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Dag Heydecker - Der Wetterauer in der Bundesliga

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Zehn von 17 Heimspielen des FSV Mainz 05 in der Saison 2011/12 waren ausverkauft. 559 470 Zuschauer haben die Partien während der Premieren-Spielzeit in der Coface-Arena verfolgt; das entspricht einem Schnitt von 32 910 Fans bei einer Kapazität von 34 000. Mehr geht kaum.

Dag Heydecker aus Steinfurth, der Geschäftsführer Marketing, Vertrieb, Ticketing und CSR, zudem Geschäftsführer des Charity-Vereins »Mainz 05 hilft«, formuliert dennoch schon die nächsten ehrgeigen Ziele. Die Mitgliederzahl wolle man steigern, von aktuell 14 500 auf 20 000, die Identität einer noch breiten Masse stärken – auch für den Fall, dass es nach nun drei Bundesliga-Jahren in Folge auch mal weniger erfolgreich läuft. »Ein FC Bayern wird immer das Stadion füllen. Aber wir wollen auch in anderen Spielen ein volles Haus«, sagt Heydecker.

Der 51-jährige frühere Sportredakteur der Wetterauer Zeitung, der seit vier Jahren bei den Rheinhessen arbeitet, rührt dafür an allen Ecken und Enden. Soziale Projekte, Kooperationen mit Schulen, Vorträge vor Unternehmern. Ein Oldies-Klub »Plus 65« soll installiert werden. WZ-Sportredakteur Michael Nickolaus hat Dag Heydecker, den Wetterauer in der Fußball-Bundesliga, vor Ort in Mainz besucht. Kisten und Kartons stapeln sich derzeit in dessen Büro. Die Geschäftsstelle ist am Wochenende umzogen – vom Bruchweg in die Coface-Arena. Zwischen Pizza und Pasta beim Italiener »Mediterraneo« spricht Heydecker über...

den oft bemühten Vergleich von Thomas Tuchel und dessen Vorgänger Jürgen Klopp: »Beide Trainer sind sehr erfolgsorientiert, aber dennoch ganz grundverschiedene Typen. Kloppo ist ein unheimlich emotionaler Mensch, der jeden herzt und Nähe ausspielt, ein Motivator, der intuitiv handelt. Er kann die jungen Spieler mitreißen und passt zu 100 Prozent nach Dortmund. Thomas Tuchel ist dagegen ein reiner Kopf-Mensch. Analytisch, hochintelligent. In der Spielvorbereitung seziert Tuchel den Gegner regelrecht. Er nimmt keine Rücksicht auf irgendwelche Namen und prägt mit seiner offensiven Spielphilosophie den Stil von Mainz 05. Tuchel wird seinen Weg gehen und ein Großer werden.«

die Coface-Arena: »Zehn von 18 Spielen waren ausverkauft. Der Verkauf von 25 000 Dauerkarten in der abgelaufenen Saison zeigt, dass der Bedarf für ein neues Stadion vorhanden war. Wir haben das Bruchwegstadion geliebt, dieses kleine Schmuckkästchen. Aber die Coface Arena ist rot, steil und absolut nicht größenwahnsinnig. Die Stimmung in diesem Stadion ist sensationell.«

den Klassenerhalt: »Ein möglicher Abstieg ist natürlich ein Horror-Szenario für uns alle hier, keine Frage. Die gesamte Euphorie rund um die neue Arena wäre dadurch gebremst. Das Beispiel Frankfurt hat aber in der Saison 2010/11 gezeigt, dass sich doch im Grunde genommen die halbe Liga immer mit solchen Gedanken wird befassen müssen, hat gezeigt, dass es jeden treffen kann; auch nach einer starken Vorrunde. Hier in Mainz wird man auch nach erfolgreichen Jahren immer wieder nach unten schauen müssen, auch wenn wir unter Thomas Tuchel nie auf einem Abstiegsplatz gestanden haben. Um unsere Mitgliederzahl auf 20 000 steigern zu können, müssen wir in der Bundesliga spielen.«

seine Abteilung: »Der FSV Mainz hat keine Agentur, die ihn vermarktet. Wir machen alles selbst. Im Bereich Marketing und Vertrieb haben wir derzeit 15 Mitarbeiter, insgesamt erhöht sich die Zahl der Festangestellten in diesem Sommer von 55 auf 65. Im personellen Bereich können wir uns damit mit Eintracht Frankfurt oder auch Borussia Mönchengladbach vergleichen.«

die Zusammenarbeit mit Manager Christian Heidel: »Er hat im April sein 20-jähriges Manager-Jubiläum hier gefeiert. Das zeigt seine tiefe Verbundenheit mit dem Klub und der Stadt. Christian hat unheimlich viele Kontakte, ist prima vernetzt. Wir haben ein sehr offenes und gutes Verhältnis, und er ist längst ein guter Freund geworden. Wir können uns auch bei heiklen Themen offen und konstruktiv austauschen. Ich bin ihm auch dankbar, dass er mich im Januar 2008 angerufen hat und fragte, ob ich Lust hätte, nach Mainz zu wechseln.«

Kontinuität an der Vereinsspitze: »Der Vorstand ist seit 1988 im Amt. Jeden Montag kommen die neun Mitglieder und die Geschäftsführung zusammen. Diese Kontinuität im deutschen Profi-Fußball ist einzigartig. Diese Herren haben im Laufe dieser Zeit alle Höhen und Tiefen mitgemacht. Die haben auch schon Spiele vor 2000 Zuschauern erlebt und sind deshalb nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen.«

seine Tätigkeit beim FSV Mainz 05: »Ich habe hier beruflich meine Erfüllung gefunden und kann rückblickend sagen, vom Glück geküsst worden zu sein. Der FSV ist ein offener und toleranter Verein, in dem auch die Menschlichkeit noch zählt. Ich wollte auch während meiner Zeit in Mannheim und Hoffenheim immer zurück zum Fußball und bin mir sicher, dass es aus meiner Perspektive nicht viele bessere Stationen gibt.«

das Image der Nullfünfer: »Der Klub ist authentisch, leidenschaftlich, ehrlich und normal. Hier bleiben alle auf dem Boden. Das mag vielleicht auch etwas hemdsärmlig nach außen wirken. Aber diese lebenswerte Stadt lebt für die Nullfünfer. Gesellschaftlich ist der Klub stark verankert.«

über das Wachstum der Nullfünfer: »In den letzten Jahren seit dem Aufstieg wurde kräftig zugelegt. Das fängt schon bei den ganz anderen Preisen an, die in der Bundesliga aufgerufen worden. Diese Zahlen liegen rund 40 Prozent über dem Zweitliga-Niveau. Die heimische Wirtschaft steht nahezu geschlossen hinter uns, der Business-Bereich ist zu 95 Prozent ausgelastet. Ich denke, der FSV Mainz 05 hat zwischen Eintracht Frankfurt und dem 1. FC Kaiserslautern seine Nische gefunden und seine eigene Identität kreiert.«

über die Perspektive des Klubs: »Unser Ziel liegt im Kunden-Beziehungs-Management. Wir können nicht immer vom Idealfall ausgehen, sondern müssen auch schlechte Zeiten einkalkulieren. Und gerade in solch einer Situation ist es wichtig, dass Fans und Partner zu uns stehen. Ein FC Bayern wird uns immer das Stadion füllen. Die Anhänger sollen sich mit dem Verein identifizieren und auch vor Spielen gegen Freiburg oder Duisburg sagen: Das ist mein Verein. Und da gehe ich hin. Und fehlt da im Grunde eine Generation. In der Öffentlichkeit wurde der FSV Mainz 05 doch erst richtig wahrgenommen, als unter Jürgen Klopp der Aufstieg zweimal knapp verpasst worden war.

Danach wurden die Nullfünfer beispielsweise von Kaiserslautern als kleiner Bruder belächelt, galten als eine Modeerscheinung. Doch diese Mode hält sich seit inzwischen acht Jahren.«

über die Nachwuchsarbeit: »Der FSV Mainz ist einer von nur acht Vereinen, die vom Deutschen Fußball-Bund drei Sterne, die höchste Auszeichnung für qualitative Nachwuchsarbeit, erhalten. Die U 19 wurde 2009 Deutscher Meister und auch dieses Jahr wieder Dritter in der Südwest-Gruppe der Bundesliga. Wir haben sechs hauptamtliche Nachwuchstrainer und arbeiten mit dem Kolping-Haus als Internat intensiv zusammen. Und natürlich erfüllt es mit Stolz, wenn ein eigener Nachwuchsspieler wie Andre Schürrle für zehn Millionen Euro transferiert wird.«

über die misslungenen Europapokal-Darbietungen: »Keiner war trauriger als wir selbst. Dazu kam noch das DFB-Pokal-Aus in Kiel. Wir haben eine junge Mannschaft, die diese Tiefschläge aber weggesteckt hat. Das Team hat zu keinem Zeitpunkt auf einem Abstiegsplatz gestanden.«

über soziale Projekte: »Wir haben inzwischen 25 Partnerschulen, sind gut vernetzt. An jeder Schule hängt eine FSV-Flagge. Mit einem Mausklick erreichen wir per Mail rund 40 000 Kinder. Soziale Projekte mit Kindern oder im Bereich Charity machen Spaß, helfen der Entwicklung des Klubs und tragen dazu bei, dass am Ende das Gesamtpaket stimmt. Messen lassen muss ich mich aber in erster Linie an den Resultaten im Bereich Sponsoring. Am Ende ist aber entscheidend, was auf dem Platz passiert.«

über das Image des Karnevalsvereins: »Das wurde Ende der 90er Jahre von den Fans selbst so kreiert. Unsere Fans besitzen noch die Lockerheit, die sie von Fans anderer Vereine unterscheidet. Sie sind beschwingter, nicht so verbissen; selbst bei Niederlagen. Ist der Gegner besser, wird das so auch akzeptiert. Da fällt kein böses Wort. Die Leute gehen nach Hause und sagen sich: ›Okay, die anderen waren besser. Beim nächsten Mal gewinnen wir wieder.» Selbst als wir fünf Heimspiele in Folge verloren haben, ist hier keiner in Hektik verfallen. Das ist schon außergewöhnlich.«

über die Wetterau als Einzugsgebiet der Nullfünfer: »Ich finde es super, wie viele Menschen aus der Wetterau die Heimspiele des FSV Mainz besuchen. Es ist ja auch nur ein Katzensprung. Und im neuen Stadion haben wir nun endlich auch die Möglichkeit, neue Fans zu gewinnen. Das Bruchwegstadion war mit 20 300 Fans immer rappelvoll, da gab es nur kleine Chancen, an Tickets zu kommen.«

über die Entwicklung bei seinem Ex-Klub Hoffenheim: »Natürlich schaue ich mehr nach Hoffenheim als zu jedem anderen Klub. Nach dem Abschied von Ralf Rangnick ist dort der ständige Wechsel die einzige Konstante. In meinen Augen widerspricht sich die Personalpolitik. Ich denke, in Hoffenheim wurde verpasst, das Dorf-Image zu pflegen. ›Eine Ampel, eine Metzgerei, eine Bäckerei – keine Chance.» So oder so ähnlich hätte man sich positionieren können«.

über die Europameisterschaft: »Ich war fünf Jahre in Hoffenheim Geschäftsführer, Hansi Flick zu dieser Zeit der Trainer. Hansi ist ein Freund, daher drücke ich mehr denn je der Nationalmannschaft die Daumen. Wir haben eine wunderbare Generation«

über seine Heimat: »Wenn mich jemand fragt, woher ich komme, sage ich: Ich bin Steinfurther. Ich versuche stets, meine alten Verbindungen zu pflegen. Meine Eltern wohnen in Ober-Mörlen, meine Tochter Julia in Bad Nauheim, und Reinhard Heil ist noch immer mein bester Kumpel. Ich freue mich immer, wenn ich in der Heimat bin und wenn mich alte Freunde in Mainz besuchen. Beim Spiel gegen Hamburg war fast die komplette Mannschaft da, die 1988 Junioren-Hessenmeister im Trikot des SV Steinfurth geworden ist. Da war die Freude groß. Und ich freue mich, wenn ich höre, dass es meinem ehemaligen Jugendleiter beim SV Steinfurth, Hans Reichard, gut geht. Dann ist das schon mal ein guter Tag.«

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