, stehe auf dem 19. und letzten Platz. Auf der Stadtplan-Info-Tafel am Bahnhof suchten Gäste vergeblich nach dem historischen Bürgerpark.
Bürgermeister Klaus Kreß begrüßt die Ausweisung des Alten Friedhofs als Einzelkulturdenkmal. Ein Umdenken in Sachen Kerb-Konzept hält er allerdings nicht für notwendig. »Das Gelände wird für diesen Zweck genutzt, dabei bleibt es«, sagt der Rathauschef. Der Alte Friedhof werde nur an wenigen Tagen im Jahr für die Kerb benötigt, bauliche Veränderungen würden nicht vorgenommen. Nach dem Ende des Festes beseitige die Stadt alle aufgetretenen Schäden. Kreß: »Warum sollte ein Denkmal nicht als Veranstaltungsort dienen? Im Sprudelhof und in der Trinkkuranlage machen wir das auch immer wieder.«
Bad Nauheim: Hundert Jahre als Friedhof gedient
Der 2007 auf Initiative von Martin Fink gegründete Förderverein Alter Friedhof - Historischer Bürgerpark hat die Grünanlage in Kooperation mit der Stadt umgestaltet und aufgewertet. Wichtiger Bestandteil des ehemaligen Friedhof-Geländes sind die Stelen, die auf großes Interesse stoßen. Die Inschriften beinhalten geschichtliche Fakten zu Bad Nauheim im 19. Jahrhundert: Von 1802 bis 1902 wurde das Areal als Friedhof genutzt, 4365 Personen sind dort beerdigt. Bekannte Persönlichkeiten aus der Historie der Kurstadt werden vorgestellt. Von besonderem Interesse sind auch die acht erhalten gebliebenen Grabtafeln an der alten Südmauer des Friedhofs. Dort waren einst viele Grabstätten alteingesessener Bad Nauheimer Familien zu finden. Die Inschriften der Grabplatten sind zum Großteil verwittert und nur noch fragmentarisch vorhanden.