1. Wetterauer Zeitung
  2. Sport
  3. Lokalsport

»Mir tut es für die Kinder in der Seele weh«

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Markus Konle

Kommentare

Auf gemeinsames Training weiter verzichten muss der Handball-Nachwuchs (hier die D-Jugend Bezirksauswahl bei einem Lehrgang mit DHB-Chef-Bundestrainer Jochen Beppler).	SYMBOLBILD: RAS-ARCHIV/PORTRÄTFOTOS: PM/ARCHIV
Auf gemeinsames Training weiter verzichten muss der Handball-Nachwuchs (hier die D-Jugend Bezirksauswahl bei einem Lehrgang mit DHB-Chef-Bundestrainer Jochen Beppler). SYMBOLBILD: RAS-ARCHIV/PORTRÄTFOTOS: PM/ARCHIV © Red

Der erneute Lockdown trifft die Nachwuchs-Handballer hart. Auf Bezirksebene haben viele seit März kein Spiel mehr bestritten, an Training ist nicht zu denken. Die Folgen könnten fatal sein.

Dienstag- und Donnerstagnachmittag ist Lilly besonders traurig. Die Nachwuchs-Handballerin würde so gerne ins Training gehen, sich austoben, sich auf die Partien auf Bezirksebene vorbereiten. Ihr letztes Pflichtspiel ist fast zehn Monate her, wann das nächste ausgetragen werden kann, steht in den Sternen - vielleicht in zwei Monaten. Frühestens. »Ich vermisse meine Mannschaft und meine Trainer«, sagt die Zwölfjährige.

Ihr geht es wie vielen jungen Sportlern. Aber die Handballer gehören zu jenen, die besonders viel Geduld aufbringen müssen. Welche Folgen fast ein ganzes Jahr ohne Wettbewerb haben, sind unabsehbar. Sie könnten fatal sein, befürchtet Isolde »Issi« Langsdorf. Sie ist eine von Lillys Trainerinnen und Jugendwartin bei der HSG Fernwald. »Mir tut es für die Kinder in der Seele weh«, sagt sie. Ähnlich sieht es Siegfried »Siggi« Bläsche, der 1. Vorsitzende der HSG Mörlen, der auch voller Sorge in die nahe Zukunft schaut.

Dass derzeit aufgrund der Corona-Pandemie keine Begegnungen ausgetragen werden dürfen, können die beiden »Macher« von der Handball-Basis nachvollziehen. Das Trainingsverbot sieht aber zumindest die Fernwälderin Langsdorf kritisch - zumal beispielsweise in Thüringen der Übungsbetrieb auch in Hallen für Kinder und Jugendliche aufrechterhalten werden darf. »Ich finde das Trainingsverbot sehr grenzwertig. Die sozialen Kontakte, die Bindungen, die die Kinder über den Sport haben, das fehlt ihnen. Der Sport war ja immer der Ausgleich für die Kids. Und das ist alles weggebrochen«, sagt sie.

Bläsche hingegen meint: »Ich bin eigentlich ein Befürworter, dass dieser Teil-Lockdown noch einmal stattgefunden hat und dass wir den Sport ein bisschen hintenanstellen. Es ist wichtig, dass die Kinder erst einmal zur Schule gehen. Da sollte der Fokus darauf sein, bevor man sich jetzt mit Sportvereinen oder anderen Freizeitaktivitäten beschäftigt. Das Problem ist einfach die Zeitachse. Es darf für die Vereine einfach nicht zu lange dauern. Ich denke, dass auch von den Eltern ein großes Verständnis dafür da ist, dass das bis Weihnachten geht.«

Einig sind sich Langsdorf und Bläsche darüber, dass die handballerische Entwicklung der Kinder und Jugendlichen leiden wird. Fast ein Jahr ohne Spiel und ohne regelmäßiges Training sind kaum aufzuholen. Vor allem die jüngeren Altersklassen, in denen von Jahr zu Jahr große Fortschritte im Spiel zu erkennen sind, werden hart eingebremst. »Und ich weiß auch nicht, ob du diese spielerischen Defizite jemals wieder kompensieren kannst. Viele verlieren auch die Lust, wenn sie merken, es funktioniert nicht«, sagt Langsdorf - und spricht damit eine Sorge an, die derzeit sicher viele Verantwortlichen umtreibt: Die Angst, dass der Nachwuchs abspringt. »Da habe ich inzwischen ein bisschen Bauchschmerzen, ob das gutgeht für die Vereine, das betrifft natürlich nicht nur uns Handballer«, sagt Bläsche. Sowohl bei seiner HSG Mörlen als auch bei der HSG Fernwald hat der erste Lockdown im Frühjahr in diesem Punkt keine gravierenden Auswirkungen gehabt - aber je länger das Sportverbot an der Basis gilt, desto höher schätzen Bläsche und Langsdorf das Risiko ein, dass der Nachwuchs die Lust auf Bewegung verlieren könnte. Für ihre Theorie, dass einige junge Sportler in diesen Corona-Zeiten die Motivation verloren haben, spricht auch die Tatsache, dass kurz vor dem geplanten Saisonstart im Oktober zahlreiche Vereine kurzfristig ihre Teams zurückgezogen haben. »Was machen die Kids denn bei dem trüben Wetter? Sie sitzen oft auf dem Sofa und datteln, nachdem sie schon in der Schule, zumindest teilweise, digitalen Unterricht hatten. Sie sind überwiegend drin und bewegen sich kaum«, sagt Langsdorf: »Das kann für die Gesundheit und das Immunsystem nicht förderlich sein.«

Doch die Sorge um den Nachwuchs ist nicht die einzige: Bläsche befürchtet auch, dass einige Trainer und Betreuer das Interesse durch die lange Zwangspause verlieren könnten. »Wir haben ja untereinander auch weniger Kommunikation, weniger Berührungspunkte. Dadurch fehlt auch die Motivation, sich jede Woche in die Halle zu stellen und Spaß daran zu haben«, sagt der Vorsitzende der HSG Mörlen. Notgedrungen wird mehr telefoniert, werden in diesen Tagen und Monaten mehr WhatsApp-Nachrichten geschrieben. Aber wie in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens kann dies nicht den persönlichen Kontakt ersetzen. Das gilt natürlich erst recht für die jungen Handballer.

Die HSG Fernwald hat kürzlich damit begonnen, zumindest einmal wöchentlich ein digitales Training ab der D-Jugend anzubieten. »Da können wir wenigstens im Athletikbereich ein bisschen arbeiten und die Kinder können sich untereinander mal wieder ›sehen‹«, sagt Langsdorf. »Bei den E-Jugendlichen und den Minis funktioniert das leider noch nicht, denen können wir gar nichts anbieten. Wie willst du diese Kinder bei der Stange halten?«, fragt sie - und hat keine Antwort parat. Erst ab der B-Jugend funktioniert aus ihrer Sicht das Arbeiten mit vom Übungsleiter erstellten Trainingsplänen. »Ab diesem Alter haben die Jugendlichen eine gewisse Selbstdisziplin. Mit den Jüngeren kannst du das nicht machen, weil sie Anleitung und zwischendurch auch Unterhaltung und Spaß brauchen.«

Unterstützung - zum Beispiel für digitales Training - würden sich die beiden Verantwortlichen vom Hessischen Handball-Verband wünschen. »Vom Verband kommt gar nichts, keine Mail, keine Info - einfach nichts. Die Verantwortlichen sind komplett abgetaucht. Die Nachricht, dass die Runde bis Mitte Januar ausgesetzt ist, war das letzte Lebenszeichen. Das war schon beim ersten Lockdown so«, ärgert sich Langsdorf und bekommt von Bläsche Recht: »Basisvereine wie wir werden vernachlässigt oder vergessen.« Dabei habe der Verband durch seine Verbands- und Auswahltrainer ja die Kompetenz, zum Beispiel digitale Angebote für die Klubs zu erstellen, meint der Mörlener.

Vorschlag: Auf Quali verzichten

Immerhin hat er wie seine Fernwälder Kollegin die Hoffnung, dass der Hessische Handball-Verband bei der Saisonfortsetzung flexibel auf die schwierige Situation reagiert und in diesem Jahr auf die Qualifikationsspiele verzichtet, die in der Regel ab März ausgetragen werden. »Ich würde den Standard-Kalender über den Haufen werfen und mir für die Qualifikation etwas anderes überlegen. Nach Möglichkeit sollten ab Mitte Februar alle Mannschaften zumindest eine einfache Runde spielen - und wenn sich das dann bis zum Juli hinzieht, dann ist das eben so«, sagt Bläsche mit Blick auf die handballerische Entwicklung: »Ich finde es wichtig, dass die Jugendlichen noch die Chance bekommen, in ihrem eigentlichen Jahrgang zu spielen. Wenn die Jahrgangswechsel kommen, hast du ja auch immer einen krassen Leistungsunterschied.«

Issi Langsdorf und Siggi Bläsche wünschen sich sehr für die Kinder und Jugendlichen, dass sie bald in die Halle zurückkehren und wieder ihrem Hobby nachgehen können. Die Hygienekonzepte, die vor dem erneuten Lockdown gut funktioniert haben, liegen griffbereit in der Schublade. Beide sagen unisono: »Wir könnten sofort loslegen.« Noch dürfen sie nicht. Aber Lilly freut sich schon auf die Trainingsnachmittage.

Auch interessant

Kommentare