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»Afghanistan-Konflikt militärisch nicht zu gewinnen«

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Alsfeld (aaz). Ein schneller Abzug der Truppen aus Afghanistan ist nicht das Hauptinteresse der USA. Das ist die Meinung von Oberstleutnant a. D. Jürgen Rose. Bei einer Veranstaltung des Rosa-Luxemburg-Clubs Vogelsberg am Mittwoch Abend schilderte er seine Sicht auf die Lage in Afghanistan.

Alsfeld (aaz). Ein schneller Abzug der Truppen aus Afghanistan ist nicht das Hauptinteresse der USA. Das ist die Meinung von Oberstleutnant a. D. Jürgen Rose. Bei einer Veranstaltung des Rosa-Luxemburg-Clubs Vogelsberg am Mittwoch Abend schilderte er seine Sicht auf die Lage in Afghanistan. Rose ist ein bekannter Kritiker des Afghanistan-Einsatzes und der seiner Meinung nach völkerrechtswidrigen »Operation Enduring Freedom« (OEF). 2007 bat er aus Gewissensgründen um Entbindung von allen mit dem Einsatz verbundenen Aufträgen. Seiner Meinung nach verfolgten die USA vor allem das Interesse, ihre eigene Vormachtstellung zu sichern und anti-amerikanischen Allianzen vorzubeugen.

»Afghanistan - Erst mehr Soldaten und dann ab nach Hause?« lautete der Titel der Veranstaltung im Hotel Klingelhöffer in Alsfeld, zu der Dietmar Schnell im Namen des Rosa-Luxemburg-Clubs Vogelsberg die zahlreichen Zuhörer begrüßte. Er betonte die Aktualität des Themas.

Am Mittwoch hatte Oberst Georg Klein die volle Verantwortung für den Kundus-Luftangriff übernommen und Außenminister Westerwelle den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr erstmals einen »bewaffneten Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts« genannt.

Rose sprach von einer »doppelten Agenda« in Bezug auf die Interessen in Afghanistan. Während in der Öffentlichkeit Demokratisierung und Befreiung Afghanistans, Menschenrechte und Gleichberechtigung der Frauen als Argumente vorgebracht würden, seien die USA vor allem auf ihren Status als Weltmacht bedacht. Für die USA sei Afghanistan eine entscheidende Region auf dem »eurasischen Schachbrett«, um antiamerikanischen Allianzen vorzubeugen. Er bezog sich dabei auf den CDU-Politiker Willy Wimmer. Laut Rose spielen vor allem die »Einkreisung des Irans, die Isolation Russland und die Eindämmung Chinas« eine große Rolle.

Dieser Argumentation folgend hätten die USA ein großes Interesse, nicht aus Afghanistan abzuziehen. Rose geht davon aus, dass der amerikanische Geheimdienst CIA »Afghanen dafür bezahlt, als Spione die Taliban auszuspähen«. Er hält es in diesem Zusammenhang sogar für möglich, dass diese selbst Attentate begehen, um so den USA eine Begründung zum Bleiben zu geben. In der Diskussion wurde angemerkt, man dürfe die Gründe für den Einsatz in Afghanistan nicht so einseitig benennen, es gebe weitere Aspekte, was Rose einräumte. Rose führte mehrere Punkte an, um die strategischen Interessen Deutschlands am Afghanistaneinsatz zu erklären. So wolle man beispielsweise die »Nichtbeteiligung am Irakkrieg kompensieren«.

Auch die Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit der deutschen Außenpolitik sowie die hervorgehobene internationale Rolle Deutschlands führte er an. Schließlich führte er das Argument an, das Militärbündnis NATO könne nicht einfach einen Schlussstrich ziehen und das Feld räumen. Rose beschrieb eine Sorge, Deutschland könne mit einem Abzug Schuld an einem »Zerbrechen« der NATO sein. Dies solle unbedingt vermieden werden, da die NATO maßgeblich für die Westintegration Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg war.

Die Entschlossenheit, der NATO »nicht in den Rücken zu fallen«, gehe einher mit einer Art »Nibelungentreue gegenüber den USA«. Während Kanada seinen Abzug für 2011 und die Niederlande schon für 2010 angekündigt hätten, werde Deutschland laut Rose erst mit den USA abziehen, um sich nicht zu isolieren. Rose kritisierte die »schleichende Ausweitung« des Afghanistaneinsatzes. Erstreckte sich das Operationsgebiet der ISAF zunächst nur auf die Hauptstadt Kabul und Umgebung, operiere man nun auch im Westen und Süden des Landes. Dies gehe einher mit einer »Irakisierung« Afghanistans. Der Konflikt sei militärisch nicht zu gewinnen, die Region werde dauerhaft destabilisiert und der Terrorismus stelle ein ernsthaftes Problem dar. Die Truppen würden als Feinde, nicht als Verbündete empfunden, die Opferzahlen in der Zivilbevölkerung stiegen immer weiter, ebenso der Widerstand. So hat sich laut Rose die Zahl der Selbstmordattentate und Bombenanschläge seit 2005 verzehnfacht. Die militärischen Verluste seien mit der Aufstockung der Truppen gestiegen. Verhandlungen mit dem Widerstand seien vor allem dadurch erschwert, dass dieser keineswegs nur aus Taliban bestehe, erklärt Rose.

Vielmehr handle es sich um viele kleine Gruppierungen, unter anderem radikal-islamische Taliban, Drogenbarone, Fundamentalisten, bewaffnete Söldner und national-islamistische Paschtunen. Gerade die Drogenbarone, die sehr viel Einfluss in Afghanistan haben, stellen ein großes Problem dar. Sie haben kein Interesse an einem funktionierenden, demokratischen Staat.

Rose zitierte den ehemaligen US-Außenminister Henry Kissinger. »Die Armee verliert, so lange sie nicht gewinnt. Der Guerilla gewinnt, so lange er nicht verliert.« Dieses Zitat bezog er auf eine Aussage eines Talibanführers, der gesagt hatte: »Ihr habt die Uhren. Wir haben die Zeit.«

Erfolgreiche Einsätze würden die Aufständischen nur nach Westpakistan treiben und so die Lage dort radikalisieren. Auf welcher Grundlage Verhandlungen in Afghanistan möglich werden, vermochte Rose nicht genau zu sagen. Die Taliban seien erst nach Abzug der Truppen zu Verhandlungen bereit, die USA wollten jedoch erst nach Verhandlungen abziehen. Rose hält einen Kompromiss für denkbar, bei dem die USA sich aus Paschtunengebieten im Süden Afghanistans zurückzögen und sich auf die Hauptstadt Kabul sowie den Norden konzentrieren.

Es bestehe die Hoffnung, dass die positiven Entwicklungen in diesem Gebiet dann auf den Rest des Landes ausstrahlt.

Scharf kritisierte Rose das gewandelte Bild der Bundeswehr. Ihre »Gründungsväter« sahen sie als Instrument zur Friedenssicherung, Abschreckung und im Ernstfall zur Verteidigung. Zu Beginn des Afghanistaneinsatzes sollte die Bundeswehr eher als eine Art »bewaffnetes technisches Hilfswerk« agieren. Nun sei sie fester Bestandteil von Kampfhandlungenz.

Weiter beschrieb Rose, dass diese Entwicklung für junge Bundeswehrsoldaten ganz normal sei. »Die kennen das ja gar nicht anders«. Außerdem seien Auslandseinsätze nicht nur sehr lukrativ, sondern für ein Vorankommen der Karriere heutzutage notwendig. Dies sieht er auch im Zusammenhang mit einem neuen Selbstverständnis in der NATO. Diese brauche nach dem Ende des Kalten Krieges eine neue Existenszbegründung.

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