Gatsby, Pythagoras und Frau Müller

Das Stadttheater stellt den Plan zur neuen Spielzeit vor. Es ist ein bunter Mix aus Kontinuität und Brüchen.
Im Foyer der neuen Studiobühne am Berliner Platz liegt der Geruch von frischer Farbe in der Luft. Aus dem Keller ist das Hämmern der Bauarbeiter zu hören. Noch immer ist nicht alles fertig im taT, doch spätestens am 6. September soll es so weit sein. Dann lädt das Stadttheater unter dem Motto »wies Leben nur anders« zur neuen Spielzeit. Wie gewohnt im Großen Haus und erstmals – mit einer Verspätung von knapp einem Jahr – auf der neuen Studiobühne unter dem Kinopolis. »Einmal mehr werden wir die Möglichkeit des Scheiterns einplanen«, sagte Intendantin Cathérine Miville gestern zur Vorstellung des neues Spielplans. Egal ob mit der Entwicklung des mit 35 Sekunden kürzesten Theaterstücks der Welt oder einer im Original über vier Stunden mächtigen Oper.
Tanz den Pythagoras
Das Tanztheater startet am 12. Oktober mit der Uraufführung von »Bartók’s Shoes« in die neue Spielzeit. Tarek Assam setzt sich mit »einem der faszinierendsten Musikschaffenden des 20. Jahrhunderts« auseinander. Das Werk des Ungarn Béla Bartók ist geprägt von der Auseinandersetzung mit Volksliedern. Die Tanzkompanie wird begleitet vom Philharmonischen Orchester. Erstmals auf eine Bühne bringt Assam zudem »Im Satz des Pythagoras« im Februar kommenden Jahres. Zur Musik von Reuber und Vladislav Delay verknüpft er als Choregraf Mathematik mit den Gesetzmäßigkeiten menschlicher Beziehungen. Zu den beiden Uraufführungen im Großen Haus kommt mit »Smart Reality« eine weitere ins taT: Gemeinsam mit Robert Przybyl, mit dem er aktuell »Die Wirrnis der Pinguine« auf die Bühne bringt, geht Tarek Assam dem Phänomen der Digitalisierung nach. Zudem neu auf die Bühne kommt mit »Der Tag, an dem der Goldfisch starb« ein Tanzabend von Assam und Erik Truffaz: Gegenstand des Tanzkrimis sind die kleinen Tragödien im Leben. Mit »Die Wirrnis der Pinguine« wird ein Stück aus der laufenden Spielzeit in den neuen Plan wiederaufgenommen, das zunächst aber am 5. Juni dieses Jahres Premiere im TiL feiert.
Ratten, Drachen, Weibsteufel
Das Schauspiel macht am 13. September mit einem Klassiker im Großen Haus auf: »Die Ratten« von Gerhart Hauptmann verdichtet die Gesellschaft des Jahres 1910 auf ein Mietshaus in Berlin. »Man kann erkennen, wie der Erste Weltkrieg vor der Tür steht«, erklärte Gerd Muszynski. Nach dem Weggang von Schauspieldirektor Matthias Schubert wird er gemeinsam mit Björn Mehlig, Miville sowie Schubert – dann als Gastdramaturg – die Sparte leiten. Für die Inszenierung zeichnet Thomas Goritzki verantwortlich, der zuletzt die »Bürgerwehr« ins Stadttheater führte. Auf »Die Ratten« folgt mit »Der große Gatsby« ein Schauspiel nach F. Scott Fitzgerald. Matthias Kniesbeck, der zuletzt den »Nackten Wahnsinn« nach Gießen brachte, baut Songs der 1920er Jahre ein. Ebenfalls im Großen Haus sind ab 2015 mit »Der goldene Drache« von Roland Schimmelpfenning ein von Malte C. Lachmann inszeniertes Drama der Globalisierung und mit »Frau Müller muss weg« von Lutz Hübner eine bissige Schulkomödie unter der Regie von Miville zu sehen. Aktuell wird das Stück von Sönke Wortmann fürs Kino verfilmt. Am 25. April kommenden Jahres folgt dann »In der Republik des Glücks« ein Schauspiel von Martin Crimp: »Einer der zurzeit wichtigsten und innovativsten Dramatiker aus dem angelsächsischen Raum«, wie Muszynski erinnerte. Aus der Reihe fällt »Atem« von Samuel Beckett: Das Theaterkollektiv Fux soll die 35 Sekunden des Stücks mit Mitgliedern des Schauspielensembles aufblasen auf 90 Minuten. »Wir wollen ein Fenster für die sogenannte freie Szene öffnen«, erklärte Mehlig. {newPage}Im neuen taT wird es fünf neue Schauspiele zu sehen geben. »Erlärt Pereira« von Antonio Tabucchi in der Theaterfassung von Didier Bezace, inszeniert von Christian Lugerth, macht am 11. September den Auftakt. Das Stück basiert auf dem gleichnamigen Roman, der zum Welterfolg und mit Marcello Mastroianni in der Hauptrolle verfilmt wurde. Es folgen »Der Weibsteufel« von Karl Schönherr sowie »Der Mann, der die Welt a? von Nis-Momme Stockmann.
Ebenfalls spannend: Mit »Wir lieben und wissen nichts« kommt ein Schauspiel eines ehemaligen Gießener Theaterwissenschaftlers ins Stadttheater: Moritz Rinkes Wohnungstauschposse war zuletzt auch in Frankfurt zu sehen. Dazu kommt mit »Sonny Boys« von Neil Simon »ein Lieblingsstück von Abdul M. Kunze, der es auch inszenieren wird«, wie Schubert sagte, sowie das Live-Hörspiel »Das Schwarze Nichts« von Milan Pešl. Wiederaufgenommen werden »Arsen und Spitzenhäubchen«, »Wir sind viele und reiten ohne Pferd«, »König Ödipus«, »Die Wanze« sowie »Die bitteren Tränen der Petra von Kant« von Rainer Werner Fassbinder in einer Inszenierung von Karoline Behrens, das am 2. Mai erst einmal Premiere im TiL feiert.
Von Mozart bis Musical
Das Musiktheater eröffnet die neue Spielzeit am 29. September mit einem Klassiker: Unter der musikalischen Leitung von Michael Hofstetter zeigt das Große Haus »Die Entführung aus dem Serail« von Wolfgang Amadeus Mozart. Der Reiz liegt hier im orientalischen Kolorit. Im Dezember folgt »Der Kuss der Spinnenfrau« von John Kander und Fred Ebb: »Endlich mal wieder ein Musical«, freute sich Dieter Senft. Mit dem Stück in der Inszenierung von Cathérine Miville will das Team von »Cabaret« an die jüngsten Erfolge anknüpfen. Dieses Mal wird es jedoch etwas rockiger. Anders als bei der Oper »Linda di Chamounix« von Gaetano Donizetti. »Typisch italienische Intrigengeschichte mit einer Frau und mindestens zwei Männern«, sagte Senft. Im Laufe des Frühjahres 2015 folgen im Großen Haus »Der misslungene Brautwechsel« von Georg Philipp Telemann und Georg Friedrich Händel, basierend auf »Riccardo I.
« und mit einer Originallänge von weit über vier Stunden, die satirische Oper »Kehraus um Sankt Stephan« von Ernst Krenék sowie »La Battaglia di Legnano« von Giuseppe Verdi in einer konzertanten Aufführung. Dazu kommt – wie alle zwei Jahre – eine Premiere der Schmachtigallen. Die Studiobühne wagt sich mit »Someone is going to come« von Knut Vaage und Jon Fosse an eine Kammeroper: »Ein musikalischer Psychothriller«, machte Dieter Senft Lust. Wiederaufgenommen werden »I wanna be loved by you« sowie »For a look or a touch« von Jake Heggie. Dann im taT, wo es derzeit noch nach frischer Farbe riecht und das Hämmern der Bauarbeiter zu hören ist. fd
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Weil Generalmusikdirektor Michael Hof-stetter wegen anderer beruflicher Verpflichtungen verhindert war, werden die Sinfoniekonzerte gesondert vorgestellt.