„Sehe keinen Grund“: Formel-1-Experte Surer rechnet fest mit Vettel-Karriereende

Formel-1-Experte Marc Surer geht davon aus, dass Sebastian Vettel seine letzte Saison in der Königsklasse fährt. Im tz.de-Interview verrät er, warum.
München - Befindet sich Sebastian Vettel schon auf seiner Abschiedstournee? Ob der Hesse seinen am Saisonende auslaufenden Vertrag verlängert und der Formel 1 erhalten bleibt, ist noch offen. Aston Martin würde gerne mit dem viermaligen Weltmeister verlängern, Vettel selbst äußert sich meist nachdenklich, aber wenig konkret über seine Zukunft.
tz.de hat bei einem Fachmann nachgefragt: Marc Surer gehört zu den bekanntesten Formel-1-Experten im deutschsprachigen Raum. Wir haben mit dem Schweizer Ex-Piloten vor dem Großen Preis von Spanien auf dem Circuit de Catalunya (das Rennen im Live-Ticker) über die Zukunft von Sebastian Vettel, den verkorksten Saisonstart von Mick Schumacher und den spannenden WM-Kampf gesprochen.
Formel 1: Marc Surer kritisiert Aston Martin - „Verstehe ich nicht“
Herr Surer, Ralf Schumacher prophezeit Sebastian Vettel ein „desaströses Wochenende“ in Barcelona. Teilen Sie die düstere Prognose?
Marc Surer: Barcelona ist eine Strecke, auf der das Auto eine entscheidendere Rolle spielt als der Fahrer. Aston Martin hat zuletzt kleine Fortschritte gemacht, man wird sehen.
Fakt ist: Das Auto ist zu langsam. Aston Martin wird deshalb mit einem großen Update-Paket in Barcelona an den Start gehen. Teamkollege Lance Stroll, Sohn des Teambesitzers, bekommt dieses Update wohl wieder ein Rennen früher. Ist das nicht unfair?
Surer: Im Moment sind sie so weit hinten, dass es fast keine Rolle spielt, wer die Updates als Erster bekommt. Aber für mich ist klar: Wenn man einen viermaligen Weltmeister im Team hat, muss er die Upgrades als Erster bekommen. Dieses Vorgehen verstehe ich nicht.

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Wie lange macht Vettel das noch mit? Es muss ihn doch unglaublich frustrieren, wieder kein konkurrenzfähiges Auto zu haben.
Surer: Geld hat er ja genug verdient, da fehlt es nicht. Es spricht für ihn, dass er die Saison noch fährt und seinen Vertrag erfüllt. Ich hätte es auch für möglich gehalten, dass er nach den ersten beiden Rennen hinschmeißt. Ich sehe keinen Grund für ihn, nach der Saison noch weiterzumachen. Ich würde es nicht verstehen, wenn er nicht aufhört. Ein Angebot von einem Top-Team wird er nicht mehr bekommen.
Einen enttäuschenden Saisonstart erlebte auch Mick Schumacher. Jetzt, wo der Haas in der Lage ist, Punkte einzufahren, leistet er sich immer wieder Fehler. Wie kommt er aus dieser Negativspirale heraus?
Surer: Zumindest ist er mittlerweile von der Pace auf Augenhöhe mit Magnussen. Das ist wichtig. Er muss aber aufhören, das Auto wegzuwerfen. Beim Vettel-Crash in Miami trägt er die Schuld, da hat er sich schlicht verschätzt.
Wie lange hat er noch Zeit, bis es eng für ihn wird?
Surer: Er muss das Auto dieses Jahr noch in den Griff bekommen. Das steht fest. Aber er ist ein Fahrer, der schnell lernt. Ich vergleiche ihn immer gerne mit Niki Lauda, auch der musste sich alles selbst erarbeiten.
Video: Fragen und Antworten zum Großen Preis von Spanien
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Sie bezweifeln, dass Mick eines Tages Weltmeister wird. Warum?
Surer: Die Formel 1 hat momentan so viele Supertalente - und die sind alle in seiner Generation. Es gibt Fahrer wie Russell, Norris, Leclerc und Verstappen. Bei denen weiß man einfach, dass sie einmal Weltmeister werden. Mick wird ein guter Fahrer werden. Mit seiner Intelligenz kann er viel machen, es muss aber dann alles passen und er muss im besten Auto sitzen.
Lewis Hamilton saß jahrelang im besten Auto. Jetzt fährt er hinterher. Ist die Saison für Mercedes schon gelaufen?
Surer: Nein. Wenn ich eine Wette eingehen müsste, würde ich sagen, sie gewinnen in diesem Jahr noch Rennen. Das Potenzial des Autos hat sich schon in Miami gezeigt, sie müssen es nur herausholen. Sie wissen, wie es geht. Schon letztes Jahr haben sie sich unglaublich gesteigert.
Den WM-Titel hat Hamilton schon abgeschenkt. Wer wird Weltmeister?
Surer: Ich bin zum Glück Kommentator und kein Prophet. Ich denke aber, Max Verstappen hat einen kleinen Vorteil gegenüber Leclerc. Ferrari ist super gestartet, sie haben ein Auto hingestellt, das auf jeder Strecke geht. Aber jetzt muss man die Upgrades abwarten, Red Bull hat schon aufgeholt. Ab der Mitte der Saison wissen wir, wer wirklich das bessere Auto hat, Silverstone ist immer ein guter Gradmesser.
Marc Surer fuhr zwischen 1979 und 1986 82 Rennen in der Formel 1. Er kommentierte 21 Jahre lang (von 1996 bis 2017) jedes Rennen für den Pay-TV-Sender Sky (damals DF1/Premiere). (epp)
Interview: Marius Epp