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Endlich wieder Wettbewerb

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Von: Redaktion

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© DPA Deutsche Presseagentur

John Degenkolb ist dieser Tage ein vielbeschäftigter Mann. Mit seiner Familie ist er gerade eingezogen ins neue Heim, eine alte Hofreite in Oberursel- Bommersheim. Für den durch die Corona-Krise ausgebremsten Radprofi heißt es derzeit Blaumann statt Teamjersey.

Es macht richtig Spaß, sich auf dem eigenen Hof auszupowern«, sagt der Klassikerspezialist John Degenkolb, »aber noch viel lieber würde ich bald wieder Rennen fahren.« Wenigstens ein E-Rennen wird auf der Trainingsplattform Rouvy am Freitag gefahren von Eschborn durch die künstliche Frankfurter City und wieder zurück, interessierte Radsportenthusiasten sind zum Mitmachen aufgerufen. Im Interview spricht Degenkolb über das Rennen am 1. Mai und seine Branche.

Herr Degenkolb, freuen Sie sich schon auf den 1. Mai?

Und wie. Mein Heimrennen Eschborn-Frankfurt kann wegen der Corona-Krise zwar nicht stattfinden. Aber ich finde es super, dass der Hessische Rundfunk trotzdem etwas auf die Beine gestellt hat.

Ab 13.15 Uhr sendet der HR am Freitag ein vierstündiges Radklassiker-Spezial - mit einem virtuellen Rennen auf der Rolle. Das Podium des Vorjahres tritt gegeneinander an: Pascal Ackermann, Alexander Kristoff und Sie sprinten um den Tagessieg.

Ich lass das mal so auf mich zukommen. So richtig vorstellen kann ich mir das auch noch nicht. Aber es wird bestimmt total lustig.

Pascal Ackermann hat bereits seinen Sprintzug um Maximilan Schachmann angewiesen, ebenfalls auf der Rolle in die Pedale zu treten. Eine Kampfansage.

Da bin ich ja mal gespannt (lacht), da muss ich mich wohl auch darum bemühen, ein paar Teamkollegen und Helfer einzukaufen. Ich freue mich darauf, dabei sein zu dürfen und mich mal wieder in der Öffentlichkeit zeigen zu können. Das ist gut für mich, aber auch für mein Team und unsere Sponsoren. Der deutsche Markt ist für sie sehr wichtig. Allerdings müssen wir uns auch nichts vormachen, ich wäre lieber wirklich am realen Start gewesen.

Dieses Gefühl teilen Sie mit allen Profikollegen und den vielen Hobbyrennfahrern, die sich auf den 1. Mai gefreut haben. Wie gehen Sie persönlich mit diesem Stillstand um?

So ins Blaue hinein, ohne Ziel, ohne Zeitvorgabe, am Tag X wieder in Topform sein zu können, das ist nicht leicht. Wenn man das international betrachtet, können wir uns in Deutschland allerdings glücklich schätzen, immer noch rauszudürfen, an der fri- schen Luft sein zu können. In Italien, Spanien oder Frankreich ging das über viele Wochen nicht. Die Kollegen durften nicht mal für einen Stunde raus, die Trainingseinheiten mussten Indoor absolviert werden. Jeder genießt es, in Gesellschaft auf dem Rad zu sein. Da geht die Zeit auch im Training schneller vorbei - das vermisse ich natürlich auch.

Sie sagen, italienische, spanische oder französische Radprofis konnten nicht richtig trainieren. Wäre es nicht eine Wettbewerbsverzerrung, sollte die Saison wie angedacht im Spätsommer fortgesetzt werden?

Vielleicht, aber eigentlich sind es noch einige Monate hin. Das sollte keine große Rolle spielen. Ich hoffe natürlich, dass wir dann alle gemeinsam bei der Tour de France wieder durchstarten können. Aber ob das der Fall sein wird, das muss man noch sehen.

Ist Kurzarbeit in Ihrem Team ein Thema?

Wir haben rund 30 Rennfahrer und etwa 50 Betreuer, von denen nur noch sechs Leute fest angestellt sind, die das Business am Laufen halten. Der Rest ist arbeitslos gemeldet. Alle Rennfahrer verzichten auf 30 Prozent ihrer Gehalts, um Lücken im Budget zu schließen.

Wird diese Krise den Radsport verändern?

Es wird mit Sicherheit Auswirkungen haben, die wir heute noch nicht wirklich einschätzen können. Was ich mir aber vorstellen kann, dass es extreme Einschnitte in den Budgets und den Gehältern geben wird. Es wäre aber falsch, die Zukunft allzu schwarz zu malen oder gar Angst zu schüren. Allerdings sollte man auch nicht überrascht sein, wenn es zukünftig weniger Teams geben wird als vor der Corona-Krise. Es ist also nicht auszuschließen, dass es mehr Rennfahrer als Arbeitsplätze geben wird. Angebot und Nachfrage regeln den Preis. Somit sinkt ganz schnell der eigene Marktwert.

Das ist ein generelles Problem im Sport.

Ja, klar. Wenn man die Radsportbrille mal abnimmt und über den Tellerrand rausschaut, sieht man, dass es alle Sportarten trifft. Natürlich verkraften Sportarten, in denen viel Geld verdient wird, die Krise besser als andere, kleinere. Ähnlich gilt das natürlich für die Sportler selbst. Bei Gehältern wie zum Beispiel im Fußball oder Tennis fällt ein Verzicht natürlich nicht ganz so hart aus wie in vielen anderen Sportarten.

Sie haben vor der Saison das Team gewechselt, fahren jetzt für die belgische Equipe Lotto-Soudal. Wie lange läuft Ihr Vertrag?

Ich habe einen Zweijahresvertrag unterschrieben, ich muss mir also keine allzu großen Sorgen machen, zumal unsere beiden Hauptsponsoren Lotto und Soudal uns bereits die Rückmeldung gegeben haben, dass wir uns keine Sorgen machen müssen und die Verträge erfüllt werden. Aber in der jetzigen Zeit kann auch mal ein kleinerer Sponsor in Schieflage kommen und sagen, wir müssen uns zurückziehen, sonst geht unsere Firma vor die Hunde. Diesem Unternehmer kann man keine Vorwürfe machen. In dieser Krise wird mir erstmals wirklich bewusst, von was und von wem der Profiradsport eigentlich lebt: Wir sind alle nur Werbefiguren.

Hat diese Corona-Krise auch etwas Positives? Sie sind ja erst in der vergangenen Woche umgezogen.

Ich habe natürlich jetzt mehr Zeit, um den Umzug und den Umbau durchzuziehen. Das ist schon das Positive in dieser negativen Zeit. Aber es ist auch nicht ganz einfach, alles zu stemmen. Die Kinder sind nie eine Belastung, aber es ist auch nicht zu unterschätzen, wenn man zwei Kinder 24 Stunden an der Backe hat (lacht). Da weiß man es zu schätzen, wie gut und wichtig eine Kinderbetreuung ist. Aber ich darf mich nicht beschweren, meine Kinder haben viel Platz, einen eigenen Spielplatz und können ständig raus.

Sie bauen gerade eine Hofreite in Oberursel um. Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Momentan baue ich den ehemaligen Stall um. Dort kommt der Kraftraum rein. In den vergangenen Tagen haben wir viele Kubikmeter Erde ausgehoben, danach die Stahlmatten ausgelegt - den Rest erledigt der Betonmischer.

Da brauchen Sie nicht mehr viel Krafttraining.

Nicht wirklich. Für das Rennen am 1. Mai gegen Pascal Ackermann und Alexander Kristoff wird es bestimmt reichen (lacht).

ARCHIVFOTO: DPA

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