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»China wird sich weiter der Welt öffnen«

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Am 8. August starten die 29. Olympischen Sommerspiele in Peking. Als am 13. Juli 2001 die chinesische Millionenstadt den Zuschlag vom IOC bekam, jubelte eine ganze Nation. Bereits in der zweiten Wahlrunde setzten sich die Chinesen gegen Paris, Istanbul oder Toronto durch. Somit finden nach 1936 (Berlin), 1968 (Mexiko-Stadt), 1980 (Moskau) und 1988 (Seoul) zum fünften Mal Olympische Sommerspiele in einem autoritären Staat statt.

Und genau diese Tatsache lässt seit Monaten die Kritiker immer lauter werden. Dieser Tage diskutierten bei den 3. Gießener Sportgesprächen des Verlages der »Gießener Allgemeinen Zeitung« und der »Wetterauer Zeitung« Aktive, Funktionäre und ein ehemaliger Sportler über die besonderen Vorzeichen, politische und wirtschaftliche Faktoren und die Rolle der Athleten in Peking. Zu Gast bei den Moderatoren Prof. Heinz Zielinski (Sportkreis) und Rüdiger Soßdorf (GAZ) waren neben rund 65 interessierten Zuhörern der 200-Meter-Sprinter und Olympiakandidat Till Helmke (TSV Friedberg-Fauerbach ), Prof. Dr. Armin Bohnet, ehemaliger Wirtschaftswissenschaftler der JLU Gießen, der Geschäftsführer der Johannes Hübner GmbH, Dieter Wulkow, Rainer Brechtken, Präsident des Deutschen Turnerbundes, sowie Edgar Itt, Olympiamedaillengewinner mit der 4x400-Meter-Staffel 1988 in Seoul und Olympiakandidat Jonathan Koch von der Gießener Rudergesellschaft.

Eröffnet wurde mit der Frage, ob es klug war, die Spiele nach Peking zu vergeben. Im Grunde waren sich alle Beteiligten einig: Die Vergabe war sinnvoll. Ein Mann, der Erfahrung mit einer ähnlichen Situation hat, ist Edgar Itt. 1988 ging er als Weltklasse-Sprinter bei den Spielen in Seoul/Südkorea an den Start. Erst 1987 wurde in Südkorea die Verfassung zugunsten echter demokratischer Züge verändert. Mithilfe der Sommerspiele wurde dann eine schrittweise Öffnung an die westliche Welt gefördert, die schließlich so weit voranschritt, dass Südkorea 2002 wieder ein sportliches Großereignis ausrichten durfte. Zusammen mit Japan veranstaltete man die Fußball-Weltmeisterschaft. Heutzutage herrscht in Südkorea eine Präsidialrepublik, wie es auch in den USA der Fall ist. »Ich denke, die Olympischen Spiele würden für viele Länder die Chance bieten, die Öffnung an die westliche Welt voranzutreiben. Ich habe das 1988 in Seoul erlebt und kann mir vorstellen, dass genau dieser Faktor bei der Vergabe im Hinterkopf der Exekutive war«, berichtete Itt. Auch Dieter Wulkow stimmte der Vergabe an Peking zu: »China hat sich gut präsentiert, das Entscheidungsgremium überzeugt und sich die Chance verdient, die Spiele auszutragen.

Vorfälle wie in Tibet konnte man damals natürlich nicht voraussehen«, verschloss er dabei aber ein wenig die Augen vor der Realität. Etwas kritischer stand Rainer Brechtken der Situation gegenüber. Grundsätzlich spricht auch er sich aber dafür aus, dass die Vergabe richtig war. Vor allem die Infrastruktur würde China noch lange zum Nutzen gereichen, doch habe man verpasst, die Entwicklung Chinas schon bei der Vergabe oder der Entzündung der Flamme konsequent zu verfolgen.

»Die ganzen Fragen, die in letzter Zeit hochkochen, werden viel zu spät aufgeworfen. Bei der Vergabe hätte man als IOC im ruhigen Stil, ohne anzuklagen, Forderungen der Entwicklung stellen können«, sagte Brechtken. Eine ähnliche Meinung vertrat auch der olympiaerfahrene Till Helmke, der 2004 schon 14 Tage im olympischen Dorf in Athen weilte: »Man hätte die Spiele unter Auflagen an Peking vergeben können, ganz im Sinne des ›Wenn-dann-Modells‹, was aber natürlich organisatorische Gefahren in sich birgt, sollten die Auflagen nicht erfüllt werden können. Trotzdem denke ich, dass sich in China kurzfristig einiges verändert hat. Die Berichterstattung über die Erdbebenkatastrophe war doch ein guter Ansatz.

« Auch Koch, der zweite Olympiakandidat, gab sich kritisch. »Es ist ein innerer Konflikt. Auf der einen Seite sieht man die Menschenrechtsverletzung und deren Vertuschung, auf der anderen hat man bis zu zwei Jahre Studium riskiert, um an den Spielen teilzunehmen und will als Sportler seine Ziele konsequent verfolgen«, sagte er. Auf die Frage nach der politischen Funktion der Spiele berichten die bei-den Sportler unisono, dass wohl eher unter den Aktiven eine Annäherung stattfinden könne; nicht auf großer Ebene. »Die Chinesen suchen neuerdings den Kontakt«, erzählte Koch, und Helmke fügte an: »Unter uns Sportlern kann etwas bewegt werden, aber Sport darf nicht instrumentalisiert werden.«

Ein großes Thema war auch die weltwirtschaftliche Rolle Chinas und welche Aufgaben die Wirtschaft übernehmen kann und soll. Der Experte auf diesem Gebiet, Prof. Dr. Bohnet, gab eine kleine Einführung: »Die Spiele sind ein finanzielles Großprojekt. Die Sponsorengelder sind viermal so hoch wie in Athen. VW wird 6000 Autos zur Verfügung stellen«, so die beeindruckenden Zahlen. Brechtken hingegen sah den gesellschaftlichen Aspekt im Vordergrund: »Der ökonomische Faktor ist für China uninteressant.

Wichtiger für das Land ist es, die Großmachtstellung zu unterstreichen, die Entwicklung zu zeigen.« Aber, ist denn tatsächlich eine Entwicklung zu beobachten? Der chinaerfahrene Wulkow sagte: »Ja.« »In Peking stehen heute viel mehr Wolkenkratzer als in New York. Noch vor 20 Jahren war die Infrastruktur in China mit unseren ländlichen Gegenden zu vergleichen und es gab kaum Hotels. Für die sensiblen Chinesen wird es während der Spiele darauf ankommen, sich als Gemeinschaft zu präsentieren und nicht das Gesicht zu verlieren.«

Doch genau aus diesem letztgenannten Punkt befürchten viele Experten, dass die chinesischen Sportler auch zu verbotenen Mitteln greifen könnten, um den Erfolg zu garantieren. Trotzdem wurde das Thema Doping am Montagabend nur als Randpunkt diskutiert. »Ich habe das Gefühl, dass die Dopingproblematik ausufert. Trotzdem werden wir in Peking wieder keine einzige positive Probe sehen«, vermutete Helmke. Etwas gutgläubiger dagegen war Koch: »China hat einen viel größeren Pool an Menschen zur Verfügung, um Teams aufzustellen. Daraus folgt natürlich, dass auch der Konkurrenzkampf größer ist. Deswegen denke ich, dass sie es nicht nötig haben zu dopen.«

Aber setzt nicht gerade der Erfolgsdruck und der Konkurrenzkampf die Athleten unter Zugzwang? Brechtken jedenfalls warnte davor, mit dem Finger auf andere zu zeigen: »Noch vor einem Jahr hätte ich gesagt, dass so etwas, wie es in Freiburg passiert ist, in Deutschland nicht möglich wäre. Deswegen sollten wir damit anfangen, vor unserer eigenen Tür zu kehren.« Welches Resumee lässt sich also ziehen? Peking hat die Chance verdient, die Spiele auszutragen und sich der Öffentlichkeit zu zeigen. Eine ähnliche Entwicklung wie in Südkorea wäre wünschenswert. Dabei darf man die Augen vor der Realität aber nicht verschließen. Ein kommunistisches Ein-Partei-System, Menschenrechtsverletzungen und Zensur der Presse sind Problematiken, die aber nicht durch die Spiele oder das IOC gelöst werden können. Dass sich ein ähnliches Szenario wie 1936 in Berlin wiederholt und die Spiele ausgenutzt werden, um eine friedliche und tolerante Scheinwelt zu propagieren, ist zwar möglich, doch Prof. Bohnet ist sich sicher: »Ein Szenario wie einst in Berlin wird sich nicht wiederholen. China wird die Chance wahrnehmen, sich weiter zu öffnen.« Fabian Karpstein

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