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Und im Keller wurde gefoltert

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Drei Stolpersteine für die Schicksale der Familie Herz.	(Foto: Schepp)
Drei Stolpersteine für die Schicksale der Familie Herz. (Foto: Schepp) © Oliver Schepp

Nach Recherchen des Gießener Lokalhistorikers und früheren Stadtarchivars Prof. Erwin Knauß fielen dem Rassenwahn der Nationalsozialisten in den verschiedenen Lagern und an anderen Orten 250 Mitglieder der jüdischen Gemeinden Gießen zum Opfer. Anlässlich des Holocaust-Gedenktags erinnert die GAZ an das Schicksal der Familie Herz.

Gießen (fd). Die Hölle hat Moritz Herz bereits hinter sich, als er 1938 nach Gießen zurückkehrt: Über fünf Wochen wurde er in Buchenwald festgehalten. Der Schriftsteller Georg Edward wird bald in seinen Tagebüchern schreiben: »Er erzählte, es sei ihm bei Todesstrafe verboten worden, darüber zu sprechen, aber was er durchgemacht habe, sei entsetzlich gewesen. Man würde ihm auch nicht glauben, wenn er schildern wollte, was für brutale Bestien die Angestellten in den Konzentrationslagern seien. Nicht nur die Juden, auch alle anderen Häftlinge würden unmenschlich behandelt. Eine Anzahl der am 10. November hingeschafften Juden sei wieder nach Hause geschickt worden, aber Tausende habe man zurückbehalten.«

500 Schicksale ungeklärt

Von seinem Vater Joseph hatte Moritz Herz das Bankhaus an der Neuen Bäue 23 einst übernommen. 1938 lebt er hier mit Ehefrau Hanna und den Kindern. Heute steht sein Name auf einem der Stolpersteine, die vor dem Haus in den Fußweg eingelassen sind. Neben zwei weiteren: Lotte und Werner. Die Namen seiner Kinder. Die Gattin starb 1940 offenbar eines natürlichen Todes.

Rund 130 Stolpersteine hat Gunter Demnig in den vergangenen Jahren in Gießen verlegt. Jeder einzelne ist ein Erinnerungsort an die Opfer des Nationalsozialismus. Nach Recherchen des Gießener Lokalhistorikers und früheren Stadtarchivars Prof. Erwin Knauß fielen dem Rassenwahn in den Lagern Theresienstadt, Sobibor, Majdanek, Treblinka und an anderen Orten 250 Mitglieder der jüdischen Gemeinden Gießen zum Opfer. Allein in Auschwitz endeten die Lebenswege von 46 Gießenern. Heute jährt sich die Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers, in dem eineinhalb Millionen Menschen umkamen und das für den Versuch steht, das europäische Judentum auszurotten, zum 70. Mal. Etwa 500 Schicksale der 1933 noch rund 850 Mitglieder zählenden jüdischen Gemeinschaft Gießen blieben ungeklärt.

Die Geschichte von Moritz Herz dagegen ist dokumentiert, vor allem die drei Paten der Stolpersteine – Christa Schreier, Herbert Schweiger und Richard Wagner – haben dazu einen Beitrag geleistet. In den Tagebüchern von Georg Edward von 1939 steht: »Bankier Herz erzählte von den Leuten, die er im Konzentrationslager zu ertragen hatte, wie man ihm drohte, ihn zu erschießen, wenn er sich weigere, die Kombination seines Tresors in der Bank zu verraten. Die Tage, während derer er die Hinrichtung erwartete, seien das Schrecklichste gewesen, das er je durchgemacht habe.« Spätestens seit seiner Rückkehr aus dem Konzentrationslager Buchenwald versucht Moritz Herz, die Auswanderung seiner Kinder zu organisieren. Doch mit Beginn des Krieges im September 1939 steht fest: Lotte und Werner werden Deutschland nicht verlassen können. Zu diesem Zeitpunkt wohnen sie noch im alten Bankhaus – das die Gestapo da bereits zu ihrer Zentrale gemacht hat: Die Familie wohnt in der Neuen Bäue 23, während im Keller bereits Regimegegner gefoltert werden. 1940 verlässt die Familie Herz das ehemalige Bankhaus. Nach einigen Umzügen müssen sie später in sogenannte Judenhäuser ziehen.

Ein Güterzug verlässt die Stadt

Am 14. September 1942 wird die Familie von der Gestapo in die Goetheschule gebracht. Einige Tage später verlässt ein Güterzug die Stadt: Die 150 damals noch in Gießen lebenden Juden werden über Darmstadt nach Treblinka gebracht. Schriftsteller Georg Edward soll in seinen Tagebücher festhalten: »Es wurde mir gesagt, die armen Menschen würden nach Polen geschafft, die jüngeren von ihren Eltern getrennt und diese sobald wie möglich umgebracht. Tausende und Abertausende von Juden sollen von den SS-Männern bereits ermordet worden sein, aber man verlangt, das deutsche Volk solle die blutrünstige Bestie anbeten, die Deutschland dem Verderben entgegenführt.«

Auf der Steuerkarte von Moritz Herz ist zu lesen: »Verzogen am 20. Oktober 1942 nach unbekannt.«

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