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Größte Sammlung Europas und WM-Schauplatz: Hier werden Flipper-Träume wahr

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Von: Erik Scharf

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Horde vor den »Herdentieren«: Bei den Pinball Paradise Open im Echzell flippern rund 150 Spieler aus ganz Europa um den Sieg. Während eine Hälfte am Automat vorlegen muss, schauen die Gegner ihnen über die Schulter. 	FOTO: NICI MERZ
Horde vor den »Herdentieren«: Bei den Pinball Paradise Open im Echzell flippern rund 150 Spieler aus ganz Europa um den Sieg. Während eine Hälfte am Automat vorlegen muss, schauen die Gegner ihnen über die Schulter. FOTO: NICI MERZ © Nicole Merz

Mitten in der Wetterau stehen Hunderte Spieler konzentriert vor einem blinkenden Gerät und schießen mit zwei Tasten eine Kugel über ein Spielfeld. Besucher kommen aus der ganzen Welt und nehmen irre Reisen auf sich, um einmal hier zu sein. Eine Frage muss erlaubt sein: Was macht ihr da?

Vor der Eingangstür des ehemaligen Supermarkts gönnen sich ein paar Menschen etwas Frischluft. Das ist auch hin und wieder notwendig, denn hinter der Tür ist es ziemlich warm. »Ein Gerät erzeugt so viel Wärme wie drei Menschen«, sagt Alfred Pika, den alle »Freddy« nennen. Er ist Inhaber von »Freddy´s Pinball Paradise«, »einer der schönsten und umfangreichsten Flippersammlungen der Welt«, so steht es auf der Homepage. Was das bedeutet, sieht und hört man an diesem Wochenende im Januar.

Rund 150 Spieler aus ganz Europa flippern um den Sieg bei den Freddy´s Pinball Paradise Open. Ein Drittel der Teilnehmer kommt aus dem Ausland - Ungarn, Spanier, Franzosen, Schweden, Belgier, Dänen und noch einiges mehr.

Zwei Tage vor dem Turnier steht Pika mit seiner Tochter Anita im Pinball-Saloon. Noch ist es recht kühl und sehr leise. Bevor der 59-Jährige die Geschichte hinter dem Paradise erzählt, will er eine Sache klarstellen. »Flippern ist ein Sport, kein Glückspiel. Es verlangt Ballkontrolle, höchste Konzentration und Geschicklichkeit«, sagt Pika. Jeder Automat hat zudem ein bestimmtes Thema und somit auch Eigenheiten. Kennt man sie, kann man sich im Duell Vorteile verschaffen. »Spitzenspieler gehen vor Turnieren unzählige Seiten Regelwerk durch und schauen stundenlang Videos, um zu wissen, wie sie an Multibälle und Jackpots kommen«, erklärt Pika.

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Dann beginnt er zu erzählen, wie all die Geräte den Weg nach Echzell gefunden haben. »Es kam einfach so, ich habe das nie geplant gehabt.« Und irgendwie ist er auch zu seinem Glück gezwungen worden. Alles fängt 1975 in einer Schwalheimer Kneipe an. »Dort hat ein Automatenaufsteller ein Gerät installiert. An dem Tag habe ich zum ersten Mal ein Gerät von innen gesehen. Das hat mich unheimlich fasziniert«, erzählt Pika.

24 Stunden später bricht er seine Ausbildung als Schriftsetzer ab, beginnt stattdessen eine Lehre beim Automatenhersteller. »Doch mein Chef hat jemanden gebraucht, der ihm Kaffee kocht und die Werkstatt fegt«, erzählt Pika über die folgende Enttäuschung. Also eignet er sich alles selbst an und machte sich mit 15 Jahren selbstständig. Sein Vater meldet ein Gewerbe an, Pika kauft gebrauchte Automaten, setzt sie instand und stattet damit Partykeller aus.

Polaroids zum Glück

Doch dann rücken die Flipper etwas in den Hintergrund. 1982 gründet Pika nach seinem Wehrdienst ein Kfz-Ersatzteillager für amerikanische Autos in Bad Nauheim, das im Jahr 1994 nach Friedberg umzog, und baut es zum Marktführer in Deutschland auf. Erst 1995 wird das Flipper-Feuer neu entfacht. Über Briefwechsel, Polaroidbilder und Telefonate findet Pika in San Francisco zwei Automaten, die er unbedingt haben wollte. Seine Sammlung wird nach und nach immer größer. »Flipper sind Herdentiere, die wollen nicht alleine bleiben«, sagt er trocken. Zuhause ist aber schon lange kein Platz mehr für weitere Automaten.

Zwischenzeitlich lagert er die Geräte schon in seiner Firma. Bis ihn 2009 seine Frau auf den leerstehenden Supermarkt in Echzell aufmerksam macht. Eigentlich will Pika dort nur seine Sammlung unterbringen, doch es ist der Startschuss für das Flipper-Mekka. Als »Freddy´s Pinball Paradise« schon einen guten Ruf genießt, fragt ihn ein Bekannter, ob er nicht die Weltmeisterschaft ausrichten wolle. »Normalerweise hätte ich mich da nie ran getraut, habe mich dann aber überreden lassen und zugesagt«, sagt Pika lachend.

Die Weltmeisterschaft 2013 - die erste in Deutschland - führt ihn zur Gründung des Shops. Weil er seine Geräte bestmöglich präparieren will, sammelt sich schnell ein üppiges Ersatzteillager an. »Außerdem sind wir von allen vier großen Herstellern aus den USA Vertragshändler«, sagt Pika, der 2017 seine Firma verkaufte und sich heute nur noch seinen Flippern widmet. Seine jüngere Tochter, die 26-jährige Yvonne, leitet den Shop, ihre Schwester Anita, 29, kümmert sich um Verkauf und Marketing. Beide haben selbstverständlich einen Automaten im Wohnzimmer stehen. »Die Affinität zum Flippern hat sich bei mir aber erst in den letzten Jahren entwickelt«, sagt Anita Pika.

Sorgt für zufriedene Flipper-Fans: Anita Pika kümmert sich um Marketing und Verkauf.
Sorgt für zufriedene Flipper-Fans: Anita Pika kümmert sich um Marketing und Verkauf. © Nicole Merz

Während ihr Vater erzählt, klingelt bei ihr das Telefon im Minutentakt. Sie ist zwei Tage vor dem Turnier im Dauerstress, an den Turniertagen selbst ist sie permanent unterwegs und kümmert sich um die Belange der Spieler. An beiden Tagen stehen 17 Runden an, die Ergebnisse tragen die Spieler selbst über eine App oder am Laptop ein. Kurz hinter dem Eingang klärt eine Leinwand über Paarungen, Ergebnisse und die Tabelle auf. Daneben hat Jim Lindsay seine Schaltzentrale aufgebaut. Der Engländer streamt das Turnier live und führt Interviews mit Spielern. »In der Spitze hatten wir 20 000 Zugriffe auf den Stream«, sagt Anita Pika, während sie eine Runde durch den Saloon läuft - quer durch Sprachengewirr, blinkende und plärrrende Automaten und eine Menschenmenge, die alle Altersgruppen und Typen bedient.

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Eine Teilnehmerin ist Manjana Lippert aus Hungen. Sie ist seit ihrer Jugend von Flipperautomaten fasziniert. »Damals stand noch in vielen Kneipen ein Gerät«, erzählt sie. Das Hobby teilt die 49-Jährige Industriekauffrau mit ihrem Ehemann Stefan, in ihrem Haus stehen fünf Automaten. Gemeinsam entdecken sie vor fünf Jahren eine Zeitungsanzeige von »Freddy´s Pinball Paradise«. »Seitdem sind wir jeden offenen Samstag dabei«, sagt Lippert. Auch für sie liegt die Faszination beim Flippern in der Unberechenbarkeit eines jeden Geräts. »Selbst wenn man das gleiche Modell, das bei einem zu Hause steht, spielt, sind Nuancen anders und meist führt das dazu, dass man dann keine guten Ergebnisse erzielt«, sagt sie.

Manjana Lippert (l.) aus Hungen ist seit fünf Jahren Stammgast in Freddys Pinball Paradise.
Manjana Lippert (l.) aus Hungen ist seit fünf Jahren Stammgast in Freddys Pinball Paradise. © Nicole Merz

Auf dem Smartphone von Anita Pika ploppen unterdessen immer wieder Nachrichten auf. »Wir haben eine Whats-App-Gruppe mit allen Technikern, damit wir schnell reagieren können, wenn irgendwo ein Flipper Probleme macht«, sagt sie. Auch deswegen genießt »Freddy´s Pinball-Paradise« höchstes Ansehen. »Die Geräte hier sind immer top in Schuss. Da wird tolle Arbeit geleistet«, sagt Eberhard Hattemer aus Frankfurt stellvertretend für die Pinball-Gemeinde.

Wohnmobil-Schweden und Frischvermählte Kanadier

Und so ist es wenig überraschend, dass die Weltmeisterschaft im kommenden Jahr erneut in Echzell stattfinden wird. Zudem wollen die Pikas ab diesem Jahr pro Quartal ein Turnier für Jedermann anbieten, am 4. und 5. April wird es wieder soweit sein.

Überhaupt würde Pinball wieder populärer werden. sagt Alfred Pika. »Es war zu befürchten, dass Flippern nach unserer Generation ausstirbt. Aber es scheint immer mehr zu werden. Mittlerweile sind mindestens ein Drittel der Besucher Frauen und Kinder, die dann auf dem Hocker sitzend oder stehend flippern.«

Der Großteil kommt von Überall, aber nicht aus Mittelhessen. Eine Auswahl: Schweden, die insgesamt sechs Tage mit dem Wohnmobil unterwegs waren, oder Frischvermählte aus Kanada, die unbedingt einmal in Freddys Pinball Paradise eine Runde spielen wollten. »Das ist verrückt«, sagt Pika. Aber mit verrückten Geschichten kennt er sich ja bestens aus.

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