Helmke: »Sport ist unfassbar erfolgsabhängig«
(jms/mw) Bewegt sich das Einkommen von Spitzenathleten in manchen Sportarten auf Hartz-IV-Niveau? »Man kann gut leben, wenn man sparsam ist«, sagt Till Helmke, Sprinter von der LG ovag Friedberg-Fauerbach. Auf die Mitleidsdrüse will der Betriebswirtschaftsstudent nicht drücken.
Der 25-Jährige war zweimal bei Olympischen Spielen, gehört seit Jahren zu Deutschlands schnellsten Kurzstrecklern - dennoch fährt er einen geleasten Citroen C3 und wohnt mit Lebensgefährtin Stephanie in einer kleinen, aber feinen Wohnung in Frankfurt-Bornheim. Misstände im System prangerte kürzlich die Deutsche Sporthilfe, eine Stiftung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), mit einer groß angelegten und aggressiven Werbekampagne an. Helmke will dennoch von Hartz-IV-Niveau nichts wissen.
Grundlage der Sporthilfe-Kampagne ist eine repräsentative Erhebung der Deutschen Sporthochschule, die über 1000 Spitzensportler befragte und dabei 626 Euro Einkommen im Durchschnitt ermittelten. Helmkes gesicherte Einnahmen liegen zwar darüber. Aber dass es ein paar Euro mehr sein könnten, verneint Helmke nicht. Er wird von dem Sicherheitshersteller Burgwächter, Adidas und dem oberhessischen Energieversorger OVAG unterstützt, außerdem erhält er eine Grundförderung von der Deutschen Sporthilfe sowie ein Sporthilfe-Stipendium. »Wegen des Geldes treibt man diesen Sport nicht. Es sind zweifelsohne die Gefühle bei Olympischen Spielen, in einem vollen und stimmungsvollen Stadion aufzulaufen«, sagt Helmke, der in Peking (China) 2008 vor rund 90 000 Zuschauern an den Start gegangen war.
Der in Rosbach aufgewachsene Student weiß jedoch die Situation in seinem Sport realistisch einzuschätzen. Denn gegenüber den populären Mannschaftssportarten wie Fußball oder Handball unterscheidet sich die Leichtathletik im Wesentlichen durch ein entscheidendes Kriterium. »Mannschaften spielen jede Woche. Für Sponsoren ist das sehr lukrativ, denn sie sind somit langfristig und nachhaltig präsent. Wir zehren vor allem von dem großen Event Olympische Spiele. Vielleicht hat auch die Weltmeisterschaft im vergangenen Jahr in Berlin einen Schub gegeben.«
Beobachtet hat er jedoch eine für die »kleineren« Sportarten negative Entwicklung. »Vor sieben, acht Jahren war Fußball natürlich auch schon überragend. Jetzt hat sich dies erweitert, alles andere wird ja fast schon erdrückt«, sagt Helmke. Für die meisten Sportarten - und dies lässt er auch für die Leichtathletik gelten - habe er Folgendes beobachtet. »Wenn du richtig gut bist, wirst du mit Geld fast schon beworfen. Kommst du nur ein Stück dahinter, sieht es schnell ganz anders aus. Der Sport ist unfassbar erfolgsabhängig«. Die Leichtathletik sei das beste Beispiel: »Usain Bolt [Anm. d. Red.: Jamaikanischer Weltrekordler über 100 und 200 Meter] verdient Millionen, danach kommt erstmal ein großes Loch«.
Die Vermarktungsmöglichkeiten von Sportarten wie Leichtathletik oder Schwimmen leiden unter der - abgesehen von absoluten Großereignissen - geringen Fernsehpräsenz. Demnach betrifft auch Sportler wie Helmke die Unsicherheit des Leistungssports. Nachdem sich das Aushängeschild der LG ovag Friedberg-Fauerbach, dessen Stammverein der Turn- und Sportverein (TSV) ist, im Sommer des vergangenen Jahres verletzte und die Deutschen Meisterschaft sowie die WM verpasste, waren Einnahmereduzierungen einzukalkulieren. »Startmöglichkeiten und damit auch Startgelder richten sich natürlich nach dem aktuellen Erfolg. Bleibt der aus, sind die zusätzlichen Verdienstmöglichkeiten geringer. Prämien von Verein oder den genannten Förderern für einen Deutschen Meistertitel oder eine WM-Platzierung 2009? Fehlanzeige. »Leichtathleten können nur ein Jahr ohne Leistung bestehen«, sagt Helmke, der den Verlust schwer beziffern kann.
Der Zeitaufwand für Training und Studium, welches er als Leistungssportler in Teilzeit absolviert, ist freilich erfolgsunabhängig. Rund 15 Stunden ist er auf dem Friedberger Burgfeld, im Bad Nauheimer Wald, beim Olympiastützpunkt in Frankfurt oder im Winter den Hallen in Fauerbach und Kalbach unterwegs. Mit Anfahrtswegen, Terminen beim Physiotherapeuten und Reisen zu den Wettkämpfen und ins Trainingslager beziffert Helmke seinen »sportlichen« Aufwand auf rund 35 Stunden in der Woche - auf das Jahr gesehen. Hinzu kommt das BWL-Studium an der Frankfurter Goethe-Universität, für das er durchschnittlich 25 Stunden in der Woche benötigt. Die Varianz ist jedoch groß - Semesterferien drücken den Aufwand nach unten, Klausurenvorbereitungen und Seminararbeiten erheblich nach oben. Hinzu kommt, dass die Prüfungen zumeist im Februar und August anstehen - zu den Zeiten, in denen die Saisonhöhepunkte in der Halle und im Freien fest im Terminplan verankert sind. »Jeder Tag muss perfekt organisiert sein«, betont Helmke.
Summa summarum verzichtet Helmke auf (viel) Geld, denn die doppelte Studiendauer wird ihm nur annährend durch die genannten Einnahmen entschädigt. Andere Werte stehen daher im Vordergrund. »Es ist doch ein absolutes Privileg, wenn du es als Sportler zu den Olympischen Spielen geschafft hast und in prallgefüllten Stadien der ganzen Welt auf der Laufbahn stehen darfst«, erklärt Helmke die »unbezahlten Emotionen«. Wie so viele Athleten in der Republik sieht Helmke in erster Linie die Liebe zum Sport und die damit verbundenen positiven Erlebnisse. Und vielleicht treiben ihn sein Ehrgeiz und seine positive Einstellung noch zu größerem Erfolg, der sich dann auch auf dem Konto niederschlagen wird. Schließlich hat Helmke bis mindestens zum Jahr 2016 geplant - dann steigen die »Spiele« in Rio de Janeiro.