1. Wetterauer Zeitung
  2. Sport
  3. Lokalsport

Vom Schulhof ins philippinische Nationalteam

Erstellt: Aktualisiert:

Kommentare

De La Salle-Schule in Lipa-City, ein schwüler Herbstnachmittag im Jahr 2006: Rund ein Dutzend Einheimischer, allesamt im Alter von 18 bis 20 Jahren, jagt auf einem der trockenen Rasenplätze dem Ball hinterher. Mittendrin: Patrick Herget.

Der damals 14-jährige Sprössling eines deutschen Vaters und einer philippinischen Mutter besucht in diesen Tagen seine Großeltern. Hier, im Nirgendwo rund 130 Kilometer südlich der Hauptstadt Manila, sieht ein Talentscout, der rein zufällig das Treiben auf dem Schulgelände entdeckt, den in Bad Nauheim geborenen Kicker und schaut aufmerksam zu. Der Deutsche wirkt trotz seines Alters dynamischer, aggressiver und robuster als seine Mitspieler. Noch am Abend klingelt das Telefon. Herget soll bei der Nationalmannschaft vorspielen; am nächsten Tag schon, aufgrund der klimatischen Verhältnisse morgens um 7 Uhr. »Das war wie ein Traum«, erinnert sich der inzwischen 19-Jährige, der sich in diesem Winter dem Verbandsligisten KSV Klein-Karben angeschlossen hat. Nachts um 3 Uhr war jene Nacht zu Ende, begann die Fahrt zum Training. Jetzt - rund fünf Jahre und viele Formalitäten nach dem ersten Kontakt mit den »Azkals«, den »Straßenhunden«, wie die Auswahl des Archipels im pazifischen Ozean genannt wird - steht Herget vor seinem Debüt im Nationalteam.

Der Beienheimer, hier lebt Herget mit seinen Eltern und seiner Schwester schon seit seinem sechsten Lebensjahr, ist ein Paradebeispiel für die Philosophie des nationalen Fußball-Verbandes. Just im Jahr 2006 waren die Kicker aus dem 85-Millionen-Einwohner-Staat am Tiefpunkt ihrer Historie angelangt. In Zahlen ausgedrückt: Platz 195 der FIFA-Weltrangliste, knapp vor Anguilla und den Cook-Inseln. Die Teilnahme an der Asienmeisterschaft 1956, der größte Erfolg der Nationalmannschaft, lag lange zurück. Ganz gezielt werden seitdem Talente mit philippinischen Wurzeln in Europa und ganz speziell in Deutschland gesucht. Stefan Schröck vom Zweitligisten Greuther Fürth ist ein solcher, Jason DeJong, der in der zweiten niederländischen Liga spielt, oder Torhüter Neil Etheridge vom FC Fulham aus der Premier-League sind weitere Beispiele. »Wenn man mit solchen Spielern auf dem Feld steht, kann man unheimlich viel lernen«, sagt der Kicker aus der sechsten deutschen Liga, der diesbezüglich aber keinerlei Vorbehalte seitens der Mitspieler spürt. »Nein. Da werden alle gleich behandelt. Da fragt keiner. Das spielt keine Rolle«, sagt Herget, der auch zurück in Europa den einen oder anderen Kontakt zu Mitspielern hält und mit seinem Auswahl-Trainer vorwiegend per Mail kommuniziert.

Die Betreuung der »Azkals« halte durchaus dem Vergleich mit einem Bundesliga-Klub stand, meint das Wetterauer Fußball-Talent. Bereits am Flughafen werden die Kader-Akteure nach rund 14-stündiger Anreise empfangen, zweimal täglich wird trainiert und für Unternehmungen außerhalb des Team-Quartiers der gehobenen Ansprüche stehen Fahrer zur Verfügung. Die Kabinensprache ist englisch, »Tagalog«, die Sprache der Einheimischen lernt Herget nebenbei.

Im März 2011 belegen die Philippinen nun bereits Rang 152 in der Welt, Fernziel sind die Top 100 und irgendwann einmal die Qualifikation zu einer Weltmeisterschaft. Trainiert wird die Mannschaft inzwischen von einem Deutschen - Michael Weiß. Der A-Lizenz-Inhaber hatte sich auf die offizielle Stellenausschreibung im Internetportal www.spox.com beworben und soll gemeinsam mit Team-Manager Dan Palami Kontinuität in die Arbeit bringen.

Fußball ist auf den Philippinen hinter Basketball bestenfalls Sportart Nummer zwei. Das Nationalteam erfreut sich aber steigender Popularität. Auf der Straße werde man erkannt, nach dem Training von Medien undFans umzingelt, um Interviews und Autogramme gebeten. »Das ist schon alles etwas ungewohnt, wenn man plötzlich vor Fernseh-Kameras und Mikrofonen steht«, sagt Herget, der das Interesse selbst über 15 000 Kilometer bis nach Deutschland spürt. Im Netzwerk »Facebook« hat der leidenschaftliche Paintballer neben dem privaten noch ein zweites Profil angelegt, um den zahlreichen Fan-Anfragen aus Südostasien gerecht werden zu können.

Der Trainingsbetrieb im Kreis der Nationalmannschaft gestaltet sich recht schwierig. Anfangs musste Herget im A-Team trainieren. Nationale Nachwuchs-Auswahlmannschaften, wie man sie in Europa kennt, gab es anfangs nicht. Im Januar war der Mittelfeldspieler, der bevorzugt die Sechser-Rolle übernimmt, durchaus aber auch die Außenpositionen begleiten kann, zuletzt zum Training auf den Philippinen und wurde im Rahmen der anschließenden Pressekonferenz als Mitglied der U23- und A-Nationalmannschaft der Öffentlichkeit vorgestellt.

Mit einer U20-Auswahl bestreitet Herget im Frühjahr ein Turnier in Stuttgart, mit dem U23-Team steht im Herbst ein Vier-Nationen-Championat an. Das Rückspiel der A-Nationalmannschaft um das Ticket für die Gruppenphase der Qualifikation zur AFC-Challenge, dem zweitgrößten asiatischen Turnier, gegen die Mongolei (Hinspiel 2:0) wird er Mitte des Monats aus schulischen Gründen verpassen. Hergets Ziel ist eine Teilnahme an den Südostasien-Meisterschaften, einer Zusammenkunft von Sportlern, vergleichbar mit den Olympischen Spielen. Bislang hatten behördliche Hürden einem Debüt im Nationaldress im Weg gestanden. Inzwischen ist Herget, der die doppelte Staatsbürgerschaft besitzt, spielberechtigt.

Beim SV Schwalheim hatte der Youngster das Fußball-ABC erlernt und trotz seiner noch jungen Jahre bereits Einsätze für Beienheim, Steinfurth, Bad Vilbel, den FSV Frankfurt (U16/U17), den VfB 1900 Gießen und Viktoria Aschaffenburg in seiner Vita stehen. »Schnelligkeit, Zweikampfstärke, Ehrgeiz und Teamfähigkeit«, bezeichnet der 1,70 Meter große und 70 Kilogramm leichte Herget als seine Stärken, vorrangig am Kopfballspiel und an der Übersicht gelte es zu arbeiten.

Parallel zum Sport baut Herget an der Ernst-Ludwig-Schule in Bad Nauheim am Abitur. Sport und Englisch sind die Leistungsfächer, im Sommer soll dann endgültig der Fußball an erster Stelle stehen, vielleicht in Verbindung mit einem sportwissenschaftlichen Bildungsweg.

Das inzwischen engmaschige Scouting-Netzwerk der »Philippine Football Federation« entdeckt derweil potenzielle Nationalspieler in immer größerer Zahl - teils in den höheren europäischen Ligen. »Ich muss so hochklassig wie möglich spielen, um mich weiter für einen Platz zu empfehlen«, sagt Herget. Michael Nickolaus

Auch interessant

Kommentare