14 Porträts und Menschenbilder im Rathaus
Im Atrium des Rathauses sind seit Freitag 14 Foto- und Videoporträts des Altenhainer Künstlers Rainer Lind sowie Zeichnungen von Roderich Helmer unter dem Titel »Menschenbilder« zu sehen. Hinschauen – und vor allem auch Hinhören – lohnt sich.
Rainer Lind kommt den Menschen ganz nah. Ihm erzählen sie von den Dingen, die sie bewegen, von ihren Erlebnissen, Träumen und Wünschen. Fast 200 Videos hat der Musiker, Maler und Bildhauer gedreht. 14 davon sind seit gestern in der Reihe »Kunst im Rathaus« im Atrium der Stadtverwaltung am Berliner Platz zu sehen. Unter dem Motto »Du bist dran« hatte der Klangkünstler und Fotograf Werner Cee den »transmedialen Künstler« Lind zur Staffelübergabe in der Reihe »Kunst im Rathaus« vorgeschlagen.
Gemeinsam mit Lind stellt auch Roderich Helmer Zeichnungen unter dem Titel »Menschenbilder« aus. Er war von seiner Laudatorin, der Malerin Maria Milandinovic, empfohlen worden. Gestern wurde die Ausstellung von Kunsthallenkuratorin Dr. Ute Riese und Oberbürgermeisterin und Kulturdezernentin Dietlind Grabe-Bolz eröffnet.
Im ersten Stock hängen die Graphitzeichnungen von Roderich Helmer, im Erwerbsberuf Kunstlehrer an der Wetzlarer Goetheschule. Mit dem Stift hat er – im Kampf gegen die Zeit – die Körper seiner Modelle, Mitglieder der Tanzcompagnie Gießen, in der Bewegung eingefroren skizziert. Eigentlich handelt es sich um drei zusammenhängende Zeichnungen im Format von Tapetenbahnen, die für die Ausstellung in Teile zerschnitten wurden. Einige wurden mit Pastellkreide coloriert. Die gesichtslosen Figuren wirken äußerst lebendig in ihrer Gelenkigkeit, zugleich aber auch zerbrechlich, fast durchscheinend.
Deutlich greifbarer erscheinen die Menschen, die Rainer Lind mit Fotoapparat und Videokamera porträtiert. Es sind Freunde und Bekannte, aber auch Menschen, die das Interesse des in Altenhain wohnenden Künstlers und Dozenten für Internettechnologie an der Universität Marburg geweckt haben. In der Ausstellung, genauer auf der Empore im zweiten Stock, sind 14 großformatige Fotos quasi als Lockstoff zu sehen. Kurze Beschreibungen stellen die Porträtierten vor. Wer mehr erfahren will, kann mit Hilfe seines Smartphones oder Tablets und über einen QR-Code zu den Videos gelangen, in denen die Porträtierten erzählen. Und weil das in der Ausstellungssituation zu zeitintensiv sein kann, oder eben nicht jeder über die entsprechende Technik verfügt, sind die Videos auch am heimischen Computer aufrufbar (www.portraits.rainer-lind.com). »Es ist ein technisches Mittel, mit dessen Hilfe sich das verborgene Mycel, der eigentliche Gesamtorganismus dieser Porträtreihe, sichtbar machen lässt«, erläuterte Werner Cee in seiner Laudatio zur Vernissage.
Hinschauen und vor allem Hinhören lohnt sich, um die Menschen vom Foto hinter dem Bild näher kennenzulernen. Wenn etwa der Gießener Journalist Hans-Jürgen Linke vom Niedergang der »Frankfurter Rundschau« erzählt und schildert, was dies für ihn als Redakteur des Blattes bedeutete, dann wirft das auch ein Schlaglicht auf die generellen Probleme, mit denen sich Printmedien im Internetzeitalter konfrontiert sehen.
Es ist eine anarchische Mischung, die Lind den Ausstellungsbesuchern präsentiert. Als Interviewer hält er sich sehr im Hintergrund, lässt die Befragten – die unterschiedlichen Milieus entstammen – frei von ihren Lebenswegen erzählen. Die Begegnung an sich ist das künstlerische Mittel. So vielfältig wie die Aktivitäten das Musikers, Malers und Designers Lind sind auch die von ihm Porträtierten – manche davon auch mit direktem Bezug zu Gießen. So erzählt der afghanisch-deutsche Religionsphilosoph und Herausgeber der Zeitschrift »Kalliope«, Ahmad Milad Karime, der über Indien, Russland und Gießen nach Darmstadt kam, wie es sich anfühlt, auf der Flucht zu sein und was das Leben eines Flüchtlings in Deutschland ausmacht. Gerd Römer, der im Fachbeirat Kunst der Hessischen Staatsbauverwaltung maßgeblichen Einfluss auf den »Gießener Kunstweg« hatte, oder der Freienseener Pfarrer und Landwirt Ulf Häbel, sind ebenfalls vertreten. Aber es gibt auch andere spannende Begegnungen: mit dem Tänzer und Zirkusartisten Giga, dem Musikproduzenten Nosie Katzmann oder der Physikerin Aki E.
Benemann, die am Bau des schnellen Brüters in Kalkar mitgewirkt hat und heute der Atomkraft »mehr als reserviert« gegenüber steht. Zu Wort kommt auch Felix Hanschmann. Der Jurist ist einer der Entdecker der Plagiate in der Dissertation von Karl-Theodor zu Guttenberg.
Die Ausstellung ist rund drei Monate lang während der Öffnungszeiten des Rathauses zu besichtigen: Montag bis Donnerstag von 8 bis 17 Uhr und Freitag von 8 bis 15 Uhr. gl