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Abenteuerliche Reise und gesurfte Couch

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Bad Nauheim. Der 22-jährige Bad Nauheimer Benjamin Pizarro ist kürzlich zu einer Reise per Anhalter in die Türkei gestartet. Was er dabei erlebt, schildert der Student von unterwegs in einer mehrteiligen WZ-Serie. Im ersten Teil wird deutlich: Aller Anfang ist schwer.

Kennen Sie Couch Surfing? Das ist ein sogenanntes Gastfreundschaftsnetzwerk im Internet. Wildfremde Menschen bieten sich weltweit gegenseitig private Unterkunftsmöglichkeiten an. »Klingt ja abenteuerlich«, könnte man meinen. »Das ist sicherlich gefährlich«, sagen viele. Benjamin Pizarro, Student und FDP-Stadtverordneter aus Bad Nauheim, hat bisher jedoch nur gute Erfahrungen damit gemacht. Beispielsweise lernte er so Matt aus Kanada kennen. Der hat vor, die kommenden sechs Jahre um die Welt zu reisen. Ganz so abenteuerlich geht es im Leben von Pizarro nicht zu, aber immerhin: Kürzlich ist der 22-Jährige zu einer Reise per Anhalter in die Türkei gestartet.

Auch Matt ist hauptsächlich per Anhalter unterwegs. Als er mich im April in Bad Nauheim besuchte und mir von seiner Reise erzählte, wurde ich hellhörig. Er schwärmte mir vor von vielen charismatischen Menschen, die man kennenlerne, mit denen man spannende Unterhaltungen führen könne und die einem Ecken zeigten, die man als normaler Tourist nicht zu sehen bekomme.

Dann kam die Einladung von Ahmet, einem Couchsurfer aus Istanbul, bei dem ich im letzten Herbst bereits zu Gast war. Mein Besuch sei so nett gewesen, ich könne gerne wiederkommen. Es dauerte nicht lange, und eine tollkühne Idee ward geboren: Ich trampe zu Ahmet nach Istanbul! 22 Jahre bin ich jung und reisefreudig, Geld auf dem Konto ist genug da für jede mögliche Reise, aber da ist ja auch noch die Abenteuerlust. Über den Balkan soll es also gehen, von Hauptstadt zu Hauptstadt. Menschen will ich kennenlernen und Geschichten hören. Als Student der Politikwissenschaft und der Ethnologie bin ich ganz wild darauf, den Balkan zu bereisen. Knapp vier Wochen habe ich Zeit, die Tasche ist gepackt, der Strohhut aufgesetzt.

Und so stehe ich dann da, Raststätte Wetterau West, morgens um sieben Uhr und halte mein Schild »A 3 Richtung Süden«. Ich habe mich schon nachts in London in zwielichtigen Ecken verirrt, wurde von kriminellen Taxifahrern in Bulgarien bedroht, sah eine Leiche in einer U-Bahn-Station in New York, wurde in Südamerika meines gesamten Geldes beraubt und von einem Piranha im brasilianischen Amazonasdschungel in den Finger gebissen.

Aber so aufgeregt wie an diesem Morgen war ich selten. Die ersten Autos fahren alle vorbei, manche Fahrer schauen, manche demonstrativ weg. Die Spannung steigt, es nieselt, der Himmel ist grau. Ich richte mich darauf ein, lange zu stehen, vielleicht klappt das alles auch nicht, zumal ohne viel Tramp-Erfahrung, und ich bin am selben Abend wieder in Nieder-Mörlen.

Lkws fahren vorbei, einer wird sogar langsamer, aber dann sieht er, wo ich hin will und schüttelt entschuldigend den Kopf. Ich lächle zurück. 7.20 Uhr ist es nun, und da kommt dieser kleine weiße Transporter, das Fenster geht runter, ein junger sympathischer Mann meint, er könne mich ein paar Kilometer mitnehmen, Richtung A 661. Wunderbar! Johannes heißt er und kommt aus Bad Nauheim. Er will zu IKEA fahren. Natürlich ist er erstaunt von meinem Ziel, Istanbul ist schließlich nicht gerade um die Ecke. Er ist echt nett, was ein guter Anfang ist, schließlich war auch ich unglaublich aufgeregt. Damit wäre die erste Schwelle überschritten.

Er lässt mich an der Auffahrt zur A 661 raus, voller Tatendrang halte ich mein Schild erneut in die Höhe. Keine zehn Minuten später meint ein älterer Audi-Fahrer, dass er mich ein paar Ausfahrten weiter wieder rauslassen könne. Er schenkt mir eine Packung Gummibärchen als »Reiseproviant«. Doch dann bin ich gefangen. Frankfurt-Kaiserlei. Hunderte Wagen im Berufsverkehr, alle wollen zur Arbeit, niemand zur A 3. Mein Weg, der zunächst in die Slowakei führt, scheint erst mal ein jähes Ende gefunden zu haben. Erstmals muss ich tricksen: Mit der S-Bahn geht’s nach Weiskirchen, um dort zur Autobahnraststätte zu laufen. Nach 90 Minuten und knapp sechs Kilometern Fußmarsch bin ich da. Ich schaue auf die Uhr: Fast 14 Uhr und ich bin knapp 60 Kilometer von zu Hause entfernt. Etwas ernüchternd, nach sieben Stunden. Fast hätte ich die Hoffnung schon aufgegeben, dass das überhaupt klappt, aber dann ging’s los: Ein älterer Taxifahrer mit unverkennbarer Kölscher Mundart nimmt mich bis Würzburg mit.

Dort an der Raststätte dauert es nicht lange und ich spreche eine ältere Dame an – eigentlich nur zum Üben, denke ich mir, denn eine allein reisende 65-Jährige würde mich wohl nicht in ihren großen Van einsteigen lassen. Falsch gedacht! Mit ihr habe ich den Glückstreffer gelandet: Ein paar hundert Kilometer später war ich im tschechischen Pilsen. Die Frau ist gebürtige Holländerin und wohnt seit Jahren bei Prag. Ich merke, dass es unheimlich spannend ist, wildfremde Menschen auf diese Weise kennenzulernen. So auch Peter aus Prag, der junge Zahnpasta-Vertreter, der mich von Pilsen bis südlich von Prag mitnimmt, und Jan, der Spediteur, auf den ich keine zwei Minuten warten musste und der seinen Kleintransporter inklusive mir in Richtung Süden, quer durch die Tschechische Republik steuert.

Und zu guter Letzt ist da Veronika, die Slowakin, die mir erzählt, noch nie einen Anhalter mitgenommen zu haben. Weil ich so sympathisch aussehe, habe sie es gewagt. Ich unterhalte mich prächtig mit ihr. Englisch ist die Verkehrssprache, sie lädt mich sogar zum Abendessen ein. Am Ende des Abends fährt sie mich vor die Tür meines ersten Gastgebers in Bratislava – den habe ich über Couch Surfing gefunden. Ich bin Veronika sehr dankbar. Sie meint, sie würde jetzt wohl öfter mal jemand mitnehmen. 863 Kilometer. Das war der erste Tag – klingt nach einer vielversprechenden Reise. Miroslav bringt mich indes hoch in seine Wohnung, lädt mich zu einem Glas Saft ein und bereitet mir die Schlafcouch. Ich kann es kaum erwarten, das historische Stadtzentrum am nächsten Morgen zu besichtigen. Benjamin Pizarro

Teil zwei der Serie gibt es hier

Vom schicken Mercedes in den klapprigen Yugo

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