Gesundheitsmythen im Check
Gesundheit ist nicht die Abwesenheit von Krankheit. Über manche Irrtümer der sportlichen Trainingsgestaltung haben wir mit Birgit Gigi Bernhard von der »villa aktiv« in Gießen gesprochen.
? Immer wieder ist zu hören, dass die Fettverbrennung im Training erst spät beginnt, so ab der 20. bis 30. Minute. Das würde ja bedeuten, dass kürzeres Training unsinnig ist. Stimmt das?
Beim Radfahren, Laufen, Schwimmen usw. werden immer unterschiedliche Systeme zur Energiegewinnung herangezogen. Das sind zum einen die Kohlenhydratspeicher der Muskulatur und der Leber und zum anderen die Fettdepots, bestehend hauptsächlich aus dem Unterhautfettgewebe. Dabei werden immer beide Speicher zur Energiebereitstellung genutzt. Es ist eine Frage der Intensität, auf welche Speicher in welchem Maße zugegriffen wird. Jetzt darf man von 20- bis 30-minütigen Ausdauereinheiten keine Wunder erwarten. Denn letztlich ist einzig und allein der Energieverbrauch entscheidend. Je ambitionierter jemand im Ausdauerbereich trainiert, desto stärker wird der Schwerpunkt auf einem gut funktionierenden Fettstoffwechsel liegen.
? Desto mehr ich trainiere, desto besser werde ich. Stimmt das oder ist das ein Trugschluss?
Das kommt drauf an! Als Sportanfänger ist es hilfreich, die Anzahl der Trainingseinheiten zu erhöhen. Wobei den Tagen der Erholung dabei ebenfalls eine große Rolle zukommt. Bei fortgeschrittenen Sportlern macht es unter Umständen Sinn, die Länge der Einheiten zu verlängern, um gewünschte Anpassungsprozesse zu initiieren. Bei Überlastung durch Sport, Arbeitsstress, Familie, etc. kann es zur Leistungsstagnation kommen. Man könnte also salopp sagen: »Weniger ist manchmal mehr!«
? Manche meinen, ich bin schon zu alt für Sport. Das dürfen wir so nicht gelten lassen, oder?
Im Gegenteil, das Alter darf kein Kriterium sein. Der Muskelabbau beginnt ganz nebenbei schon in deutlich jüngeren Jahren. Vom Krafttraining profitieren »Ältere« in hohem Masse. Dabei geht es um Kräftigung des Muskelapparates, aber auch um Flexibilität, Gleichgewicht und Koordination. Das führt zu einer deutlich höheren Lebensqualität und Spaß an der Bewegung. Aber bitte nicht eingespannt in irgendeinem Fitnessgerät.
? Früher hieß es stets, wer Schmerzen hat, soll sich schonen. Gilt das heute auch noch?
Schmerzen haben beim Trainieren nichts verloren! Weder beim Krafttraining noch beim Ausdauertraining. In der villa aktiv bedeutet das, dass wir zunächst die Ursache für den Schmerz finden müssen, diesen beseitigen und dann mit zielgerichtetem Training beginnen.
? Immer mehr Menschen klagen in unseren Breiten speziell über Rückenschmerzen und glauben, Übungen zur Stärkung der Rückenmuskulatur allein reichen aus.
Auch hier muss man differenziert antworten. Vorgeschaltet werden muss hier eine vernünftige Anamnese. Ursachen für Rückenschmerzen sind vielfältig. Es gibt nicht die eine Übung oder das spezielle Gerät. Es geht darum, für den jeweiligen Befund die richtige Strategie zu finden.
? Apropos spezielle Übungen: Können Problemzonen und Fettpolster direkt trainiert werden, um an diesen Stellen wirkungsvoll abzunehmen?
Das wäre wunderbar! Viele Anbieter versprechen uns genau das Abtrainieren solcher Problemzonen. Dem ist aber leider nicht so! Wir können dem Körper leider nicht mitteilen, welche Fettpolster bevorzugt verbrannt werden sollen.
? Bleiben wir beim Abnehmen, vielerorts herrscht die Meinung vor, nur mit Ausdauertraining und nicht mit Krafttraining könne man abnehmen. Stimmt das?
In allem steckt ein Quäntchen Wahrheit. Durch ein gezieltes Ausdauertraining wollen wir erreichen, dass der Körper Fette und Kohlenhydrate verstoffwechselt. Durch ein Krafttraining möchten wir den Muskelaufbau unterstützen, um darüber einen höheren Grundumsatz zu erzielen. Aber all das nutzt nichts ohne eine vernünftige Ernährungsstrategie. Dabei geht es auch um die Änderung der persönlichen Einstellung zu Bewegung und Ernährung. Hier hilft eine gezielte Ernährungsberatung in Verbindung mit einer spirometrischen Ruheumsatzmessung und dem Kennen der eigenen Herzfrequenzbereiche.
? Viele wollen nach den Wintermonaten wieder etwas für ihre Gesundheit machen und joggen durch die Gegend. Ist das der richtige Ansatz für Personen, die wochenlang inaktiv waren?
Unbedingt! Man muss allerdings auf ein paar Dinge achten. Man sollte betont locker starten und die Umfänge erst mal niedrig halten. Denn orthopädisch muss der Körper sich erst einmal an die Belastung gewöhnen. Lieber mit mehreren kurzen Laufeinheiten starten, als zu versuchen, direkt an die Umfänge des letzten Herbstes anzuknüpfen. Der Körper braucht Zeit, sich an die »ungewohnte Belastung« zu gewöhnen. Diese Zeit sollte man ihm geben.
? Auch auf den Fahrrädern sind nun wieder viele unterwegs. Nicht wenige von ihnen kommen einem hechelnd, mindestens aber angestrengt entgegen. Ist das gesund?
Viele Menschen haben das Gefühl, dass Sport anstrengend sein muss, damit es etwas bringt. Das ist sicher der Grund, warum uns Sport treibende Menschen beim Joggen und Radfahren mit hochrotem Kopf begegnen. In der Regel werden diese Ausdauersportarten viel zu intensiv betrieben. Das ist auch der Hauptgrund, warum nach einer überschaubaren Zeit keine Leistungssteigerung mehr stattfindet.
? Gibt es für die optimale Pulsbelastung – die maximale Herzfrequenz soll 220 minus Lebensalter betragen – wirklich eine Faustformel, oder ist das von Mensch zu Mensch verschieden?
Diese Werte sind die durch die WHO definierten Herzfrequenzwerte. Sie gelten für den Großteil der Bevölkerung nach der Gaußschen Normalverteilung. Aber wer weiß schon, ob er dem Durchschnitt entspricht oder nicht? Wir raten deshalb von der Ermittlung der HF-Werte über diese Formel ab. Als Sportanfänger halten Sie sich lieber an das Sprichwort, »entspanntes Plaudern beim Laufen« bedeutet ein gutes Ausdauertempo. Für Fortgeschrittene und Ambitionierte bietet sich eine Leistungsdiagnostik mit Spiroergometrie an. Damit lassen sich die Trainingsbereiche exakt bestimmen. Aus Erfahrung belasten sich fast alle Sportler zu hoch.