Patrick Strauch: Reflex mit tragischen Folgen

Ein Stoß. Folgenschwer. Im Affekt. Ein Augenblick fehlender Aufmerksamkeit, wie das Landgericht urteilt. Das Strafverfahren gegen Patrick Strauch vom Eishockey-Zweitligisten EC Bad Nauheim wegen fahrlässiger Körperverletzung ist mehr als drei Jahre nach der Tat abgeschlossen worden.
Die immergleichen Bilder schießen durch den Kopf. In einer Endlosschleife. Morgens, beim Aufwachen, abends, beim Einschlafen. Momentaufnahmen, die sich eingebrannt haben im Gedächtnis; wohl für immer. Ein Klopfen auf die Schulter, ein Zupfen am Trikot, ein unüberlegter Schubser - Sekunden, die das Leben verändert haben; sein eigenes und auch das anderer Menschen. Er mache sich Vorwürfe, sagt Patrick Strauch und spricht von »sehr einer belastenden Zeit«. Das Landgericht Düsseldorf hat den Fall drei Jahre nach jenem verhängnisvollen 30. November 2012 strafrechtlich abgeschlossen. Im Berufungsverfahren wurde Strauch wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung sowie einer Schmerzensgeldzahlung von weiteren 12 500 Euro verurteilt (7500 Euro waren bereits zuvor bezahlt worden).
Rückblende: Das Oberliga-Spiel zwischen den Ratinger Ice Aliens und dem EC Bad Nauheim hatte höchst unsportlich geendet. Beim Stand von 0:18 hatte ein Frustfoul der Gastgeber die Emotionen kurz vor Schluss hochkochen lassen. Ohne den üblichen Händedruck mit dem Gegner gingen die Spieler vom Eis. Vor der Kabine, im einem Bereich in der die Gastgeber für die Sicherheit der Spieler verantwortlich sind, sprach Strauch noch mit seinem Vater, als sich ein Anhänger der Ice Aliens von hinten genähert hatte, den Kapitän ansprechen wollte und diesem auf die Schulter klopfte. Strauch drehte sich um und stieß den Rentner vor die Brust. Dieser prallte mit dem Kopf gegen eine Betonmauer - folgenschwer. Der heute 70-Jährige, der zwei Jahre zuvor einen Schlaganfall hatte, erlitt eine Gehirnblutung. Dem Krankenhaus-Aufenthalt folgte eine mehrmonatige Reha. Heute leidet der Rentner unter anderem an einer rechtsseitigen Lähmung sowie einer Sprachstörung und ist auf ständige Betreuung angewiesen (Pflegestufe 2).
»Die Situation tut mir unendlich leid. Sie ist durch nichts gutzumachen; auch durch kein Geld der Welt. Ein halbe Sekunde hat alles auf den Kopf gestellt«, sagt Strauch im Gespräch mit der WZ. Das Urteil im Berufungsverfahren hat der Vater eines dreijährigen Sohnes mit großer Erleichterung aufgenommen. Denn: Der Vorwurf der schweren Körperverletzung ist ausgeräumt. Das war ihm wichtig; auch für die berufliche Zukunft nach der sportlichen Laufbahn.
Das Schöffengericht hatte ihn zunächst zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung sowie einer 18 000-Euro-Zahlung an das Opfer verurteilt, wegen schwerer Körperverletzung. Dass der 35-Jährige »die Gesamtsituation zum Zeitpunkt des Handeln erfasste und billigend in Kauf nahm«, sei aber nicht mit der für eine »Verurteilung erforderlichen Überzeugung« festgestellt worden, heißt es nun nach drei Verhandlungstagen im elfseitigen Entscheid des Gerichts. Allerdings steht dort auch: »Es hätte nur eines Augenblicks mehr an Aufmerksamkeit bedurft, um zu erkennen, dass es sich offensichtlich nicht um einen aggressiven Fan handelt.
« Eine große Last sei dennoch von seinen Schultern gefallen. Er fühle sich »vom Kopf her besser«, berichtet Strauch.
Auf etwa »40 000 Euro« beziffert der Profisportler, der bei den Roten Teufeln als C-Schein-Inhaber in die Nachwuchsarbeit eingebunden ist, die Höhe der Anwalts- und Gerichtskosten, die er bislang zu zahlen hatte. Im Zivilprozess könnten nun weitere Summen im mittleren bis hohen fünfstelligen Bereich auf ihn zukommen, wenn die Familie des pflegebedürftigen Rentners und dessen Krankenkasse ihre Ansprüche geltend machen. Inwiefern Versicherungen einspringen, zumindest jetzt, da nicht mehr von vorsätzlicher, sondern von fahrlässiger Körperverletzung die Rede ist, wie viel er privat zu tragen hat, ist noch unklar. Die private Haftpflichtversicherung beispielsweise verweist auf den damaligen Arbeitgeber, in dessen Dienst Strauch beim Spiel gestanden hatte; doch handelt es sich hier um jene Spielbetriebs GmbH, die nach dem Aufstieg Insolvenz angemeldet hatte. Zu beleuchten ist auch die Verantwortung der Ratinger Ice Aliens, die Spieler von Zuschauern in diesem Bereich hätten abschirmen müssen (mit Ausnahme von Strauch waren alle Spieler bereits in der Kabine).
Ein komplexes Konstrukt. Offen bleiben viele Fragen und ebenso viele Rechnungen.
»Eine solche Situation darf erst gar nicht passieren. Patrick Strauch ist in eine Lage hineingeraten, für die er nichts kann und wurde zu Unrecht öffentlich als Schläger dargestellt«, sagt Andreas Ortwein, der Geschäftsführer der GmbH, die seit 2013 den Spielbetrieb in Bad Nauheim verantwortet. Er unterstützt seinen Angestellten ebenso wie Trainer Petri Kujala, der ihn Führungspersönlichkeit schätzt. Ein Fanclub hatte kürzlich gar zu einer Spendenaktion aufgerufen. »Ich bin sehr dankbar dafür«, sagt der Angreifer, dessen Leistung unter der seelischen Belastung litt. »Mir braucht keiner zu sagen, dass ich im Vorjahr nicht gut gespielt habe. Das weiß ich selbst. Die Situation ist belastend«, sagt Strauch. Auf dem Eis wie in der Kabine gilt er als fairer (0,79 Strafminuten pro Spiel in 17 Profijahren), charakterstarker Sportsmann und Vorbild. Der Stoß von Ratingen hat das Leben aber verändert.