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»Ritt auf der Rasierklinge«

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Am 23. September 2006 besiegte Arthur Abraham (hinten) trotz Kieferbruchs den schlagstarken Kolumbianer Edison Miranda. Der Kampf in der Wetzlarer Rittal-Arena ging in die Annalen der Boxgeschichte ein. 	(Foto: Imago)
Am 23. September 2006 besiegte Arthur Abraham (hinten) trotz Kieferbruchs den schlagstarken Kolumbianer Edison Miranda. Der Kampf in der Wetzlarer Rittal-Arena ging in die Annalen der Boxgeschichte ein. (Foto: Imago) © imago sportfotodienst

Im September 2006 lieferte sich Arthur Abraham in Wetzlar eine Ringschlacht, die in die Annalen des Boxens einging. Am Samstag will Newcomer Tyron Zeuge in der Domstadt ein Zeichen setzen.

Der 25 Jahre alte Berliner verteidigt seinen Weltmeistergürtel des Verbandes World Boxing Association (WBA) gegen den routinierten Briten Paul Smith, der zweimal mit Arthur Abraham im Ring stand. Gegen das langjährige Zugpferd des deutschen Boxens. Gegen einen Mann, der an einem Herbsttag im September 2006 in der Rittal-Arena in Wetzlar eine unglaubliche Willensleistung zeigte. In der vierten Runde brach ihm sein Gegner, der Kolumbianer Edison Miranda, mit einem Aufwärtshaken den Kiefer. Abraham hatte den Kampf bis dahin beherrscht, seinem Kontrahenten immer wieder mit schweren Treffern zugesetzt. Es schien so, dass ein vorzeitiger Erfolg des Weltmeisters nur eine Frage der Zeit sei. Doch dann kam alles anders. Später ging die Schlacht als »Blutkampf« von Wetzlar in die Annalen der Boxgeschichte ein. »Der Kampf war derart dramatisch, dass ich mich bis heute wundere, dass niemand einen Herzinfarkt erlitt. Die Stimmung in der Halle war unbeschreiblich«, erinnert sich Abraham-Manager Kalle Sauerland, der auch den Kampfabend am Samstag ausrichtet.

Abrahams Gesicht schwoll Runde für Runde immer weiter an. Er konnte den Mund nicht mehr schließen, verlor zwischen 0,5 und einem Liter Blut. Andreas Sidon, Schwergewichtsboxer aus Lollar, saß damals in der ersten Reihe und kann sich noch gut erinnern. »Nach jedem Treffer ist Blut aus Abrahams Mund gespritzt. Wer am Ring saß und ein weißes Hemd trug, hatte Pech«, erzählt Sidon und schiebt nach: »Abraham hat um den Sieg gekämpft als ob es um sein Leben gehen würde.« Nach dem Kampf wurde der Berliner sofort ins Krankenhaus gebracht, lag zwischenzeitlich sogar auf der Intensivstation. Später wurde ihm 22 Titanschrauben und zwei Titanplatten eingesetzt, damit sein schwer lädierter Kiefer verheilen kann. Monatelang musste der heute 37-Jährige anschließend pausieren, stieg erst im Mai 2007 wieder in den Ring.

Legendäre Rundenpausen

Wenn es nach Abraham gegangen wäre, dann wäre es wohl nicht so weit gekommen. Denn der Berliner wollte mehrfach aufgeben, doch sein Trainer Ulli Wegner ließ das nicht zu. »Trainer, meine Zähne sind kaputt«, flehte Abraham während einer Ringpause. »Dafür haben wir jetzt keine Zeit«, war die Antwort des Star-Trainers. Auch der Ringrichter wollte den Kampf stoppen und auspunkten lassen, nachdem Miranda dem Berliner in der fünften Runde mit einem absichtlichen Kopfstoß weiter zugesetzt hatte. Der Ringarzt tastete Abrahams Backe ab, tauschte sich mit dem Ringrichter aus – beide waren sich einig. Doch der Supervisor entschied, dass Abrahams Verletzung nicht durch eine regelwidrige Aktion zustande gekommen sei. Die Konsequenz: Ein Abbruch hätte eine Niederlage Abrahams durch Technischer K.o. zur Folge gehabt. Deswegen ging der Kampf weiter. Und deswegen spürte Abraham höllische Schmerzen, die er noch nie in seinem Boxerleben verspürt hatte. »Das Schlimmste war, dass ich kaum schlucken und nichts mehr trinken konnte«, sagte Abraham später. Trotzdem gelang es ihm im weiteren Verlauf, klare Treffer des unsauber agierenden Kolumbianers zu vermeiden. Jedem in der Rittal-Arena war klar, dass nur eine harte Hand das vorzeitige Ende hätte bedeuten können.

Mirandas Schläge verpufften aber, weil sich Abraham sehr gut bewegte, sogar selbst traf und seinen Gegner weiter beeindruckte. Erst in den letzten beiden Runden war der Berliner stehend K.o., rettete sich mit letzter Kraft über die Zeit und feierte einen einstimmigen Punktsieg.

»Das war für mich als Trainer mein schwerster Kampf mit den schwersten Entscheidungen«, sagt Ulli Wegner rückblickend und ergänzt: »Ich weiß nicht, ob ich heute das gleiche tun würde. Das war ein Ritt auf der Rasierklinge.« Auch Wegner wurde durch den Kampf ein Star, ist mittlerweile für seine Ansprachen in den Ringpausen berüchtigt. Einer seiner neuen Schützlinge ist der Wetzlarer Emir Ahmatovic, der am Samstag seinen dritten Kampf als Berufsboxer bestreiten wird – und durch die »Blutschlacht« von Wetzlar einen zusätzlichen Schub erhielt. »«Abrahams Willen zum Sieg und Wegners Kampfansagen in der Ecke haben meine Karriere geprägt«, erinnert sich der 30-Jährige und ergänzt: »Ich wusste nach dem Kampf, dass ich in Arthurs Fußstapfen treten möchte.« Nach einer erfolgreichen Amateurkarriere will Ahmatovic auch bei den Profis für Aufsehen morgen – und Weltmeister werden. Er ist einer, der das deutsche Berufsboxen in eine bessere Zukunft führen soll.

Als Arthur Abraham seine Glanzzeit hatte, berichteten die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender noch umfangreich, statteten Veranstalter mit lukrativen Fernsehverträgen aus. Die Zeiten haben sich aber geändert. Sauerland Event etwa musste hart um einen neuen Fernsehvertrag kämpfen.

Mit charismatischen Helden, mit umgänglichen Weltmeistern will Sauerlands Fernsehpartner Sat.1 das Publikum begeistern. Mit einem wie Emir Ahmatovic. Oder mit Tyron Zeuge, dem derzeit einzigen deutschen Weltmeister. Eine Niederlage am Samstag könnte daher fatale Folgen haben. »Das wäre schlimm für das deutsche Boxen, nicht nur für unseren Stall«, betont Sauerland. Genug Brisanz für einen weiteren packenden Boxabend in der Wetzlarer Rittal-Arena scheint vorhanden zu sein. Dafür muss sich freilich niemand den Kiefer brechen.

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