Kitler lebt Kindheitstraum
Nils Kitler aus Ockstadt lebt im Nachwuchsleistungszentrum des FC Rot-Weiß Erfurt den Traum vom Profifußball, absolviert parallel die Schulausbildung und schaut hinter die Kulissen des Drittligisten.
Im Spielertunnel stand Nils Kitler unweit von BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, draußen warteten 19 000 Zuschauer im sonnendurchfluteten Steigerwaldstadion ungeduldig auf Stars wie Aubameyang, Dembélé oder Reus. »Ich hatte an diesem Tag Telefondienst«, erinnert sich Nils Kitler, der junge Mann aus Ockstadt, an den 22. Januar, als Borussia Dortmund zur Einweihungsparty in die neue Erfurter Multifunktionsarena geladen war. Sieben Mal kreiste die Maschine des Bundesligisten um den Flughafen Erfurt-Weimar, eine Landung scheiterte allerdings aufgrund des dichten Nebels. »Wir werden das Spiel noch in dieser Saison nachholen«, versprach der BVB-Boss den enttäuschten RWE-Fans.
Dann wird auch Nils Kitler wieder dabei sein. Das ehrgeizige Torwarttalent hat im Sommer 2016 den Schritt aus dem Wetterauer Kirschendorf in die thüringische Landeshauptstadt gewagt und lebt seinen »Kindheitstraum Profifußballer« mittlerweile im »Haus der Athleten« – gemeinsam mit ambitionierten Radfahrern, Schwimmern und Leichtathleten im Sportkomplex des Olympiastützpunkts, direkt an der modernisierten Fußball-Arena und dem Eissportzentrum gelegen.
Er wohnt auf 16 Quadratmetern mit Kochnische und Bad, lernt an der Ludwig-Erhard-Schule fürs Fachabitur, trainiert im Nachwuchsleistungszentrum des FC Rot-Weiß-Erfurt, spielt für die U17 in der Regionalliga Nordost und absolviert ein Praktikum in der Geschäftsstelle des Drittligisten. Abgeschlossen ist mittlerweile die Ausbildung zum DFB-Junior-Coach.
Einkaufen, Kochen, Waschen, Aufräumen. »Man lernt schnell alles zu organisieren und wird selbstständig«, sagt Nils Kitler. Zum Training (vier Mal wöchentlich plus zusätzlich zwei individuelle Torwart-Einheiten) fährt er 25 Minuten mit der Straßenbahn zum Vereinsgelände »Im Gebreite« in Nähe der Messe. Für die 230 Kilometer nach Hause nutzt der inzwischen 17-Jährige »in der Regel die Deutsche Bahn oder den Flixbus.« Wenn Mutter Sigrun, Schwester Alena oder Vater Thomas ihn besuchen und die Zeit es zulässt, »gehen wir gerne in die Altstadt rund um die Krämerbrücke und den Dom. Erfurt ist eine sehenswerte Stadt.«
Nils Kitler, der im Alter von vier Jahren beim SV Germania Ockstadt mit dem Fußball begann, wechselte über die Zwischenstation JSG Rosbach/Rodheim (2012 bis 2015) vor mehr als anderthalb Jahren zu Darmstadt 98 in die U17-Hessenliga. »Da spürte man die Euphorie nach dem Bundesliga-Aufstieg in der ganzen Stadt – eine tolle Atmosphäre«, berichtet der Nachwuchskeeper, der gemeinsam mit dem Ober-Wöllstädter Steffen Münk eine Fahrgemeinschaft nach Südhessen gebildet hatte. »Die Trainingsbedingungen waren manchmal schwierig, weil wir uns teilweise mit U15, U16 und U19 einen Kunstrasenplatz teilen mussten. Aber es wurde immer top organisiert und improvisiert«, ergänzt Kitler.
Kitler lebt Kindheitstraum
Die Gründe, warum er bei den »Lilien« nicht weitermachen durfte, »kenne ich bis heute nicht.« Ex-Profi Petr Ruman übernahm im letzten Juli die U19-Auswahl am Böllenfalltor und nur fünf von Kitlers ehemaligen Teamkollegen fielen nicht durchs Raster. Für den motivierten Ockstädter kein Anlass, um Trübsal zu blasen. Schon früher hatte er Probetrainingseinheiten bei Schalke 04, Mainz 05, Kickers Offenbach, FSV Frankfurt oder der TSG Wieseck bestritten, diesmal standen Rot-Weiß Erfurt oder der 1.
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Neben zahlreichen positiven Erfahrungen musste sich Nils Kitler auch mit den Schattenseiten des Fußballer-Daseins auseinandersetzen: Gerade als er sich in Darmstadt den Nummer-eins-Status erkämpft hatte, stoppte ihn erst ein Außenbandriss, dann in der Rückrunde eine erneute Fußverletzung. Vier Tage vor dem ersten Einsatz in Erfurt erlitt Kitler eine Knochenabsplitterung an der Hüfte. »Das war an meinem ersten Schultag, am 11. August. Einen Monat durfte ich überhaupt nichts machen. Danach stand bis Mitte November Krafttraining mit unserem Individualtrainer Kai Schröter an. Das war schon extrem schwer«, berichtet er über eine lange Leidenszeit. Am 1. April hütete Kitler erstmals wieder bei einem Punktspiel (0:1 gegen den Halleschen FC) das Tor.
In der U17-Regionalliga Nordost liegt RWE mit Trainer Benjamin Adam aktuell auf dem neunten Platz – ohne Möglichkeiten nach vorne, mit genügend Puffer zu den Abstiegsrängen. »Unser Derby bestreiten wir gegen Carl Zeiss Jena, bei den weiten Auswärtsfahrten nach Frankfurt/Oder, Schwerin und Cottbus reisen wir am Vortag an, da Samstags meistens um 11 Uhr angepfiffen wird«, erklärt Nils Kitler, »wir machen Mannschaftsabende oder in der Wintervorbereitung zur Abwechslung Ski-Langlauf in Oberhof.« Ans Herz gewachsen ist ihm Erfurt auch auf andere Art und Weise: hier hat er seine Freundin Luisa kennen gelernt.