»Wer jetzt kein Blut geleckt hat, ist hier falsch«
Die Zahlen sprechen für sich: Rund 3000 Zweitliga-Einsätze sind in den sportlichen Lebensläufen des aktuellen Kaders vom SC Riessersee festgehalten (etwa dreimal mehr als beim EC Bad Nauheim). Dazu kommen Erfahrungen aus 750 Spielen in der Deutschen Eishockey-Liga, weit mehr als doppelt so viele als bei den Roten Teufeln, wo alleine Oliver Bernhardt auf 250 Spiele für Iserlohn und Augsburg kommt.
Das Playoff-Halbfinale der Eishockey-Oberliga also eine klare Angelegenheit zugunsten des letztjährigen Zweitligisten? »Jedes Spiel beginnt bei Null. Und in jedem Spiel haben wir eine 50:50-Chance«, sagt der 34-jährige Routinier der Roten Teufel vor der Best-of-Five-Serie, die in diesen Tagen die Wetterau elektrisiert und nach dem jüngsten Siegeszug der Hessen (zwölf der letzten 13 Spiele wurden gewonnen) am Freitag zum ersten Spiel wohl an die 3000 Zuschauer ins Colonel-Knight-Stadion locken könnte. Vor dem Auftakt hat Oliver Bernhardt der Wetterauer Zeitung die Kabinentür geöffnet und im »Allerheiligsten« der Roten Teufel mit WZ-Sportredakteur Michael Nickolaus über Playoff-Serien, junge Spieler und Titelträume gesprochen.
Oliver Bernhardt, Sie bestreiten Ihre 15. Spielzeit als Profi. Die Zahl der Playoff-Teilnahmen ist allerdings doch überschaubar...
Bernhardt: »Das stimmt. Ich habe vorwiegend bei Mannschaften gespielt, bei denen ich als Spieler auch gesetzt war; wie beispielsweise in Iserlohn. Ich wollte lieber spielen. Ich hatte die Möglichkeit, nach Mannheim oder Berlin zu gehen. Da wäre ich vielleicht aber nur sporadisch zum Einsatz gekommen. Das hätte mich nicht weiter gebracht. Deshalb finde ich auch den Weg, den Markus Keller geht, vernünftig. Er ist ein Super-Talent, und er will spielen. Er ist noch so jung und hat viel Zeit. Früher oder später kann er den Schritt in die DEL noch immer wagen.«
Welche Playoff-Serie ist Ihnen denn in besonderer Erinnerung?
Bernhardt: »Das Halbfinale in der Saison 1997/98 mit Iserlohn gegen Bad Nauheim; der Tod von Marc Teevens. Das war eine bittere Erfahrung. Wenn ich an das Spiel danach am Seilersee denke. Das Trikot von Teevens lag während der Schweigeminute im Bullykreis. Es herrschte eine so ungewöhnliche Atmosphäre. Da standen wir auch als Iserlohner mit Pudding in den Beinen auf dem Eis. Wir lagen vorne, doch Bad Nauheim hat aus dem Tod Motivation gezogen und die Serie gedreht.«
Sie sind 34 Jahre alt. Sehen Sie Playoff-Serien heute aus einem anderen Blickwinkel als noch als junger Spieler?
Bernhardt: »Man weiß nicht, ob es vielleicht die letzte Serie ist, die man erleben darf. Innerlich ist man schon ruhiger. Ich weiß noch gut, wie ich damals als junger Spieler hier im Stadion in der Gäste-Kabine gehockt habe, und draußen haben 4000 Menschen getobt. Das war schon Wahnsinn. Aber auch jetzt, mit etwas mehr Erfahrung: Playoffs sind noch immer aufregend. Wenn man einmal eine Serie gewonnen hat, dann will man dieses Gefühl immer wieder erleben. Für diese Momente arbeitet man das ganze Jahr über. Das ist es auch, was der Zuschauer sehen will. Jedes Spiel ist eng. Jedes Spiel beginnt bei Null. Das ist auch die Zeit, dem Verein, der uns professionelle Bedingungen zur Verfügung stellt, etwas zurückzugeben. Zu kämpfen; für den Erfolg, aber auch für ein weiteres Heimspiel.«
Hätten Sie vor zwei Jahren gedacht, dass wir heute hier zusammen sitzen?
Bernhardt: »Nein. Ich dachte, das Thema ist durch.«
Was hat Sie schließlich umdenken lassen?
Bernhardt: »Wenn man den Teamsport zu lieben gelernt hat, will man das Gefühl nicht missen.«
Sie haben nach zwei Jahren Inaktivität Ihr Comeback gefeiert. Sind die vergangenen Monate so verlaufen, wie Sie sich das vorgestellt haben?
Bernhardt: »Ich wollte nicht mehr für alles und jeden die Verantwortung übernehmen. Jetzt steht Alexander Baum in dieser Position. Er ist unser Nummer-eins-Verteidiger, er macht einen hervorragenden Job, und er spielt eine tolle Saison, nicht nur von der Statistik her. Ja, meine Aufgabe ist es, den jungen Spielern ein bisschen unter die Arme zu greifen und für körperliche Präsenz zu sorgen. Das hat - wie man mir erzählt hat - im Vorjahr ein bisschen gefehlt. Gerade in den Playoffs muss man auch mal ein Zeichen setzen, muss dem Gegner vielleicht auch mal bei einem 0:4-Rückstand mal zeigen: Hey, im nächsten Spiel sind wir wieder da.
Im Februar gab's trotz regelmäßiger Erfolge reichlich Kritik am Spiel der Roten Teufel. Zuletzt gab es dann zwölf Siege aus 13 Spielen zu feiern. Wurden Sie selbst von diesem Form-Hoch überrascht?
Bernhardt: »Im Januar und Februar hatten wir die Trainingsintensität erhöht. Vielleicht war der eine oder andere ein bisschen müde. Dann fehlen eben mal Kraft und Konzentration, und bei einem gefühlten Schussverhältnis von 54:8 erzielt man eben keine zehn, sondern vielleicht nur fünf Tore, und die Leute gehen trotz eines klaren Sieges unzufrieden nach Hause. Man muss sich aber doch nur mal die Leistungen der Eisbären Berlin anschauen. Die haben regelmäßig unmittelbar vor Playoff-Beginn einen kleinen Durchhänger und explodieren dann förmlich. Wir waren - abgesehen vom Virus in der Woche vor den Duisburg-Spielen - in der Endrunde topfit und können ein hohes Tempo gehen.
Ihre Mitspieler sprechen immer wieder vom Titel. Wie groß ist aber der Glaube, dieses Ziel auch erreichen zu können?
Bernhardt: »In den Playoffs ist alles möglich. Das hat sich über die Jahre immer wieder gezeigt. Die Karten werden zu jedem Spiel neu gemischt. Da ist's egal, ob man 6:0 gewonnen oder 0:6 verloren hat. In jedem Spiel hat man aufs Neue eine Chance. Unser erstes Ziel, besser als im Vorjahr abzuschneiden, haben wir erreicht. Und wer jetzt nicht Blut geleckt hat, der ist hier in der Kabine am falschen Platz.«
Sie haben den viel zitieren Heimvorteil. In den beiden Heimspielen gegen Peiting war der Mannschaft die Nervosität aber deutlich anzumerken. Ist der Heimvorteil denn auch tatsächlich ein Vorteil?
Bernhardt: »Für eine junge Mannschaft, die wir überwiegend haben, kann das natürlich auch schwierig sein. Bad Nauheim ist ja für sein kritisches Publikum bekannt. Ein bisschen Nervosität schadet aber nicht. Das hält auch wach, und Konzentration zeigt auch Bereitschaft.
Wird Ihnen beim Blick auf den Kader des SC Riessersee nicht Angst und Bange?
Bernhardt: »Nein, ganz sicher nicht. Duisburg hatte auch einen starken Kader. Riessersee wird viel über das Körperspiel kommen. Das ist eben typisch bayrisch und wird schon im Nachwuchs so vermittelt. Die haben - wie wir - drei starke Reihen. Es wird offensiv wie defensiv eine enge Partie. Es wird hoch und runter gehen. Mit Sepp Lehner hat Riessersee einen unheimlich erfahrenen Spieler in der Verteidigung, der aber auch schnell mal fuchsig und frustriert sein kann, wenn's mal nicht so läuft.«
Eine 50:50-Chance also?
Bernhardt: »Eine 50:50-Chance haben wir in jedem Spiel aufs Neue. Die erste Partie spielt eine große Rolle, denn vieles spielt sich im Kopf ab. Wenn man einen Gegner einmal geschlagen hat, dann wächst der Glaube, dies erneut schaffen zu können. Wenn wir zum Auftakt gewinnen, bin ich guter Dinge. Auch nach zwei Niederlagen ist nichts verloren, auch wenn's dann natürlich schwer fällt, an eine Wende zu glauben.«
Sie haben den Spaß am Sport wiederentdeckt. Haben Sie sich auch schon Gedanken über eine weitere Spielzeit gemacht?
Bernhardt: »Das nächste Jahr betreffend ist bei mir alles offen. Jetzt will ich erstmal schauen, wie wir diese Saison zu Ende bringen und in welche Richtung die Entwicklung geht. Auch die jungen Spieler haben eine Chance verdient, sich zu präsentieren und zu beweisen. Ich weiß selbst noch, wie es war, hinter den Alten anzustehen. Die Jungen wollen spielen. Das ist die richtige Einstellung. Und beispielsweise die Entwicklung von Marc Kohl zeigt doch, was möglich ist, wenn solche Talente Eiszeit und Vertrauen bekommen. Er hat unheimlich von Christian Franz an seiner Seite profitiert und in meinen Augen gerade in den letzten Monaten einen riesigen Sprung nach vorne gemacht.«